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Migration und Pflegebedürftigkeit
Durchs Netz gefallen

Die Pflegereform war das gesundheitspolitische Großprojekt der noch amtierenden Koalition. Eine Bevölkerungsgruppe findet sich darin allerdings kaum wieder: Menschen mit Migrationshintergrund. Dabei sind etwa 200.000 von ihnen pflegebedürftig – Tendenz steigend. Das Problem: Viele haben keinen Zugang zu den Leistungen der Pflegeversicherung.

Von Timo Stukenberg | 01.04.2017
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    Eine Tagespatientin in einer kulturspezifischen Tagespflege in Berlin beim Flechten eines Weidenkorbes. (dpa / picture-alliance / Soeren Stache)
    Ein mehrstöckiges Haus im Berliner Stadtteil Neukölln. Ein älterer Herr in Hausschuhen öffnet die Tür zu seiner Dreizimmer-Wohnung und bittet mit einer vorsichtigen Geste herein. Die Pflegeberaterin Lamis Gaddhar zieht ihre Schuhe aus, bevor sie die Wohnung betritt, so wie es in der arabischen Kultur üblich ist. Sie geht durch den kurzen Flur ins Wohnzimmer, wo die Ehefrau auf einem Krankenbett liegt. Der Mann hat darum gebeten, ihre Namen nicht zu nennen. Das Thema sei ihm zu privat. Seine Frau leidet seit mehr als zwei Jahren an einem Hirntumor.
    "Sie braucht fast alles. Sie kann alleine nichts machen, geht mehrere Male zur Toilette, kann stehen, sie braucht immer Hilfe. Zum Essen braucht sie auch jemand, um zu helfen. Medikamente muss ich auch selber machen. Meine Kinder können das noch nicht machen."
    "Ich wusste nicht, was ich machen soll"
    Der 62-Jährige ist in einem Dorf im Süden Libanons geboren. Seit mehr als 20 Jahren lebt er in Deutschland, zuerst in Bremen, seit elf Jahren in Berlin. Bis vor rund zwei Jahren hat er Nachtschichten für einen Sicherheitsdienst geschoben. Als seine Frau im Mai 2015 pflegebedürftig wurde, musste er seine Stelle aufgeben. Dann hieß es: Pflege organisieren.
    "Im Krankenhaus haben sie mir vielleicht gezeigt, was soll ich machen. Vielleicht sie haben mir die Adresse von Pflegestützpunkt gegeben. Ich habe nicht reagiert. In dieser Zeit ich war chaotisch, meine Frau kümmer und meine Kinder haben große Problem. Mein Kopf war total voll, ich wusste nicht, was soll machen."
    Eher zufällig ist die Pflegeberaterin auf das Ehepaar aufmerksam geworden und hat ihnen ihre Hilfe angeboten. Sie stammt selbst aus dem Libanon und arbeitet bei den BrückenbauerInnen, einem Modellprojekt in vier Berliner Pflegestützpunkten, das von den Pflegekassen finanziert wird. Das Projekt ist in Deutschland bislang einmalig. Es soll Menschen mit Migrationshintergrund helfen, die Pflege zu bekommen, die sie brauchen – genauso wie Menschen ohne Migrationshintergrund. Dafür beraten die BrückenbauerInnen nicht nur in der Muttersprache der Pflegebedürftigen. Sie begleiten die Menschen auch bei wichtigen Terminen.
    Denn häufig wissen vor allem ältere Migranten gar nicht, was ihr gutes Recht ist. Und das, obwohl sie jahrelang in die Pflegekasse eingezahlt haben. Viele trauen sich nicht einmal, bei Behörden nachzufragen, aus Angst barsch abgewiesen zu werden. Oder sie bekommen eine bürokratische Antwort, die sie nicht verstehen. Die Wahl zwischen Geld- und Sachleistungen, der Besuch des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, ein Ablehnungsbescheid der Kasse – das überfordert viele Menschen mit Migrationshintergrund.
