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Mikroben als Recyclinggehilfen
Metalle aus Müllschlacke

Wer Elektronik benutzt, braucht seltene Metalle. Egal, ob im Computer, im Flachbildschirm oder Smartphone – sie sind überall. Ein Großteil dieser Metalle wird bis heute allerdings nicht recycelt, sondern landet in einer Müllverbrennungsanlage, wo sie als giftiger Überrest zurückbleiben. Geologen aus Tübingen wollen das nun mit Mikroorganismen ändern.

Von Karl Urban | 30.12.2015
    Wer ein großes Problem lösen will, braucht Hilfe. Andreas Kappler setzt auf die Hilfe von Mikroben, die im Gestein leben. Er ist Geomikrobiologe an der Universität Tübingen:
    "Wir beschäftigen uns zum Beispiel mit der Entfernung von giftigen Metallen aus Böden mit Mikroorganismen, der Entfernung von Cadmium oder Arsen."
    Jetzt versucht er etwas Neues: Wertvolle Metalle aus giftiger Müllschlacke herauszuholen, die bei der Müllverbrennung entsteht. Darin stecken Eisen, Kupfer, Seltene Erd-Metalle und Gold, aber auch toxisches Blei. Daher wandern diese Rückstände bisher meist einfach auf eine Giftmülldeponie.
    "Also die machen hier ihre Experimente."
    Im Keller des Instituts für Geowissenschaften liegt das Labor der Geomikrobiologen: Dicht an dicht stehen stabile Labortische mit allerlei Reagenzgläsern. Und sicher verwahrt unter einem Abzug: Bechergläser mit der Müllschlacke, frisch aus einer Müllverbrennungsanlage.
    "Die da kommt so raus. Was wir jetzt gemacht haben: Wir sieben die. Da gibt es zum Teil auch mal eine Gabel drin."
    Ein Großteil der Müllschlacke ist allerdings ein grober grauer Sand. Um hier Metalle herauszulösen, suchten die Forscher metallliebende Mikroorganismen in der Natur. Und zwar in einem Fluss, der durch Jahrtausende währenden Bergbau stark übersauert ist: dem Rio Tinto im Südwesten Spaniens. Andreas Kappler hatte den Fluss vor Jahren schon einmal besucht, weil an seinem Grund trotz der Säure erstaunlich viele Mikroben leben.
    "Dadurch kannte ich diesen Fluss und wusste, dass der einen sehr sauren pH und sehr hohe Metallkonzentrationen hat und viele Mikroorganismen enthält, die in der Lage sind, mit diesen Bedingungen umzugehen."
    Solche Mikroben lassen sich allerdings nicht ohne Weiteres im Labor kultivieren. Denn im Flusssediment lebt weit mehr als nur eine Art.
    "Es sind mit Sicherheit mehrere hundert verschiedene, die enthalten sind. Wie viele von denen wirklich aktiv sind, ist eine andere Frage. Ein Großteil wird dort enthalten sein, aber nicht wirklich aktiv sein."
    Ein mikrobiologisches Puzzlespiel, das die Forscher derzeit noch ordnen: Es ist nur eine Hürde. Denn bis heute lässt sich ein Großteil aller vorkommenden Arten nicht im Labor züchten.
    "Die mikrobiellen Ökologen geben immer eine Zahl von ungefähr einem Prozent der Mikroorganismen an, die kultivierbar sind. Das heißt, 99 Prozent der Organismen sind im Labor nicht kultivierbar, weil wir nicht verstehen, unter welchen Bedingungen die genau wachsen können."
    Manche der in Spanien gesammelten Mikroben wachsen allerdings im Reagenzglas. Die Forscher schichten die Müllschlacke dafür zu kleinen Haufen auf und beträufeln sie beständig mit Säure: ideale Bedingungen, die denen am Rio Tinto ähneln.
    "Die leben von den Bestandteilen, die in diesen Partikeln drin sitzen und nutzen die für ihren Stoffwechsel. So, wie wir Kohlenstoff verwenden, benutzen manche von diesen Organismen eben Eisen oder Schwefel als Nahrung. Das heißt, sie sind interessiert, diese Nahrung aus den Partikeln herauszuholen und dadurch die Partikel aufzulösen."
    Und in dem Maße wie sich Eisen oder Schwefel aus den Körnchen lösen, sollten auch seltene Metalle herausgelöst werden. Die könnten danach leicht mit elektrischer Spannung aus der Flüssigkeit gewonnen werden – so jedenfalls der Plan. Denn bisher konnten die Geomikrobiologen nur einige Kilogramm Müllschlacke am Tag verarbeiten, hunderttausendfach mehr müsste es noch werden. Eine Mannheimer Müllverbrennungsanlage würde mit der Methode gern pro Tag 500 Tonnen verarbeiten. Deshalb wandert der neue Prozess jetzt aus dem Labor zu einer Tübinger Biotechnikfirma. Ob die zurückgewonnen Metalle am Ende aber mehr Geld abwerfen als das Verfahren kostet, muss sich erst noch zeigen.
    "Es gibt erste finanzielle Abschätzungen dazu, wo wir die zu erwartenden Betriebskosten berücksichtigen, auch die Kosten für die eingesetzten Chemikalien. Und es zeigt sich, dass bei den derzeitigen Weltmarktpreisen dieser Prozess in der Tat rentabel sein kann."