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Migrationsprobleme in der Wohngemeinschaft

Nach dem Erzählband "Grenzgängerbeatz", dem Roman "Bastard" und Sachbüchern über Lateinamerika, widmet sich Raul Zelik nun den Verhältnissen in der deutschen Hauptstadt. Wie immer bei Zelik geht es auch in seinem neuesten Werk um Migrationsprobleme und Außenseiterexistenzen. Neu hingegen ist ein humoristischer Erzählton, der gewiss auch darauf zurückzuführen ist, dass der Stoff erst für ein Drehbuch gedacht war, an dem Zelik gemeinsam mit Detlef Buck gearbeitet hat.

Von Ralph Gerstenberg | 02.02.2006
    Kusturica-Geklimper, Pfannengeklapper und WG-Genossen. Verdammt laut ist es geworden in der wohngemeinschaftlichen Welt des Kreuzbergers Mario. Und mit dreißig wird man nun mal etwas lärmempfindlich. Mario muss dieser simplen Tatsache ins Auge sehen und ein paar Geräuschquellen in seinem unmittelbaren Lebensumfeld abstellen. Da wären zum Beispiel die rumänischen Gastarbeiter, die die WG-Küche belagern. Die warten noch immer auf den Lohn für ihre Knochenjobs auf den Baustellen des Potsdamer Platzes. Um sie los zu werden gründet Mario mit seinen WG-Kumpels kurzerhand ein Inkassounternehmen. Seltsamerweise sind die selbsternannten Geldeintreiber durch ihr verwirrend unkonventionelles Auftreten äußerst erfolgreich. Die Bauarbeiter bekommen ihr Geld und Mario und seine Freunde neue Aufträge von einem geprellten Kleinunternehmer. "Unterschichtenroman" nennt Raul Zelik sein neues Buch "Berliner Verhältnisse" und stellt sich damit in eine literarische Tradition, von der sich Literaturinstituts- und Befindlichkeitsliteraten mit ihren Mittelstandswehwehchen mittlerweile meilenweit entfernt haben - in die Traditon von Fauser und Brinkmann, von Autoren also, die sich ein Gefühl bewahrt haben für die Situation der Unterprivilegierten und Randexistenzen der Gesellschaft.

    " Worum es natürlich schon ganz wesentlich geht, ist so eine Arbeits- und Lebensrealität, in der ganz viele Leute drinstecken, die wie blöde schuften müssen, aber durch diese Ganze … was uns lange Jahre so als schick und hipp verkauft worden ist: flexible Ökonomie oder Outsourcing - dass das für die Leute, die arbeiten müssen, in der Regel bedeutet: extrem schlecht bezahlt werden und dann oft nicht mal wissen, bei wem sie ihren Lohn einklagen sollen. Das sind so die Verhältnisse, die als Hintergrund darin mitspielen, dass das ziemlich bescheuerte Verhältnisse sind, die immer schlechter werden, und das Ganze, was da in den Nachrichten zu hören ist von der Notwendigkeit der Modernisierung der Wirtschaft und so, dass das für einfache Leute bedeutet, dass das in der Regel immer beknackter wird. "

    "Berliner Verhältnisse" also, wie sie jedoch nicht nur in der deutschen Hauptstadt herrschen, sondern auch in London und Paris, in Madrid und Athen. Verhältnisse, vor denen man weder Augen noch Ohren verschließen kann. Und natürlich sucht Mario vergeblich nach Ruhe. Er verliebt sich in die Serbin Melek. Seine Mutter kommt zu Besuch. Sein Bruder, ein aufgekratzter Immobilienmakler, hat einen Job für ihn. Schließlich gerät er sogar in den Verdacht, seinen vermeintlichen Nebenbuhler an die Ausländerbehörde verraten zu haben, und wird von seinen Mitbewohnern auf die Straße gesetzt. Am Ende triumphieren jedoch Freundschaft und Solidarität und Mario findet es eigentlich ganz okay, dass es mal wieder etwas lauter wird.

