Donnerstag, 28. März 2024

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Militäreinsätze in der Sahelzone
"Frankreich erlebt ein nationales Desaster"

Die EU ist militärisch in der Sahelzone engagiert, um Terrorismus zu bekämpfen. Frankreich hat noch mal 5.000 eigene Soldaten in die Region geschickt. Aber für dieses Engagement zahle Paris einen hohen Preis, sagte der Sicherheitsexperte Christian Mölling im Dlf.

Christian Mölling im Gespräch mit Frederik Rother | 12.02.2021
Die Särge von französischen Soldaten, die ím Einsatz der "Operation Barkhane" in Mali gefallen sind, stehen am 12. Februar 2019 mit Nationalfarben bedeckt im Hof des Hotel des Invalides in Paris.
Immer wieder kommt es zu Anschlägen und Angriffen auf französische Soldaten in der Sahel-Region. (picture alliance / Julien Mattia)
Die EU ist in vielen Weltregionen präsent, um ihre Interessen zu vertreten, unter anderem auch in der Sahelzone. Zu dieser gehören die Länder Mauretanien, Mali, Niger, Burkina Faso und der Tschad.
Seit einigen Jahren unterstützt die EU, darunter Deutschland und vor allem Frankreich, diese Staaten militärisch. Das Hauptziel: islamistischen Terrorismus vor Ort bekämpfen und die illegale Migration nach Europa einschränken.
Aber die Sahel-Länder sind politisch instabil. Immer wieder kommt es zu islamistischem Terror gegen die Bevölkerung und einheimische Soldaten, aber auch gegen europäische Soldaten oder UN-Blauhelme – die hier ebenfalls stationiert sind. Am Mittwoch (10. Februar 2021) wurden etwa 20 Blauhelme bei einem Angriff verletzt.
Die Sahel-Staaten beraten Anfang kommender Woche mit Frankreich, wie es im Anti-Terror-Kampf weitergehen soll. Wichtig ist und bleibt dabei die Rolle der Europäer – darüber hat Christian Mölling Auskunft gegeben, Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Das Interview im Wortlaut:
Frederik Rother: Angriffe, Anschläge, immer wieder tote Soldaten vor allem aus Frankreich. Wie wichtig ist es, dass die Europäer in der Region präsent sind?
Christian Mölling: Es ist schon wichtig, dass die Europäer in der Region präsent sind, darüber ist man sich glaube ich in der Europäischen Union auch einig, weil Afrika oder einige Regionen in Afrika bis heute immer noch ein erhebliches Sicherheitsrisiko für Europa darstellen, und weil auch die Chancen Afrikas, selber stabil zu werden, dadurch im Grunde genommen minimiert werden.
Der Streit innerhalb der Europäischen Union ist glaube ich im Wesentlichen die Frage, was ist denn die richtige Kombination der Mittel? Wie so oft ist die Frage: Hilft das Militärische? Oder muss das Militärische zuerst kommen und dann kommt das Zivile? Oder muss man es gleichzeitig machen? Und wie schwierig solche Stabilisierungen sind, das zeigt sich gerade in der Sahel-Region, die, das muss man auch dazu sagen, rein von der Fläche noch größer ist als die Europäische Union.

Differenzen in der Europäischen Union

Rother: Warum ist es wichtig, dass diese Region friedlich ist?
Mölling: Na ja, wenn Sie Instabilität in nur einer kleinen Region haben, dann hat das ja sozusagen Ausstrahlungswirkung auf weite Teile des Kontinentes bis hin zu uns nach Europa. Das merken wir auch im Rahmen von Aktivitäten, die mit Kriminalität, organisierter Kriminalität und mit Menschenhandel aber auch mit Terrorismus zu tun haben. Alles das sind Dinge, bei denen man nicht verleugnen kann, dass sie zum Teil zumindest durch die Instabilität in der Sahel-Region vorangetrieben werden. Und deswegen haben wir natürlich mindestens ein eigenes Interesse daran, die Lage dort zu stabilisieren.
Die Frage ist, tun wir genug dafür, um das hinzukriegen? Und da ist der Kompromiss, wie man sich vorstellen kann, wenn man die Europäische Union ansieht, ein sehr schwieriger, weil es letztlich andere Staaten gibt innerhalb der Europäischen Union neben Deutschland und Frankreich, die sagen, der Süden ist uns nicht so wichtig, sondern der Osten ist uns viel wichtiger, Russland ist ein großes Problem, Sie haben das ja auch eben in der Anmoderation gehabt.
Street vendors sell food on the side of the road in the Lazaret district of Niamey on Friday, April 24, 2020 as Muslims prepare to break their fast on the first day of the holy month of Ramadan. The Iftar took place calmly in Niamey after riots in protest against the curfew and the ban on collective prayers, decreed to fight against the spread of the coronavirus.
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Frankreich verzeichnet viele Verluste

