Mikrokosmos

Krieg spielen

43:43 Minuten
Preußische Truppen während des Gefechts bei Markkleeberg
Reenactment: Preußische Truppen während des Gefechts bei Markkleeberg © Deutschlandradio / Philipp Schnee
Von Philipp Schnee · 15.12.2017
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Kanonenknall und Pulverrauch. Hinaus aufs Schlachtfeld, aber bitte Uniform sauber halten! Jahr für Jahr treffen sich begeisterte Geschichtsnerds, um die Völkerschlacht bei Leipzig möglichst originalgetreu nachzuspielen. Es ist nur eines von unzähligen historischen Reenactments, die sich in der westlichen Welt etabliert haben. Philipp Schnee hat sich unter die Armisten gemischt.
"16. Oktober anno 1813": Es ist Krieg und alle wollen hin an diesem Oktoberwochenende in Leipzig. Eine Schlacht mit schätzungsweise 100.000 Toten, ein unglaubliches Gemetzel, wird nachgestellt. Die Völkerschlacht von Leipzig war der Showdown zwischen Napoleons Truppen und jenen der alliierten Monarchen aus Preußen, Russland und Österreich. Und sie kommt alljährlich zur Wiederaufführung. Dieses Mal sind 700 Laiendarsteller angereist - werktags Versicherungsangestellte und Beamtinnen, hier und jetzt in originalgetreuer Uniform. Aber warum machen die das? Ist das nur ein nettes Hobby oder hat das Schauspiel einen erinnerungspolitischen Nutzen? Warum wollen so viele Menschen echt, unverstellt, "authentisch" Krieg und Sterben nacherleben?
Siegfried Meurer als Oberbefehlshaber der rheinbündischen Artillerie. Der Kripo-Beamte in napoleonischer Uniform spielt seit Jahren einen Franzosen.
Siegfried Meurer als Oberbefehlshaber der rheinbündischen Artillerie. Der Kripo-Beamte in napoleonischer Uniform spielt seit Jahren einen Franzosen.© Deutschlandradio / Philipp Schnee
"Wir wollen ja nicht Krieg vermitteln, das wäre ja Unsinn", sagt der "Oberkommandierende der rheinbündischen Artillerie", Siegfried Meurer. Ein Leipziger Kripobeamter mit amtlichem Schnauzer in napoleonischer Uniform.
Zeltlager mit guten Feinden
Preußische Infanterie und sächsische Kanoniere, die Feinde von einst, zelten heute friedlich nebeneinander. Das ist der völkerverständigende Mehrwert solch einer Veranstaltung, sagen die Veranstalter: "Kriegsfeuer 1813, Friedensfeuer heute". Französische Marinegarde und preußische Landwehr treffen sich beim Zähneputzen.
Anreise in Markkleeberg
Hunderte Laiendarsteller nehmen am Reenactment der Völkerschlacht von Leipzig in Markkleeberg teil - in originalgetreuer Uniform © Deutschlandradio / Philipp Schnee
Aber ganz ohne Nationalcharakter geht es dann doch nicht. Der Polizeikommissar aus Leipzig, der seit Jahren einen Franzosen spielt, meint: Die Preußendarsteller seien viel zu preußisch. Echte französische Lebensart finde man nur bei den Franzosendarstellern.
Der Preußendarsteller hingegen sieht es so: Die französische Disziplin lasse zu wünschen übrig. Den richtigen Zug, den finde er nur bei den Preußen. Und die Magd sucht rebellische Vorbilder: Ungehorsam sei eine preußische Tugend in der Zeit der napoleonischen Kriege gewesen. Außerdem lässt sie beim Reenactment gerne mal "das Weibchen raushängen". Alte Rollenklischees bedienen - hier darf man das noch.
Das Schlachtfeld als Hobby
Kurz vor der Schlacht wird es richtig ernst. Am Vormittag wird das Schwarzpulver fürs Gefecht ausgeteilt, die militärischen Stäbe rufen zur Befehlsausgabe, in einem langen Zug marschieren Infanteristen, Artilleristen, Trommler und Flötisten zum Gefecht. Mit etwas Verspätung, kurz nach 14:30 Uhr, dann der erste Knall. Sehr laut. Ein Live-Kommentator ordnet für die Zuschauer ein, weist auf die historisch korrekte Darstellung hin. Nur eins bleibt doch recht unhistorisch: Verluste gibt es kaum. Tote und Verletzte bleiben keine auf dem Schlachtfeld zurück. Die schmucke Uniform soll schließlich geschont werden.
Die Ruhe vor dem Gefecht: Reenactor-Soldaten in Bereitstellung
Die Ruhe vor dem Gefecht: Reenactor-Soldaten in Bereitstellung© Deutschlandradio / Philipp Schnee
"Manche werden süchtig nach dem History Flash, also dem Moment, wo man als Darsteller um sein Leben zittern muss", sagt der Nordamerikanist Wolfgang Hochbruck, der sich seit Jahren wissenschaftlich mit Reenactments auseinandersetzt. Er hat selbst früher reenactet und kennt die Situation am Schlagbaum einer Zwölf-Pfünder-Kanone, die sich so täuschend echt anfühlt. "Aber das ist natürlich Quatsch, denn was man da abruft, sind wahrscheinlich Historienfim-Bilder." Viele der Reenacter, glaubt Hochdruck, sind "Kostüm-Camper", die dieses Hobby aus Geselligkeit betreiben. Für einige aber könne dieses Spiel "Brechtsche Lehrstückqualität" haben und einen neuen Zugang zur Geschichte schaffen.
Gut 25.000 Euro kostet eine Generalsuniform. Von den Brillen über die handgenähten Knopflöcher bis hin zum "Gewebehaken" und der Knochensäge der Feldchirurgen soll hier alles originalgetreu sein. Man will sich nicht blamieren. Aber das Gebot der Authentizität bildet auch das Regelwerk fürs Spiel. Am Ende bleibt die Frage: Weiß ich mehr über Geschichte, wenn ich ein paar Meilen in Holzschuhen gelaufen bin? Was ist relevantes historisches Wissen? Geschichte wird gemacht. Und zwar selbst.