    Die Nachfrage nach Beratung ist groß
    Dazu kommt die fehlende Erfahrung mit der Pflege in Deutschland: Viele Migranten haben anders als Einheimische nicht schon bei den Eltern gesehen, wie Pflege in Deutschland organisiert werden kann. Deshalb ist die Nachfrage nach der Beratung der Brückenbauerinnen groß – wie bei dem libanesischen Ehepaar:
    "Ich hatte vorher keine Ahnung, wie läuft das, was soll ich machen und wohin muss ich gehen und wer bezahlt für wen, wie bekomme ich Unterstützung von anderer Pflegestation. Das Büro hat mir geholfen, eine bessere Lösung zu finden und bis jetzt
    Seit gut einem Jahr sind zehn BrückenbauerInnen in Berlin im Einsatz. Die neun Frauen und ein Mann sprechen alle Deutsch und zusammen die am häufigsten vertretenen Sprachen der Einwanderer hier: Arabisch, Türkisch und Russisch, aber auch Serbokroatisch, Rumänisch, Polnisch und Französisch. Ihre Arbeit geht über das reine Dolmetschen hinaus, erklärt Nazife Sari, die Leiterin des Projekts. Sie wollen die Menschen erreichen, dafür sind sie in die Migranten-Communities gegangen.
    "Ob das jetzt nun Frauenvereine waren, Integrationskitas, Förderschulen, Seniorengruppen, also interkulturelle Seniorengruppen, Moscheen, Gemeinden oder Seniorenbegegnungsstätten, Beratungsstellen, Migrationsdienste, also ganz viele Einrichtungen, wo Migranten normal hingehen, wo aber keine Pflegeberatungseinrichtung ist. Da sind wir wirklich hingegangen und haben die Menschen informiert."
    Es hat eine Weile gedauert, bis die BrückenbauerInnen sich das Vertrauen in den einzelnen Communities erworben hatten, meint Sari. Pflege sei ein sensibles Thema. Unwissen und Skepsis gegenüber Hilfsangeboten von Menschen, die nicht aus der eigenen ethnischen Gruppe stammen, seien groß. Wenn der Pflegefall dann eintritt, wüssten die Pflegebedürftigen oft nicht, wohin sie sich wenden sollen.
    "Dadurch kann sich auch die Pflegebedürftigkeit, der Zustand der Pflegebedürftigkeit verschlechtern, dass dann auch Krankenhausaufenthalte folgen und dass auch die pflegerische Versorgung eigentlich nicht so sichergestellt ist, wie es auch bei allen Seiten also optimal ist, wie man sich das auch bei allen wünscht."
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    Im Jahr 2013 waren ca. 250.000 Menschen mit Migrationshintergrund auf Pflege angewiesen - bis 2030 wird die Zahl wohl auf rund eine halbe Million anwachsen. (dpa / picture-alliance / Soeren Stache)
    Anfang des Jahres ist das letzte der insgesamt drei Pflegestärkungsgesetze in Kraft getreten. Die große Reform von Union und SPD sollte nicht weniger als den Begriff Pflegebedürftigkeit neu definieren. Konkret heißt das: Anstatt Pflegestufen gibt es jetzt Pflegegrade. Die sollen genauer abdecken, was die Betroffenen brauchen. Dazu kommen mehr Leistungen für die Betroffenen und ihre Angehörigen. Menschen mit geistigen und psychischen Beeinträchtigungen bekommen jetzt etwa gleichberechtigten Zugang zu Versicherungsleistungen wie Menschen mit körperlichen Behinderungen. Das soll zum Beispiel Demenzkranke und deren Angehörige entlasten. CDU, CSU und SPD, wollen damit im anstehenden Bundestagswahlkampf punkten.
    Menschen mit Migartionshintergrund sind zu kurz gekommen
    Zwar gilt dies alles auch für Menschen mit Migrationshintergrund. Doch damit auch sie davon profitieren, hätten die Pflegestärkungsgesetze die Zugangshürden abbauen müssen, sagen Kritiker wie Wolfgang Barth. Er leitet die Abteilung Migration und interkulturelle Öffnung beim AWO-Bundesverband, einem der sechs Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege.
    "Ich glaube, in einer Einwanderungsgesellschaft muss es normal sein, dass alle Leistungen der Daseinsvorsorge allen Bewohnern dieser Republik zur Verfügung stehen und zwar so wie es den Notwendigkeiten entspricht. Und das ist vielfach nicht der Fall."
    Auch Martha Neüff findet, dass Menschen mit Migrationshintergrund bei der Pflegereform zu kurz gekommen sind. Sie ist Vorsitzende des 2014 gegründeten Verbands für interkulturelle Wohlfahrtspflege, ein Zusammenschluss aus verschiedenen Migrantenorganisationen.
    "Das Hauptproblem ist halt die Struktur des Gesundheitssystems, die nicht darauf ausgelegt ist, die speziellen Bedürfnisse von Menschen mit Migrationsgeschichte zu beachten und diese Menschen auch direkt zu erreichen mit ihrem Angebot."
