Mikrokosmos

Die Jazzfamilie vom Heimathaus

Markus Kelle, Hermann-Josef Braum und Werner Oberender von Jazz in Neuwied e.V. im Gespräch am Verkaufsstand des Jazzfestivals Neuwied
Markus Kelle, Hermann-Josef Braum und Werner Oberender von Jazz in Neuwied e.V. im Gespräch am Verkaufsstand des Jazzfestivals Neuwied © Deutschlandradio / Michael Kuhlmann
Von Michael Kuhlmann · 01.12.2017
Das erste Neuwieder Jazzfestival, 1978, fand noch unter freiem Himmel statt. Irgendwann war es so groß, dass es in die Stadthalle Heimathaus umzog, wo jetzt die 40. Ausgabe stattfand. Das Festival ist - im Gegensatz zu seinem Spielort, einem Zweckbau der 80er-Jahre - nicht gealtert.
Die ersten Besucher warten am Eingang schon zwei Stunden vor Beginn; und als sich die Türen öffnen, ist die Schlange auf locker 30 Meter Länge angewachsen. Nicht nur in der Region um Koblenz und im Westerwald hat das Jazzfestival Neuwied seine Fans; viele kommen auch aus dem Ruhrgebiet, aus Süddeutschland oder von noch weiter her. Zahlreiche Zuhörer sind Stammgäste – sie kommen alljährlich in die 65.000-Einwohner-Stadt am Mittelrhein. Denn auf diesem Festival laufen immer wieder Jazzgrößen auf, die man sonst eher auf Mammutfestivals zu sehen bekommt. In Neuwied sitzt man nur ein paar Meter von der Bühne entfernt; und spätestens, wenn Musiker wie der Saxophonist Charles Lloyd oder der Schlagzeuger Billy Cobham nach dem Konzert im Foyer geduldig CDs signieren, genießen die Fans die Möglichkeit, ein paar Worte mit ihnen zu wechseln.
Markus Stockhausen Group beim Neuwieder Jazzfestival 2017
Markus Stockhausen Group beim Neuwieder Jazzfestival 2017© Deutschlandradio / Michael Kuhlmann
Es braucht Veranstalter, die ihr Handwerk verstehen, um ein solches Festival vier Jahrzehnte lang am Laufen zu halten – zumal wenn Subventionen nur ein Drittel der Kosten decken und die restlichen zwei Drittel aus Eintrittsgeldern finanziert werden müssen. Der künstlerische Leiter ist immer noch derselbe, der das Festival 1978 aus der Taufe hob: Werner Oberender kennt sich bestens aus in der Szene und verfügt über die nötigen persönlichen Verbindungen, um auch einen Stanley Clarke oder einen Omar Hakim nach Neuwied zu holen.
Spontane Kooperationen auf Anregung der Festivalmacher
Und die Programmplanung der 40 Festivals zeugt auch von einem guten Riecher, nicht selten treten vielversprechende Künstler und Ensembles auf, die gerade erst mit ihrer Karriere durchstarten. 1980 war es ein Ensemble namens Pat Metheny Group, 1981 das klangschöne und später vielbeachtete Trio des Pianisten Rainer Brüninghaus mit dem damals 21-jährigen Trompeter Markus Stockhausen (der auch 2017 da war), 2003 die Sängerin Lyambiko. Das Tüpfelchen auf dem i sind spontane Kooperationen, die sich erst hier vor Ort auf Anregung der Neuwieder Veranstalter ergeben: Beim Festival 2017 bestritt der E-Bassist Marcus Miller seine umjubelte Zugabe gemeinsam mit dem Gitarristen Mike Stern – beide spielten einst zusammen in der Band der Jazzlegende Miles Davis.
Jasper vant Hof: Direkt nach der Ankunft in Neuwied geht es zum Soundcheck auf die Bühne des Neuwieder Jazzfestivals 2017
Jasper vant Hof: Direkt nach der Ankunft in Neuwied geht es zum Soundcheck auf die Bühne © Deutschlandradio / Michael Kuhlmann
Doch das Neuwieder Festival gäbe es nicht, wäre Oberender nicht im Sommer 1977 am Rande eines Konzertes im Sauerland dem Pianisten Jasper van’t Hof über den Weg gelaufen – den er spontan fragte, ob er nicht Lust habe, demnächst mal in Neuwied aufzutreten. Der unternehmungslustige Niederländer sagte zu – und wurde zum ersten einer ganzen Reihe von Musikern, die immer wieder in Neuwied auf der Bühne standen. So gab es bei der 40. Festivalausgabe ein Sonderkonzert: Jasper van’t Hof setzte sich solo an den Flügel. Und auch er blieb bei seiner Zugabe nicht allein: van’t Hof und Markus Stockhausen stellten spontan etwas auf die Beine und spielten einander bestens aufgelegt die Bälle zu.
Ehrenamtliche Veranstalter
Es ist nicht zuletzt die Neuwieder Atmosphäre, die van’t Hof und seine Kollegen anzieht: die Nähe des Publikums, die Begeisterung der Festivalmacher. Das sind Werner Oberender und sein Bühnenorganisator Markus Kelle – und auch jene, die dafür sorgen, dass die adäquaten Instrumente und Verstärker auf der Bühne stehen – jene, die im Foyer der Halle CDs, Vinylplatten oder Festival-T-Shirts verkaufen – jene, die gutorganisiert Musiker vom Koblenzer Bahnhof zum Konzertsaal oder zum Hotel fahren – oder jene, die hinter der Bühne den Imbiss für die Musiker herrichten (und alljährlich neue Sonderwünsche zu erfüllen versuchen). Mehr als ein Dutzend Menschen sind jeden Abend am Werk, um das Festival über die Bühne zu bringen – ehrenamtlich. Erklärtermaßen fühlen sie sich wie eine große Familie; die meisten sind bereits seit Jahrzehnten treu dabei. Und wenn der letzte Ton verklungen ist, wissen Werner Oberender und Markus Kelle bereits: "Nach dem Festival ist vor dem Festival." Die 41. Ausgabe ist geplant für den Spätherbst 2018.
Mehr zum Thema