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Milchwirtschaft
Von der Milchquote zur Freiluftmilch

Seit dem 1. April gibt es keine Milchquote mehr. Die EU hatte sie vor 30 Jahren eingeführt, um Milchseen zu verhindern. Dennoch sind viele Milchbauern heute existenziell bedroht. Das hat oft andere Gründe. Neue Programme und Qualitätssiegel sollen gegensteuern.

Von Franziska Rattei | 16.06.2015
    Eine Milchkuh steht auf einer Weide.
    Der Wegfall der Milchquote scheint in Niedersachsen nicht ins Gewicht zu fallen. (picture-alliance / dpa / Horst Ossinger)
    Ottmar Ilchmann ist Milchbauer in Ostfriesland. Er hat rund 60 Kühe und baut das Futter für seine Tiere selber an. Noch kann Ilchmann davon leben, aber der niedersächsische Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), kennt genug Kollegen, die schon aufgegeben haben. Die Milchpreise sind einfach zu niedrig, klagt Ilchmann:
    "Es ist auf Dauer schon hart. Es gibt ja schon Dörfer, wo nur noch ein oder zwei Bauern übrig geblieben sind. Manchmal gibt es auch gar keine Landwirte mehr im Ort. Und das ist eigentlich ein ländlicher Raum, wie wir ihn uns nicht vorstellen."
    Der Milchbauer spricht das Höfesterben in Niedersachsen an, das aber auch ein bundesweites Phänomen ist. Allein in der zweiten Jahreshälfte 2014 haben 1.200 Milchvieh-Betriebe aufgegeben. Gleichzeitig werden die übrigen Höfe immer größer, und die Tiere immer produktiver.
    Allerdings, meint der AbL-Vorsitzende, mit der gefallenen Milchquote hat das wenig zu tun. Das Problem ist vielmehr die Marktkonzentration: Riesige Molkereien und einige wenige Einzelhandelsketten diktierten den Markt. Der einzelne Milchbauer könne dann nur noch mit den Konsequenzen umgehen. Das heißt zur Zeit: weniger als 30 Cent pro Liter Milch. Eine Krisensituation, sagt auch Christian Meyer, Niedersachsens grüner Landwirtschaftsminister:
    Das Weide-Milch-Programm der Ministerin
    "Dann muss interveniert werden; eigentlich nicht mehr durch Aufkäufe, sondern durch Anreize für Bauern, einen Mengenverzicht zu machen. Also dass Bauern, die freiwillig reduzieren von Bauern, die überliefern, honoriert werden. Deshalb müssen wir auf EU-Ebene gegensteuern, der Bund muss handeln, muss in der Krise intervenieren, und wir als Land sind auch bereit, zusammen mit Bauern einige Maßnahmen zu treffen."
    Der niedersächsische Landwirtschaftsminister meint ein Weide-Milch-Programm, das vergangenes Jahr angelaufen ist: Milchbauern, die ihre Kühe draußen grasen lassen, sollen finanziell unterstützt werden, und es soll ein Label geben, das Verbrauchern anzeigt, welche Milch fair bezahlt und aus Freilufthaltung stammt. Ein weiteres Instrument, um weiterhin als Milchbauer überleben zu können sind Erzeuger-Gemeinschaften, meint Romuald Schaber, Vorsitzender des Bundesverbands Deutsche Milchviehhalter.
    "Wir haben ja eine deutschlandweite Erzeuger-Gemeinschaft, das sogenannte "Milchboard" – da können die Bauern Mitglied werden, da können die Bauern letztlich selber ihren Preis durchsetzen. Was bisher fehlt, ist eine ausreichende Teilnahme.
    Milchquotenwegfall macht sich kaum bemerkbar
    Schaber bedauert den Wegfall der Milchquote. Er vergleicht die jetzige Situation mit einem Rennwagen ohne Bremse. Die Bauern hätten gar keine andere Möglichkeit als Gas zu geben, immer größere Betriebe zu führen, aber dann letztlich an den hohen Investitionskosten zu scheitern. Irrglaube, sagt Sascha Weber. Der Makro-Ökonom arbeitet für das Thünen-Institut und analysiert im Auftrag der Bundesbehörde auch die Entwicklung des Milchmarkts. Der Effekt der weggefallenen Milchquote sei in der jetzigen Krisensituation minimal, das Russland-Embargo oder der Export-Rückgang gen China seien stärkere Faktoren gewesen. Längst müssten die Milchbauern gelernt haben, dass der Milchpreis in Drei-Jahres-Zyklen steigt und sinkt.
    "Ich gehe auch wirklich davon aus, dass die meisten Milch-Erzeuger Unternehmer sind, die sehr wohl verstehen, unternehmerische Entscheidungen zu treffen. Und dazu gehört es eben auch, abzuschätzen, wie sich der Markt in naher Zukunft – jedenfalls, so weit es für sie relevant ist – entwickelt und dementsprechend ihre Milchentwicklung planen."
    "Risiko-Management" sei das einzige Rezept, das den Milchbauern auf Dauer Erfolg versprechen könne, so Weber. Die Nachfrage steige, die Export-Quoten bewiesen das. Offen bleibt die Frage, wie viel Risiko Deutschlands Milchbauern noch abfedern, wie lange sie die niedrigen Preise noch verkraften können – ganz unabhängig davon, wer die größte Schuld daran trägt: die Markt-Konzentration, die fehlende Regulierung oder unzureichende Kennzeichnungen für die Herkunft und Bezahlung der Milch. Ohne faire Preise jedenfalls ist die Existenz vieler, vor allem kleiner, Milchbauern bedroht. Für die Verbraucher heißt das: Eine Kuh auf der Weide könnte zur Seltenheit werden.