    2,8 Millionen Menschen in Deutschland sind auf Pflege angewiesen. Laut einer 2011 vom Bundesgesundheitsministerium veröffentlichten Studie haben acht Prozent davon einen Migrationshintergrund. Im Jahr 2013 waren das laut Schätzungen gut 250.000 Menschen. Und bis 2030 wird die Zahl wohl auf rund eine halbe Million anwachsen.
    Etwas mehr als ein Drittel der pflegebedürftigen Menschen mit Migrationshintergrund stellen die Spätaussiedler aus den ehemaligen Sowjetstaaten dar, erklärt Elke Olbermann, wissenschaftliche Geschäftsführerin des Instituts für Gerontologie an der Technischen Universität Dortmund. Die zweite große Gruppe sind die ehemaligen so genannten Gastarbeiter.
    "Also eine große Gruppe sind die älteren Migranten aus den ehemaligen Anwerbeländern, also aus den südeuropäischen Ländern, Italien, Spanien, Portugal und Griechenland, aber auch aus der Türkei, aus Marokko, Tunesien und aus dem ehemaligen Jugoslawien. Hier wurden Ende der 1950er Jahre bis Anfang der 70er Jahre Arbeitskräfte angeworben für eher geringqualifizierte Tätigkeiten, die oft auch mit besonderen gesundheitlichen Belastungen einhergingen."
    Migranten sind deutlich früher pflegebedürftig
    Zwar kamen in den 70er- und 80er- Jahren häufig gesunde Menschen zum Arbeiten nach Deutschland. Doch nach jahrzehntelanger Arbeit in Fabriken und unter Tage werden Migranten heute deutlich früher pflegebedürftig als die einheimische Bevölkerung in Deutschland. Bei Menschen mit Migrationshintergrund gibt es zudem Hinweise auf eine ganze Reihe weiterer gesundheitlicher Risikofaktoren im Alter, sagt Pflegeforscherin Olbermann.
    "Also sie verfügen im Vergleich zur einheimischen älteren Bevölkerung über ein erheblich niedrigeres Einkommen, sie sind also wesentlich häufiger von Altersarmut betroffen. Sie haben aber auch, und das ja auch nicht unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten, oft schlechtere Wohnverhältnisse. Und all das wirkt sich gerade im Alter unmittelbar negativ aus. Also zum Beispiel nicht altersgerecht ausgestattete Wohnungen erhöhen zum Beispiel die Sturzhäufigkeit, und das ist eine zentrale Ursache, oder kann eine zentrale Ursache, für Pflegebedürftigkeit sein."
    Doch obwohl der Pflegebedarf bei Migranten oft höher ist als bei Einheimischen, haben sie es schwerer, sich im deutschen Pflegesystem zurechtzufinden. Das zentrale Problem: Die Sprache. Wolfgang Barth vom AWO-Bundesverband.
    "Die können wunderbar sagen, alles klar, alles prima, muss, Hauptsache, und solche Sachen, aber kaum eine differenzierte Auseinandersetzung mit der deutschsprachlichen Umwelt. Und das ist natürlich für viele mittlerweile auch eine Zugangsbarriere zu den Hilfen und Unterstützungsleistungen des Altenhilfesystems, ja."
    Laut der Pflege-Charta aus dem Jahr 2005, die Experten und die Politik erarbeitet haben, hat jeder in Deutschland einen Anspruch auf Pflegeberatung. Karl-Josef Laumann, der Pflege-Bevollmächtigte der Bundesregierung und Mitglied des CDU-Präsidiums, hält das Beratungsangebot für ausreichend.
    "Wir haben überall in Deutschland Pflegeberatungsstellen, die von den Kommunen organisiert sind, oder auch die Pflegestützpunkte, die von Pflegekassen und Kommunen gemeinsam organisiert werden. Wir haben überall auch die Beratungsstellen für ältere Mitbürger. Die haben natürlich auch den Auftrag kultursensible Beratung zu machen."
    Einzelne Kommunen bieten Pflege-Beratung in der Muttersprache an
    Kultursensibel heißt in dem Fall: Beratung in der Muttersprache anzubieten. Einzelne Kommunen setzen diesen Auftrag bereits um, indem sie zum Beispiel türkisch-, arabisch- oder russischstämmige Berater einstellen. Die Pflegekassen fördern mit dem dritten Pflegestärkungsgesetz, dem so genannten PSG III, außerdem Modellprojekte. Damit gehe die Pflegereform genau auf die Bedürfnisse von Migranten ein, sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete Mechthild Rawert. Sie hat für ihre Fraktion die Pflegereform mit dem Koalitionspartner CDU/CSU ausgehandelt.
