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Migrationspolitik in der Corona-Pandemie
Hoffnung für venezolanische Flüchtlinge in Kolumbien

In Kolumbien leben wegen der Staatskrise im Nachbarland fast zwei Millionen venezolanische Flüchtlinge, viele von ihnen bislang ohne Aufenthaltsstatus. Die Regierung will das jetzt ändern - wohl auch wegen der Corona-Pandemie.

Von Burkhard Birke | 13.02.2021
Flüchtlinge aus Venezuela stehen an einem Busbahnhof in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá
Die kolumbianische Bevölkerung, oft selbst auf der Flucht, hatte die Venezolaner mit offenen Armen aufgenommen. Sie sprechen die gleiche Sprache, gehören den gleichen Religionen an, haben ähnliche Gebräuche. (picture alliance / ANP | "Sander Koning")
15 Tage sei sie von der Grenze bis Bogotá zu Fuß unterwegs gewesen. Für die Busfahrt hätte das Geld nicht gereicht, erzählt Sara dem kolumbianischen Fernsehen. Die junge Venezolanerin ist eine von offiziell 1,72 Millionen Venezolanern in Kolumbien. Sie will dem Hunger, dem Elend und der Repression entkommen. Lebensmittel, Strom, Wasser, ja selbst Benzin im erdölreichsten Land der Welt: Nahezu alles ist knapp, beziehungsweise unerschwinglich für einfache Menschen geworden in Venezuela. Einer Studie der Universidad Andres Bello zufolge leben fast zwei Drittel aller Venezolaner in extremer Armut. Mehr als fünf Millionen haben Schätzungen zufolge ihr Land verlassen, Menschen wie Rubi Millán.
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Sie sei sehr traurig, berichtet Rubi Millán, die als Köchin in einem Restaurant in Bogotá arbeitet. Sie konnte nur ihre beiden Töchter mitnehmen, Ihren kranken Sohn musste sie in Venezuela zurücklassen. Jetzt schickt sie ihm und ihren Eltern jeden Monat etwas Geld. Rubi kann nun ein wenig Hoffnung schöpfen:
Kolumbiens Präsident Ivan Duque will den illegalen Venezolanern – das ist eine Million der offiziell über 1,7 Millionen im Land - einen zunächst auf zehn Jahre befristeten Aufenthaltsstatus gewähren. Im Beisein des UN-Flüchtlingskommissars Grandi sprach Duque von einem Meilenstein in der Einwanderungspolitik Kolumbiens und Lateinamerikas.
Kolumbien trägt die Hauptlast der venezolanischen Flüchtlingskrise, steht auch infolge der Pandemie unter einer enormen Belastungsprobe, zumal es in den Bürgerkriegsjahren schon acht Millionen Binnenflüchtlinge verkraften musste.

Fast die Hälfte der fünf Millionen Flüchtlinge aus Venezuela hält sich in Kolumbien auf

Damals sind auch viele Kolumbianer vor Tod und Gewalt oder auf der Suche nach wirtschaftlichem Erfolg ins benachbarte Venezuela ausgewandert. Viele von ihnen sind zurückgekehrt. Nahezu die Hälfte der auf insgesamt fünf Millionen geschätzten Flüchtlinge aus Venezuela hält sich somit in Kolumbien auf und stellt eine enorme Herausforderung dar.
Eine beispielhafte humanitäre Geste für die gesamte Region, ja für die ganze Welt lobte denn auch UN Flüchtlingskommissar Filippo Grandi die Entscheidung der kolumbianischen Regierung. Eine Million Venezolaner, die sich illegal im Land aufhalten, sollen einen zehnjährigen legalen Aufenthaltsstatus und damit offiziellen Zugang zum formalen Arbeitsmarkt, sowie zum Gesundheits- und Bildungswesen bekommen. Die Regelung gilt für alle, die vor dem 31. Januar ins Land gekommen sind: Man will eine nachträgliche Sogwirkung vermeiden!
Die Personen müssen etwa durch einen Mietvertrag ihren Aufenthalt im Land belegen können, über Reisedokumente und Geburtsurkunden verfügen und sich biometrisch registrieren lassen. Wer kriminell wird oder nach Ablauf der Registrierungsfrist die Bedingungen nicht erfüllt wird abgeschoben, auch das stellte Präsident Duque klar.
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Somit kommt Ordnung ins Flüchtlingschaos. Die kolumbianische Bevölkerung, selbst oft auf der Flucht, hatte die Venezolaner mit offenen Armen aufgenommen. Sie sprechen die gleiche Sprache, gehören den gleichen Religionen an, haben ähnliche Gebräuche.
Das Problem ist nicht die kulturelle, sondern die soziale Integration dieser Menschen, die ihre Arbeit und leider auch ihre Körper oft für einen Bruchteil dessen verkaufen, was Kolumbianern gezahlt wird. Über 700.000 sind schon im Besitz eines Aufenthaltsstatus. Ausschlaggebend für die Legalisierung der restlichen Million war jetzt freilich auch die Pandemie, zumindest indirekt, glaubt Kristina Daniels, Leiterin des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kolumbien.
Nach der Regularisierung hat Duque die Möglichkeit, mit den Vereinten Nationen zwei Millionen Dosen Impfung zusätzlich aus dem COVAX- Programm auszuhandeln. Die Venezolaner könnten einbezogen werden, wenn das Programm am 20. Februar etwas später als im Rest Südamerikas startet. Duque kommt aber auch schneller an Impfungen und bekommt mehr Impfungen. Ohne Impfung stellen die meist in prekärsten Verhältnissen lebenden venezolanischen Flüchtlinge ein noch größeres Gesundheitsrisiko dar.

Hoffnung auf neue Gelder für die eigene notleidende Bevölkerung

Schon jetzt werden natürlich illegale Venezolaner auch medizinisch im Land behandelt, gehen 400.000 Kinder in kolumbianische Schulen, aber die wenigsten tragen zum Sozialsystem bei oder zahlen Steuern: Mit der Regularisierung ändert sich das. Letztlich hofft Kolumbiens Regierung durch diese humanitäre Geste auch auf neue Gelder für die eigene, notleidende Bevölkerung.
Ohnehin war die Entscheidung von Präsident Duque, die in den kommenden Tagen per Dekret umgesetzt werden soll, auch stark politisch motiviert, sagt Kristina Daniels: "Wählerstimmen für die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr sehe ich eher nicht, denn in Kolumbien können nur Menschen mit kolumbianischer Nationalität an den Präsidentschaftswahlen teilnehmen."
Aber natürlich, wenn im Rahmen des neuen Status in fünf Jahren die Emigrierenden ihre Residenz bestätigt bekommen hätten, könnten sie an Regional- und Kommunalwahlen teilnehmen. Wichtiger ist: Duque verschafft sich durch diese Aktion Anerkennung in der Internationalen Gemeinschaft. Er hat sehr viel Kritik eingesteckt für sein mangelndes Engagement im kolumbianischen Friedensprozess. Und vielleicht ist es auch der Versuch, sich an die neue US Regierung anzunähern, denn Duque hatte ein sehr enges Verhältnis zu Donald Trump. Und dessen Schicksal will Kolumbiens Präsident wohl nicht teilen.