Dienstag, 23. April 2024

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Mikael Wiehe zum 70. Geburtstag
"Ich stehe weiter links an der Kante"

Bob Dylan ist sein großes Vorbild - nicht nur musikalisch: Der Schwede Mikael Wiehe ist einer der wichtigsten politischen Musiker seines Landes. Auch mit 70 sieht er sich fest im linken Spektrum verankert.

Mikael Wiehe im Corsogespräch mit Johannes Kulms | 08.04.2016
    Der schwedische Musiker Mikael Wiehe in seinem Wohnzimmer.
    Der schwedische Musiker Mikael Wiehe (Johannes Kulms)
    Johannes Kulms: Was geschieht gerade in Schweden, wenn wir auf die letzten Monate schauen, was geht vor in der schwedischen Gesellschaft?
    Mikael Wiehe: Wenn wir auf die Flüchtlingspolitik der Sozialdemokraten schauen, dann kann man sagen, dass Schweden es versucht hat, so lange wie möglich seine Grenzen offen zu halten - und seine Moral ganz weit oben. Aber zuletzt war man gezwungen, das zu ändern. Weil Schweden, Deutschland und Österreich nicht weiterhin alle Flüchtlinge alleine aufnehmen konnten.
    Hier in Schweden macht sich jetzt eine moralische Enttäuschung darüber breit, dass eine sozialdemokratische Partei die Landesgrenzen dicht gemacht hat. Gleichzeitig gibt es aber auch eine politische Freude, vor allem bei den bürgerlichen Parteien. Nun kann man Sozialdemokraten für das beschuldigen, was die bürgerlichen Parteien ja eigentlich schon lange machen wollten. Aber die bürgerlichen Parteien sind um diese moralische Schuld herum gekommen.
    Kulms: Schweden hat jahrzehntelang eine sehr liberale Flüchtlingspolitik betrieben. Ist das etwas, worauf Sie stolz sind oder stolz waren?
    Wiehe: Schweden hat versucht, die moralische Fahne hochzuhalten. Aber es scheint, dass die Integrationspolitik nur ziemlich schlecht funktioniert hat. Das hat die Gesellschaft auch gespalten. Es ist auch nicht einfacher geworden, seit die Steuern gesenkt wurden und die Banken mehr Geld verdienen. Es wäre wohl einfacher, in einer stärker sozialdemokratisch orientierten Gesellschaft für diese Flüchtlinge zu sorgen.
    Ich bin mit sechs Jahren nach Malmö gezogen und dort aufgewachsen. Das war damals die langweiligste Stadt der Welt! Das ist es jetzt nicht mehr so - jetzt ist es eine ziemlich heftige Stadt mit vielen verschiedenen Menschen, ein großer Mix. Die Stadt ist zu klein, als dass man wirklich für sich sein kann: Eine kleine Gruppe Serben hier, eine Gruppe Griechen da, das funktioniert hier nicht. Man ist sozusagen gezwungen, über Grenzen hinweg miteinander in Kontakt zu treten - nicht zuletzt in der künstlerischen Zusammenarbeit. Dadurch sind Malmö und Schweden unglaublich interessant geworden, finde ich. Und nur weil letztes Jahr 160.000 Flüchtlinge ins Land gekommen sind, wird damit jetzt nicht Schluss sein. Es wird spannend sein zu sehen, wie es jetzt weiter geht.
    Ich bin nicht Sozialdemokrat, sondern stehe zur Links-Partei oder noch weiter links an der Kante. Ich habe noch nie die Sozialdemokraten gewählt. Aber die Sozialdemokraten sind die einzige große Partei, die hier etwas bewegen und die das gesellschaftliche Gefälle ausgleichen kann, indem die Reichen besteuert werden, indem man solidarisch ist zwischen Menschen, den Kommunen, zwischen Städten und den europäischen Ländern.
    Kulms: Sie sind ein sehr politischer Musiker. Sind das gerade gute Zeiten, um einen neuen Song zu schreiben?
    Wiehe: Es sieht wirklich gerade blendend aus! Aber so war es ja immer. Wenn man politische Songs schreiben will - was ich ja manchmal will - versucht man immer ein Thema zu finden. Auf Englisch sagt man dazu topic songs - also ein Song, der von etwas handelt. Es kann manchmal verführerisch einfach sein, einen politischen Song in Zeiten wie diesen hier zu schreiben. Aber es ist immer schwerer, einen zu schreiben, den man auch noch in fünf oder zehn Jahren singen kann. Agitationslieder haben oft nur eine ziemlich kurze Lebensdauer.