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    "Ich erwarte, dass die Frage der Vielfalt aufgegriffen wird": Die SPD-Bundestagsabgeordnete Mechthild Rawert. (Archiv) (dpa / picture-alliance / Soeren Stache)
    "Das Pflegestärkungsgesetz III dient dem Ausbau der Beratung auf kommunaler Ebene. Wir werden 60 Modellprogramme auflegen und ich erwarte selbstverständlich, dass also die Frage der Vielfalt, die Frage der Pluralität von Lebensstilen in jedem einzelnen Modelprojekt also aufgegriffen wird."
    Das dritte Pflegestärkungsgesetz sieht für alle Menschen eine individuelle Pflegeberatung vor. Das klingt nach einem guten Ansatz, aber handeln müssen die Kommunen. Zwar erstellen die Pflegekassen eine Richtlinie, doch wie die Beratung konkret aussehen soll, müssten die Kommunen selbst entscheiden, sagt Eckart Schnabel, der Leiter der Forschungsstelle Pflegeversicherung bei der Gesetzlichen Krankenversicherung.
    "Diese Vorgabe können jetzt die Richtlinien selber jetzt nicht machen. Aber die Einrichtungen müssen natürlich schon darauf achten, dass, wenn sie Menschen mit Migrationshintergrund zum Beispiel in einem Pflegestützpunkt haben, dass dann natürlich auch möglich ist, damit zu kommunizieren. Die BrückenbauerInnen in unserem Projekt sind dann eine Möglichkeit zum Beispiel, diese Möglichkeit dann auch herzustellen."
    Schnabels Abteilung beim GKV-Spitzenverband fördert und begutachtet Modellprojekte wie die Brückenbauerinnen zum Beispiel, um dem gesetzlich vorgeschrieben Versorgungsauftrag gerecht zu werden. Was mit den Erkenntnissen aus den Projekten gemacht werde, liege aber nicht in seiner Hand.
    "Wir können erstmal über das Modelprogramm Dinge erproben. Inwieweit Elemente dann auch in gesetzliche Änderungen zum Beispiel einfließen, das muss dann die Politik entscheiden, das muss der Gesetzgeber entscheiden."
    In Ballungsgebieten, wo viele Migranten leben, gebe es bereits gute Ansätze, meint auch Altersforscherin Elke Olbermann von der TU Dortmund. Vor allem für russisch- und türkischsprachige Pflegebedürftige.
    "Es gibt nach wie vor nur sehr wenige Angebote für Migranten"
    "Aber für die vielen anderen Migranten aus den unterschiedlichsten Herkunftsländern finden sich nach wie vor nur sehr wenige Angebote tatsächlich kultursensibler Versorgungsformen."
    Für die pflegepolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Elisabeth Scharfenberg, reichen Modellprojekte deshalb nicht aus. Zu oft hänge es noch von engagierten Bürgermeistern ab, ob Pflegeberatung und -dienstleistungen auch auf die Bedürfnisse der Zuwanderer ausgerichtet seien.
    "An vielenOrten ist es Gott sei Dank so, sonst wäre nichts passiert, wenn diese Kommunen auf ein Modellprojekt gewartet hätten, dann würden die heute noch dasitzen und nichts würde passieren. Aber es entspricht natürlich nicht dem Gleichheitsgrundsatz. Das ist ganz klar. Es ist Zufall, letztendlich, wo ich wohne, in welcher Gemeinde, in welcher Region, in welchem Kreis, in welchem Bundesland wie meine Versorgung stattfindet. Das ist unerträglich."
    70 Modellprojekte fördern die Pflegekassen aktuell bereits. In drei davon geht es um Zuwanderer. Sind das angesichts der steigenden Zahl von Menschen mit Migrationshintergrund und der Tatsache, dass wenig über deren Bedürfnisse bekannt ist, nicht zu wenige Projekte? Eckart Schnabel vom Spitzenverband der Krankenkassen meint: nein. Und verweist darauf, dass von den Modellprojekten alle profitieren, ob mit oder ohne Migrationshintergrund.
    "Also wenn es zum Beispiel um das Thema geht, wie können wir die Situation von demenziell erkrankten Menschen verbessern, dass wir zum Beispiel neue Interventionen erproben. Dann gilt das ja nicht nur für die Gruppe der deutschen Pflegebedürftigen sondern zugleich auch für die Menschen mit Migrationshintergrund. Insofern ist das erstmal nachrangig."
