Freitag, 19. April 2024

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Militäroffensive gegen den IS
"Der Westen ist total zerstritten"

Der frühere US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum, rechnet nicht mit einer militärischen Lösung im Irak. Wenn man aber gegen die IS-Terrortruppe nicht vorgehe, könne man keine normale Gesellschaft aufbauen, sagte Kornblum im DLF. Er forderte die Europäer auf, sich im Nahen Osten stärker zu engagieren.

John Kornblum im Gespräch mit Sandra Schulz | 18.10.2016
    John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland, aufgenommen am 09.10.2016 während der ARD-Talksendung "Anne Will" zum Thema "Friedensgespräche abgebrochen - Ist Aleppo verloren?"
    John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland. (picture alliance/dpa - Karlheinz Schindler)
    Auf die Frage, wie es weiter gehe, wenn der IS vertrieben sei, meinte Kornblum, es sei nicht Aufgabe der USA zu vermitteln, sondern eine Aufgabe des Westens. Dieser sei aber auf ein längerfristige "Kampagne" nicht vorbereitet. "Wenn die EU-Außenministerin [redaktionelle Anmerkung: EU-Außenbeauftragte Mogherini] sagt, sie ist stolz, dass die EU nicht engagiert ist, wenn der deutsche Außenminister sagt, er macht jetzt eine Friedenskampagne und er will nichts mit Eingreifen zu tun haben (…), dann sehen Sie, dass der Westen eigentlich total zerstritten ist."
    Kornblum geht davon aus, dass der Nahe Osten eine "generelle Neuordnung" erlebe. Dieses Gebiet sei vor allem für Europa strategisch sehr wichtig. Der frühere US-Botschafter appellierte an die Europäer, "gemeinsam zu handeln". Die USA seien derzeit leider der einzige Akteur. "Das ist genau das Problem." Der Rest des Westens beteilige sich nicht.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Am Telefon ist John Kornblum, der frühere US-Botschafter in Deutschland. Guten Morgen!
    John Kornblum: Guten Morgen!
    Schulz: Wie erklären Sie sich denn den Zeitpunkt für den Beginn der Offensive jetzt? War das eine autonome Entscheidung der irakischen Regierung, oder brauchte Barack Obama diesen Erfolg jetzt noch?
    Kornblum: Das kann ich natürlich nicht sagen. Die Kampagne gegen ISIS ist seit Langem unterwegs, Mossul ist seit Langem ein wichtiger Stützpunkt, den man übernehmen wollte. Ich nehme an, dass das militärische Kriterien waren, die diese Entscheidung unterstützt haben.
    Schulz: Wenn jetzt eine militärische Lösung angestrebt wird, stellt sich die Frage, stelle ich Ihnen die Frage: Sehen Sie das, wird es die geben?
    Kornblum: Na ja, das ist natürlich die Frage, die immer wieder gestellt wird. Wir leben in einer Zeit der Unordnung, und dieser Teil der Erde, der Nahe Osten, die arabischen Staaten sind vor allem von Unordnung, auch von Tragödie erfasst worden. Es gibt natürlich keine militärische Lösung, es gibt aber auch keine Lösung, ohne dass man die Streitkräfte von ISIS schwächt oder sogar besiegt. Man kann keine normale Gesellschaft aufbauen, wenn so eine Terrortruppe überall läuft, wie es in den letzten zwei, drei Jahren gewesen ist.
    "Der Westen ist auf eine solche längerfristige Kampagne nicht vorbereitet"
    Schulz: Jetzt gibt es die große Sorge, dass die Auseinandersetzungen sogar weitergehen, wen der IS erst mal vertrieben ist. Wir haben es gerade gehört, die Vorwürfe schwerer Menschenrechtsverstöße. Und die Peschmerga werden eben nicht von allen als Befreier gesehen. Wie wollen die USA denn da vermitteln?
    Kornblum: Erstens, diese Sache ist nicht Aufgabe der USA. Es ist eine Aufgabe des Westens. Und das Problem im Moment - wir sehen das überall - ist, dass der Westen auf eine solche längerfristige Kampagne nicht vorbereitet ist. Wenn die EU-Außenministerin sagt, dass sie stolz ist, dass die EU nicht engagiert ist, wenn der deutsche Außenminister sagt, er macht jetzt eine Friedenskampagne, und will nichts mit Eingreifen zu tun haben, wenn auch Donald Trump sagt, dass er Putin bewundert, dann sehen Sie, dass der Westen eigentlich total zerstritten ist. Das ist das Hauptproblem. Zweitens, wie gesagt, der Nahe Osten ist seit Jahren im Aufruhr, der Nahe Osten wird jetzt wahrscheinlich eine generelle Neuordnung erleben, und da müssen wir gefasst sein, dass es eine ganz lange, lange Kampagne sein wird.
    Schulz: Also die USA sind da jetzt gar kein herausgehobener Akteur mehr, verstehe ich Sie da richtig? Das wäre ja neu.
    Kornblum: Nein, wir sind leider der einzige Akteur, das ist genau das Problem. Der Rest des Westens findet mehr oder weniger nicht statt. Aber das bedeutet nicht, dass es nur Sache der Vereinigten Staaten ist. Der Nahe Osten ist vor allem ein Gebiet, das für Europa strategisch sehr wichtig ist. Und man muss versuchen, so gemeinsam wie möglich zu handeln, und es gibt auch Gemeinsamkeiten. Im Endeffekt sind die Amerikaner der einzige Akteur, weil wir die Einzigen sind, die die Ressourcen und auch sozusagen das politische Engagement haben, so präsent zu sein.