    Und manchmal möchte man einfach solche Agitationssongs schreiben, die nur einen einzigen Wahlkampf überdauern. Aber schöner ist es, Lieder zu schreiben, die von den Leuten noch nach 30 Jahren gesungen werden.
    Kulms: Wie steht es gerade um die politische Musikszene in Schweden - gibt es noch viele politische Musiker?
    Wiehe: Na klar, da gibt es eine ganze Menge. Vor allem sind darunter viele Frauen! Sie thematisieren ihre eigene Situation, wie sie sich von den Männern behandelt fühlen. Das ist doch eine in höchstem Maße politische Frage! Ich habe zum Beispiel gerade ein Album von Titiyo gehört, die ja jetzt auch auf Schwedisch singt. Sie hat vorher nur auf Englisch gesungen. Klar, das ist keine Agitationsmusik, aber das sind definitiv Songs mit einer Botschaft. Da geht es darum: du hast dich um ihn gekümmert, aber hat er sich um dich gekümmert? Ich würde sagen: Mittlerweile haben fast alle weiblichen Künstlerinnen einen starken Standpunkt.
    Auch die Umweltbewegung ist sehr wichtig - wenn auch vielleicht nicht ganz so stark wie in Deutschland. Und dann ist da noch der Hip-Hop. Ich habe mit einigen Hip-Hop-Musikern zusammengearbeitet. Die bringen einen sehr starken Standpunkt mit, machen zum Thema, wie sie in segregierten Wohngebieten aufgewachsen sind. Vielleicht gibt es nicht mehr diese Bewegung, wie wir sie in Schweden in den 1970er-Jahren hatten. Aber es gibt immer noch eine Menge Leute, die eine starke politische Meinung haben.
    Kulms: Sie werden nun 70 Jahre alt und waren immer ein sehr politischer Musiker. Gab es ein bestimmtes Ereignis in Ihrem Leben, das Sie politisiert hat?
    Wiehe: Ich bin ein bisschen jünger als jene, die gegen den Vietnam-Krieg protestiert haben - die waren nämlich zwei bis drei Jahre älter und das ist ziemlich viel, wenn man jung ist. Aber klar ist, dass die Bewegung gegen den Vietnam-Krieg in Schweden sehr groß und sehr bedeutsam war. Später ist daraus eine Anti-Apartheitsbewegung geworden und noch später der Protest gegen Atomkraft. Diese schwedische Linke, die aus den Protesten gegen den Vietnam-Krieg hervorgegangen ist, hat mich und mein politisches Bewusstsein geprägt.
    Kulms: Ihr großes musikalisches Vorbild ist Bob Dylan - aber ich habe gelesen, dass Sie auch Johann Sebastian Bach mögen.
    Wiehe: Ja, und es gibt noch viele andere Musiker, die ich mag. Jede Generation hat ja ihre Künstler und Musiker, die den Blick dieser Generation auf die Welt verkörpern. In meiner Generation war das am meisten Bob Dylan, für die danach vielleicht am ehesten David Bowie und später Hip-Hop. Ich finde, die interessanteste Musik kommt immer von unten: sei es Punk, Rock oder auch Folk, der ja auch auf eine gewisse Art und Weise von unten kommt. Ich habe viel Musik von überall her gehört, es gibt viele Songwriter in Südamerika genauso wie in Afrika und in Europa, die mich inspiriert haben. Es war also nicht nur Bob Dylan.
    Kulms: Sind Sie ein bisschen der schwedische Bob Dylan?
    Wiehe: Tja ... ich möchte eigentlich am liebsten Schwedens Mikael Wiehe sein (lacht).
    Kulms: Sind Sie eher Musiker oder Aktivist - oder beides?
    Wiehe: Nein. Ich war mehr ein Aktivist als ich jünger war. Jetzt bin ich nicht mehr Teil einer Bewegung, weil die Musiker alle auch deutlich jünger sind. Ich bin ein älterer Mann und ich denke, es ist nicht die Aufgabe eines 70-Jährigen, die Revolution zu machen. Das ist die Aufgabe der 25-Jährigen. Ich kann mit ihnen sympathisieren und sie dabei gerne unterstützen. Aber die müssen schon selbst vorangehen.
    Kulms: 1000 tack, Mikael Wiehe!
    Wiehe: Tack!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.