    Kritiker wie Wolfgang Barth vom Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt sehen genau darin das Problem. Zwar haben alle Versicherten – Menschen mit und ohne Migrationshintergrund – das gleiche Recht auf Pflege, aber wenn sie nicht auch die gleichen Chancen haben, sei das System ungerecht.
    "Alle gleich behandeln führt zu Ungleichbehandlung"
    "Naja, das mit dem alle gleich behandeln ist natürlich schon der Bruch in der Argumentation. Alle gleich behandeln, indem man alle gleich behandelt, führt zu Ungleichbehandlung, denn das Ungleiche muss ungleich behandelt werden, damit das gleiche Ergebnis rauskommt. Und das ist leider in diesem Gleichbehandlungsschema, da fallen dann Besonderungen raus und die haben es dann schwerer."
    Für Barth ist das eine gesellschaftliche Frage. Wie weit das Pflegesystem auf die Sprachbarrieren, das Unwissen der Zielgruppe und auf Skepsis der Einwanderer gegenüber deutschen Behörden Rücksicht nehmen muss.
    "Wir haben noch nicht die Selbstverständlichkeit eines Einwanderungslandes, das sagt: Meine Leistungen stehen jedem offen. Sondern da gibt’s eher so ein: Ja, wenn du weißt davon, von der Leistung, dann kannst du die haben, aber ich muss da keine Propaganda für machen. Das ist so die Haltung, die wir in allen Systemen so haben."
    Doch hätte man in der Pflegereform gezielter auf Migranten eingehen sollen? SPD-Politikerin Mechthild Rawert, die die Reform mitgestaltet hat, sagt Nein.
    "Ich stelle mir jetzt gerade vor, es gebe einen Extra-Paragrafen. Das wäre ja nicht hilfreich. Die Rechte, die ein Mensch, sage ich jetzt Mal, aus der Pflegeversicherung hat, ergeben sich ja auf Grund seines Versichertenstatuses. Und der ist einfach darin begründet, dass eingezahlt worden ist."
    Der Pflegebevollmächtigte der Regierung, Karl-Josef Laumann, sieht die Verantwortung auch auf Seiten der Migranten. Wer nicht weiß, woher er Beratung bekomme, solle sich informieren.
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    Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung: Karl-Josef Laumann. (dpa)
    "So, jetzt ist natürlich immer die Frage: Woher wissen die Leute, wo ist die Beratung? Ja gut, aber da sag ich auch mal: Ich kanns dir ja nicht jeden Tag vorlesen. Man muss sich, finde ich, auch schon selber ein bisschen interessieren. Die Leute sind ja nun oft, auch bevor sie pflegebedürftig werden, über viele Jahrzehnte Mitglied einer Krankenkasse und ich denke, dass sie dann auch an diese Krankenkasse wenden müssen."
    "Dieses Thema wird uns über Jahrzehnte begleiten"
    Doch wer nicht weiß, dass ihm oder ihr Unterstützung aus der Pflegekasse zusteht, wird eher nicht danach fragen. Das Projekt BrückenbauerInnen soll deshalb gezielt Menschen mit Migrationshintergrund ansprechen, damit die Pflegeversicherung ihren Versorgungsauftrag erfüllen kann. Das Projekt läuft noch bis zum September 2018. Der erste Bericht über die neuen Modellprogramme aus den Pflegestärkungsgesetzen soll erst 2020 vorliegen – eine lange Zeit. Die SPD-Pflegepolitikerin Mechthild Rawert will diese Ergebnisse erstmal abwarten.
    "Das wird also cirka so fünf Jahre dauern. Wir werden sicherlich Pflegeberichte bekommen, Zwischenberichte, die unterschiedlichsten Erkenntnisse. Aber bevor dieser Teil gesetzgeberisch auf Bundesebene nochmal - in Anführungszeichen - wieder angepackt wird, brauchen wir jetzt dann die Erfahrungen."
    Angesichts der Hunderttausenden pflegebedürftigen Migranten sollte sich die Politik nicht allzu viel Zeit lassen. Das gilt auch für die vielen geflüchteten Menschen, die seit 2015 nach Deutschland gekommen sind, meint Elisabeth Scharfenberg von den Grünen.
    "Im Moment sind das die jungen Menschen, die zu uns kommen, die Flüchtlinge. Aber die werden ja auch irgendwann älter. Das ist eine Sache, die wird uns einfach über Jahrzehnte begleiten und das ist eine Sache, der wir uns heute stellen müssen, weil, wie gesagt, es wird uns über Jahrzehnte begleiten."