    "Die Russen wollen immer den Frieden auf der Basis von Assad bauen"
    Schulz: Ja, John Kornblum, jetzt haben Sie das Wort noch nicht in den Mund genommen, aber wir landen zwangsläufig bei der Diskussion um Syrien. Unterstellend dass es vielleicht gelingt, den IS zurückzuschlagen aus Mossul, dann bliebe ja Syrien immer noch als Rückzugsgebiet für den IS. Und gerade da gibt es nun seit Jahren kein Vor und Zurück. Welche Optionen haben die USA?
    Kornblum: Die Optionen sind natürlich sehr begrenzt. Man versucht, weil es auch vernünftig ist, man versucht, so energisch wie möglich mit Russland zu verhandeln, zu sehen, ob es eine gemeinsame Basis geben kann. Und Russland – ich unterstelle nicht, dass Russland auch keinen Frieden haben möchte –, aber die Russen wollen immer den Frieden auf der Basis von Assad bauen. Und das ist unmöglich, wie die meisten wissen, wie auch Russen zugeben würden. Und bis wir zu einem Zeitpunkt kommen, wo die Parteien außerhalb - das sind der Westen, die Vereinigten Staaten, die Europäer, aber auch die Koalition mit den Arabern und auch mit den Russen -, bis wir zu dem Zeitpunkt kommen, dass wir eine gemeinsame Verhandlungsbasis haben, wird es sehr schwierig sein, und es wird eine Tragödie sein. Im Endeffekt erwarte ich, dass man vielleicht eine große gemeinsame Konferenz, vielleicht unter dem Dach der UNO, macht, um vielleicht ein paar Gemeinsamkeiten zu finden.
    Schulz: Wobei ja gerade die Vereinten Nationen wegen dieser Ausgangslage ja auch zerstritten sind. John Kornblum, Sie sagen jetzt, da werde energisch verhandelt. Darüber bin ich insofern ein bisschen überrascht, dass diese Beschreibung ja von Ihnen kam, immer wieder: Die "soft powers" in der europäischen Außenpolitik, die können nur zusammen mit den "hard powers" der USA erfolgreich sein. Und mit diesen hard powers, mit denen hat es ja offenbar Barack Obama nicht so sehr. Hat er die US-Außenpolitik europäisiert?
    Kornblum: Nein, das würde ich nicht sagen. Ich würde sagen, dass wir das andersherum sehen. Politiker sind Menschen, die auf der Basis von Stimmen überhaupt arbeiten müssen, und das heißt öffentliche Meinung. Und die öffentliche Meinung im Westen ist gegen Eingreifen, gegen militärische Unterstützung. Das stimmt. Das ist in den Vereinigten Staaten genauso stark wie in Europa. Es handelt sich nicht nur um den Nahen Osten, sondern auch, sagen wir, um die Ukraine zum Beispiel, und wir sind in einer Phase, die nicht außergewöhnlich ist, wo westliche Demokratien zerstritten sind, wo die westliche Öffentlichkeit nicht einsieht, warum man für die Freiheit oder für die Stabilität von anderen auch Soldaten dahinschicken soll. Für die Vereinigten Staaten ist es auch das Ergebnis von jetzt fast 15 Jahren von Kriegen im Nahen Osten, die teilweise, wie wir wissen, sehr unvernünftig waren, aber die waren da, wir können das nicht aus der Welt wünschen. Das heißt, der Westen befindet sich im Moment wirklich in einem sehr schwachen Zustand. Und mein einziger Punkt hier ist, die Vereinigten Staaten sind natürlich das Land, das die Führung übernehmen muss, aber im Endeffekt ist das nicht ein Interesse der Vereinigten Staaten allein. Es ist hauptsächlich ein europäisches Interesse.
    "Putin meint offensichtlich, er kann den Westen an der Nase herum führen"
    Schulz: Aber zeichnet sich das denn ab? Wir haben jetzt gerade wieder die Verhandlungen, die erst wieder geplatzten Verhandlungen zwischen den Außenministern Kerry und Lawrow beobachtet, diese Zuspitzungen, das Gebrüll auch. Und jetzt verfügt Moskau einseitig sozusagen kraft Moskauer Gnade eine Feuerpause für den kommenden Donnerstag. Also, das wird weiterhin die Strategie sein der USA, das zu nehmen, was man kriegen kann?
    Kornblum: Im Moment ja. Ich glaube, wir sind, wie man ja wohl sehr wohl weiß, mitten in einem Wahlkampf. Ich glaube, dass es eine längerfristige Strategie geben wird, nur nachdem wir eine neue Präsidentin – und es ist ziemlich klar, dass wir eine Präsidentin haben werden. Im Moment, wie gesagt, sind wir in einer ziemlich unglücklichen Lage. Nicht nur, dass die Russen eine ganz andere Strategie haben, sondern auch, dass Putin offensichtlich meint, er kann den Westen so an der Nase herum führen, wie er will. Es ist, wie gesagt, nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in Europa. Diese Sache können wir wahrscheinlich im Moment nicht ändern, weil Wahlkampf ist Wahlkampf. Aber ich hoffe, im neuen Jahr, nachdem wir eine neue Regierung haben, nachdem die Europäer es ein bisschen überlegt haben, was da los ist, dass wir vielleicht eine etwas entscheidendere gemeinsame westliche Strategie haben können.
    Schulz: Der frühere amerikanische Botschafter in Deutschland, John Kornblum, heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Danke Ihnen ganz herzlich für die Einschätzungen!
    Kornblum: Ich bedanke mich!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.