    " Das andere, was in dem Buch wichtig ist, dass sich die Leute aber gleichzeitig so ein Glück der Widerständigkeit bewahren. Wenn man das in so einen Begriff fasst, klingt das auch schon wieder kitschig und beknackt, aber eigentlich geht es schon darum, dass Personen wie Mario, seine WG, sein Freundeskreis, die zwar auch ironisiert werden, dass die aber schon was haben, was sie liebenswert macht, weil sie sich eben für Belange untereinander und im Bekanntenkreis weiterhin interessieren. "

    Mit großer Freude an alltäglichen Absurditäten demontiert Zelik gängige Identitätsmuster und Klischees. Die Serbin Melek träumt davon, einen Edeka zu betreiben oder ein Kino, in dem Blockbuster gezeigt werden, Marios Bruder handelt zwar mit Immobilien, kauft aber bei Aldi ein und hat ein Faible für moderne Kunst, die Schwulen werden hetero, die Heteros stellen sich schwul und der einzige Ostler rennt wahlweise in Enten- oder Hasenkostümen herum, raucht Havannas und erweist sich als scharfsinniger Kapitalismusanalytiker.

    " Die Personen sind gar nicht besonders konstruiert, also mein Bruder hat tatsächlich so eine Immobiliengeschichte gehabt und es war wirklich immer ganz nah beieinander, eben mal in der Kunstwelt 30.000 Euro raushauen und dann aber bei Aldi einkaufen gehen und dann aber wieder teuer essen und dann aber gleichzeitig sich die ganze Zeit darüber ärgern, wie teuer das ist, das fällt da durchaus zusammen. Oder unsere Vorstellungen davon, wie die türkischen Nachbarschaften sind, wie Kreuzberg ist. Das sind ja alles irgendwo komplette Klischees und in der Form der Erzählung geht es natürlich auch darum, solche Pappkameraden übersteigert aufzubauen und dann umzuschmeißen und eben deutlich zu machen, dass das alles nicht funktioniert. Ist immer etwas langweilig zu erklären, was mit Ironie und Satire gemeint ist, aber natürlich geht es auch darum. "

    "Berliner Verhältnisse" ist ein grotesk-komisches Buch, das Zelik zunächst als Drehbuch, teilweise zusammen mit Detlef Buck, entwickelt hat. Als es mit dem Filmprojekt wegen branchenüblicher Schwierigkeiten nichts zu werden drohte, begann er das Buch als Roman zu bearbeiten. Parallel dazu schrieb er "Bastard", einen Roman, der bereits im vergangenen Jahr erschienen ist. Obwohl die beiden Bücher sehr verschieden sind, sieht Zelig sie als Teil eines literarischen Projekts, das ihn seit fünf Jahren beschäftigt. Er will Migrationsgeschichten erzählen und dabei die Sprache und Erzählweise der Leute aufgreifen, von denen sie handeln.
    Raul Zelik, der auch am Institut für Lateinamerikanistik der Freien Universität Berlin unterrichtet, sieht sich selbst als politischen Autor. Manchmal scheint es so, als seien ihm die überdrehten Dialoge und der Unterhaltungswert von "Berliner Verhältnisse" nicht ganz geheuer.

    " Was ich so ein bisschen als Problem empfinde, wenn das Bedürfnis nach Unterhaltung so stark an einen herangetragen wird. Und "Berliner Verhältnisse" ist natürlich auch ein unterhaltendes Buch. Ich finde, man sollte nicht nur lesen, um unterhalten zu werden, man sollte auch lesen, weil man sich mit Sachen auseinander setzen möchte. "

    Allerdings kann es nicht schaden, wenn man bei der Auseinandersetzung mit einer Sache so gut unterhalten wird wie durch Zeliks neuen Roman.

    Raul Zelik "Berliner Verhältnisse"
    Blumenbar Verlag, 320 Seiten, 18,- Euro