Mikrokosmos

Weitersagen! Das Edelweißpiratenfestival

43:45 Minuten
Das Publikum feiert die Band auf dem Edelweißpiraten-Festival 2018 in Köln.
Das Edelweißpiratenfestival zieht ein bunt gemischtes Publikum an © Deutschlandradio / Manuel Gogos
Von Manuel Gogos · 24.08.2018
Audio herunterladen
Umsonst und draußen, entspannt, aber meinungsstark: Das Edelweißpiratenfestival ist fester Bestandteil der Kölner Musikkultur. Auch 2018 wurde der Friedenspark wieder zur Bühne für Bands, die den Edelweißpiraten ihre Reverenz erweisen.
Das Edelweißpiratenfestival ist seit Jahren ein fester Bestandteil der Kölner Subkultur. Dieses Jahr stand das Festival unter dem Motto "Weitersagen". Weitererzählt, weitergegeben gegeben werden soll hier die Geschichte der "Edelweißpiraten" – einer Gruppe Jugendliche, die sich während der Nazizeit weigerten, in der Schule den Hitlergruß zu zeigen, die es wagten, im Kölner Hauptbahnhof regimekritische Flugblätter regnen zu lassen. Und für die Musik ein Ausdruck ihres Widerstandes war.
Weltoffenheit und Nonkonformismus
Der Kölner Friedenspark, das sind überwucherte Ruinen, alte Festungsmauern, verwinkelte Wege, riesige alte Bäume. Zur Zeit des Nationalsozialismus paradierte hier die Hitlerjugend, in diesem Rosengarten, wo keine einzige Rose blüht. Hier haben sich aber auch die Edelweißpiraten getroffen, um mit der HJ ihr gefährliches "Räuber und Gendarm" zu spielen oder ihre verbotenen Lieder zu singen. Heute werden hier fünf Bühnen bespielt. Von zwanzig Bands, die den Edelweißpiraten ihren Tribut zollen: Indem sie eines ihrer Lieder interpretieren, oder ihnen ein Lied widmen, geschrieben im Geist von Weltoffenheit und Nonkonformismus.
Musik soll Mut machen
"Wenn Stiefel wieder stramm marschieren. Wenn Gewalt und Hass die Luft verseucht, die Bücher wieder brennen, Glatzen, Fratzen wieder schrein, durch die Straßen Rennen. Wenn du den Mut in dir erkennst, wenn die Angst dich nicht verschlingt, dann bist du ein Edelweiss. Sei ein Edelweiss. Du bist ein Edelweiss, ein Edelweisspirat." Texte wie der des Musikers Jörg Schnabel sollen an die Jugendlichen erinnern, die sich nicht einschüchtern ließen. Aber auch einer heutigen Generation Mut machen, sich gegen Repressalien und Ungerechtigkeit zu wehren.
Regional und International
Unter den Interpreten sind Bands mit stark lokalem Bezug, wie die Straßenpolka-Formation "Schlagsaite" oder Klaus der Geiger, der vielleicht berühmteste Straßenmusiker Deutschlands. Aber auch Formationen mit internationale Orientierung, wie die deutsch-polnische Chansonsängerin Margou Keir:
"Ich bewundere die [Edelweißpiraten Anm. d. Red.]. Wie die reingerutscht sind. Die wollten Musik machen, langes Haar haben, draußen sein, frei sein, nicht reglementiert, nicht bestimmt. Sie haben sich entwickelt, je älter sie wurden, desto politischer wurden sie. Sie sind abgehauen, haben die Wände bemalt, sie wurden abgehärtet, schlauer auch, erwachsener. Sie lernten mit der Angst zu leben. Wie auch wir das jetzt lernen müssen. Mit der Angst, dass die Rechten Überhand bekommen. Die dummen Überhand bekommen, die Bösen."
Bunt gemischtes Publikum
Das Festivalpublikum kommt aus Köln und der ganzen Welt. Man sieht echt kölsche Typen mit langen schlohweißen Haaren und Bärten und breitkrempigem Hut. Aber auch hedonistisches Neo-Hippievolk, barfuss und mit Kettchen behangen. Familien und Pärchen machen es sich auf einer der vielen Grünflächen gemütlich, packen Decken aus und picknicken.
Jan Krauthäuser, der Initiator des Festivals, möchte Musik zum Ereignis machen.
Seit vierzehn Jahren findet in Köln das Edelweißpiratenfestival statt und ist damit Teil des regionalen Brauchtums geworden. 2018
Jan Krauthäuser, der Initiator des Edelweißpiratenfestivals, möchte Musik zum Ereignis machen. Brauchtum und linke Kultur passen für ihn gut zusammen.© Deutschlandradio / Manuel Gogos
Musik und Information
Parallel zu den Konzerten findet im Festungsbau des Friedensparks eine Ausstellung des NS-Dokumentationszentrums Köln zur Geschichte der Edelweißpiraten statt. Über Jean Jülich, der einem Kiosk-Besitzer, einem NSDAP-Parteigänger, eine schwere Kette um den Kiosk gelegt hat und diese an eine Straßenbahn gehängt hat. Oder über Mucki Koch, die aus kommunistischem Elternhaus kam, in der Schule den Hitlergruß nicht zeigte, Flugblätter verteilte und im Gestapo-Gefängnis von Köln monatelang gefoltert worden ist.
Emotionen und Erinnerung
Organisiert wird das Festival von Jan Krauthäuser. Der Grafikdesigner und Konzertveranstalter sagt: "Musik ist ursprünglich von Festkultur geprägt, eigentlich wurde sie für bestimmte Anlässe produziert. Unser Festival zielt auf diesen gemeinschaftsbildenden Charakter in der Musik. So ist das Edelweißpiratenfestival ja auch entstanden: Durch die Begegnung alter Zeitzeugen mit einer jüngeren Generationen, die ebenfalls gesellschaftskritisch ist. Was mich angetrieben hat, das Edelweißpiratenfestival zu gründen und die Geschichten der Edelweißpiraten im Brauchtum zu verankern: Das kollektive Gedächtnis braucht auch emotionale Aspekte, und da ist so ein Festival eine gute Möglichkeit. Um neue Formen des Erinnerns zu finden, die andere Erfahrungen mit dem Thema NS-Zeit ermöglichen. Auch über die Zeitzeugenschaft hinaus. Zumal die letzten Zeitzeugen ja nun verstorben sind. Da ist es an uns, ihre Geschichte weiterzusagen!"