Rother: Die EU ist ja seit Jahren mit Missionen dort engagiert, eine wurde jetzt erst bis 2023 verlängert. Frankreich hat etwa 5000 Soldaten da. Was haben denn die Einsätze bisher gebracht? Wie erfolgreich war das?
Mölling: Ich glaube, in Frankreich sehen wir gerade, dass es aktuell, wie soll man sagen, nicht eine Depression, sondern ein nationales Desaster erlebt, weil die Operation Barkhane, die schon länger läuft in der Region, und die im Wesentlichen eine Anti-Terror-Mission ist, in der letzten Zeit viele Verluste eingefahren hat und das in Frankreich dazu führt, dass die Unterstützung für die Militärmission zurückgeht.
Ob das jetzt nur für diese Militärmission ist oder möglicherweise noch weiter ausschweift, das bleibt glaube ich zu abzuwarten. Klar ist aber, Frankreich zahlt einen hohen Preis für etwas, was es mindestens seit 2015, seit den Anschlägen in Paris als eine nationale Aufgabe begriffen hat.

Dem Terrorismus "das Wasser abgraben"

Und ich glaube, das ist ein wichtiger Unterschied, den man machen muss. Für Frankreich ist dieser Einsatz dort vor allen Dingen ein Einsatz zur Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit. Man hat sich damals 2015 durch die Anschläge so stark getroffen gesehen, dass man versucht, dem Terrorismus frühzeitig, also geografisch gesehen frühzeitig, das Wasser abzugraben. Und das erklärt zum großen Teil das französische Vorgehen. Damit sind aber auch all die Fallen verbunden, die Terrorismusbekämpfung in einer großen Fläche und einem instabilen Staat einfach mit sich bringt.
Rother: Bleiben wir mal eben bei Frankreich. Ist denn der Terror in Frankreich wirklich verbunden mit der Situation in der Sahelzone?
Mölling: Also, es verbietet sich bei so komplexen Themen wie Sahel, wie gesagt, das ist eine riesige Region, die so groß ist wie die Europäische Union, von einem einzelnen Faktor auszugehen, der alles vorantreibt. Aber natürlich spielen die Sachen zusammen. Es gibt in der Region die Möglichkeit, zumindest die nicht vorhandene staatliche Macht, also Polizei, Militär, dafür zu nutzen, Ausbildungscamps einzurichten, Leute auszubilden, auch Geld damit zu verdienen, dass sie Drogen schmuggeln et cetera, et cetera. Natürlich hat das eine Auswirkung, und das hat Frankreich glaube ich auch so gesehen.

Paris fehlen die Partner

Das wesentliche Problem für Frankreich mit Blick auf die Europäische Union zurzeit ist, dass es halt wenig Partner dabei hat, die dieses Interesse verstehen. Und Frankreich hat sich schon vor einigen Jahren darauf verlegt zu sagen, okay, dann haben wir wahrscheinlich keine andere Möglichkeit, als unsere nationale Sicherheit so herzustellen, dass wir immer wieder mit Militär in die Region gehen, versuchen, das Problem so klein wie möglich zu machen, und dann werden wir wieder rausgehen müssen, weil die Europäische Union selber eben nicht bereit ist, verstärkte oder so große Aktivitäten für Mali oder die Sahel-Region zusammenzustellen.

Terrorbekämpfung in Deutschland ein schwieriges Thema

Rother: Stichwort Partner, heißt das, Berlin und Paris ziehen nicht immer am gleichen Strang?
Mölling: Terrorbekämpfung ist für Deutschland im Prinzip sowieso schon erst mal eine schwierige Thematik, also alles, was mit Kampfeinsätzen zu tun hat, da gibt es eine gewisse Allergie in weiten politischen Kreisen in Berlin. Dann müssen wir noch erklären, warum wir das in Afrika machen, das ist glaube ich emotional für uns sehr weit weg; ob das gut oder schlecht ist, will ich gar nicht bewerten.
Und einen dritten Punkt muss man noch hinzufügen. Wir haben grundsätzlich, und ich glaube, das ist nicht total verkehrt, den Ansatz zu sagen, das Militärische ist vielleicht ein Teil des Ganzen, ist es aber nicht die Lösung des Ganzen. Und dementsprechend unterstützen wir Frankreich nur so weit, wie es eigentlich auch unserer nationalen Sicherheitskonzeption entspricht und das ist nicht primär die Bekämpfung von Terrorismus mit militärischen Mitteln, sondern tatsächlich sehr viel mehr, dass wir sagen, da müssen erstens mehrere Instrumente ineinander greifen, und zweitens es ist gut, wenn solche Aktivitäten nicht durch deutsche Streitkräfte ausgetragen werden, sondern dass wir die Streitkräfte und die Polizeieinheiten in der Region befähigen, das selber zu machen.
Also die malischen Soldaten und Polizisten ausbilden, die dann für ihre Sicherheit selber sorgen. Denn ansonsten passiert Ihnen das, was Frankreich zurzeit passiert, nämlich, dass die Zustimmung für die Operation auch in der Region selber, also in Mali abnimmt, und Sie von Freunden zu Feinden werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.