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Milliarden in den Untergrund

Streit um den Kanalanschluss gibt es immer wieder in deutschen Dörfern. Wer den zentralen Anschluss infrage stellte, dem wurde meist beschieden: Anweisung der Europäischen Union. Doch das stimmt so nicht.

Von Jule Reimer | 07.03.2007
    Martin Ebert ist Sprecher der Bürgerinitiative Aqua im mecklenburg-vorpommerischen Wöbbelin. Er will

    "grundsätzlich erstmal, dass das Wasser auf dem Grundstück verbleibt. Denn ich sag mal, jeder Transport kostet Geld."

    Aqua rebelliert gegen den Anschluss des 800-Seelen-Sorfes Wöbbelin an Kanalisation und Zentralkläranlage. Der pensionierte Schulleiter Joachim Thiede streitet mit:

    "Wenn man nun jedem Haushalt seine kleine Kläranlage gestatten würde und dann noch Pflanzenbeete in Gruppen anlegen würde, dann hätten wir hier die Möglichkeit, jeden Kubikmeter Wasser, der einmal in die Kläranlage geht, am Ende für unsere Gärten zu nutzen."

    Till Backhaus, mecklenburg-vorpommerischer Umweltminister:

    "Ja, die Qualität der Gewässer hat sich seit 1990 sehr positiv entwickelt. Hinzu kommt, dass mit dem Aus- und Neubau von kommunalen Kläranlagen aber auch im privaten Bereich sehr viel passiert ist. Und Mecklenburg-Vorpommern ist ja bekanntermaßen heute das Bundesland mit dem saubersten Wasser in Deutschland."

    Soviel Erfolg hat seinen Preis. Fast zwei Kilometer erstreckt sich Wöbbelin entlang der Bundesstraße 106. Da kommt einiges an Kanalrohr zusammen, zumal auch der Anschluss an die Nachbarstadt erwogen wird. Die Aqua-Vorsitzende Jutta Nagel hat bereits Post vom Abwasserzweckverband erhalten:

    "Also angegeben hat man uns ungefähr 5000 Euro, aber wir gehen davon aus, dass das nicht alle Kosten sind. Die ganze Kanalisation ist in diesem Plan nicht angegeben, es geht also bei diesen ganzen Kostenvorschlägen nur darum, was das Klärwerk kosten wird."

    Streit um den Kanalanschluss gibt es immer wieder in deutschen Dörfern. Wer den zentralen Anschluss infrage stellte, dem wurde meist beschieden: Anweisung der Europäischen Union. Neuerdings zeichnet sich eine Wende ab. Das sächsische Umweltministerium im Oktober 2006:

    "Bis zum Jahr 2015 soll - so die Vorgabe aus Brüssel - auch in weniger dicht besiedelten Gebieten die Abwasserentsorgung dem Stand der Technik angepasst werden. Die Errichtung von Kanalisationen ist dabei - im Gegensatz zur Abwasserentsorgung in Verdichtungsgebieten - nicht mehr zwingend vorgeschrieben."

    Irrtum. Zwingend vorgeschrieben hat Brüssel den Anschluss an zentrale Kläranlagen nie:

    "Für den Bürger als erstes sichtbar ist: Der Fluss, der Bach und der See ist eine schmutzige Kloake, er stinkt. Alle unsere Flüsse enden in regionalen Meeren. Diese Meere leiden unter Überdüngungen, zuviel Stickstoff und zuviel Phosphor produzieren Massenwachstum von Algen bis hin zum Umkippen von manchen Wasserbereichen."

    Helmut Blöch, EU-Generaldirektion Umwelt.

    Lange ergossen sich die Abwässer vieler europäischer Städte ungeklärt in die Natur. Bis die EU 1991 die Richtlinie 91/271 über die Behandlung kommunaler Abwässer erließ. Diese schreibt fest, dass Fäkalien ins Klärbecken gehören und dass Abwasser vor der Einleitung gereinigt werden muss. Für Städte bieten sich im Regelfall zentrale Kläranlagen als kostengünstige Lösung an, aber, so erklärt Helmut Blöch:

    "Die EU-Wassergesetzgebung ist flexibel, was die Wege zur Erreichung des Zieles angeht. Ob also im ländlichen Raum jedes Dorf seine eigene Kläranlage bekommt oder ob es gemeinsame Lösungen gibt oder ob man sich an die benachbarte Stadt anhängt, ist eine Entscheidung, die vor Ort von den Kommunen der Mitgliedsstaaten getroffen wird und nicht aus Brüssel."

    Dreistellige Milliardenbeträge sind seither EU-weit in die Abwasserentsorgung geflossen, milliardenschwer gefördert durch Brüssel. Dennoch klagen vor allem in Ostdeutschland die Angeschlossenen über hohe Kosten. Wo die Bevölkerung zurückgeht und der Sanierungsbedarf wächst, werden die Abwassergebühren noch steigen. Lutz Ribbe von der Naturschutzorganisation Euronatur befürwortet die EU-Abwasser-Richtlinie, ihre Umsetzung findet er weniger gelungen:

    "Ich glaube, es ist die Unwissenheit der Bürgermeister, die nicht wissen, was sie tun können, was Europa ihnen alles eröffnet. Und da ist auch Schindluder getrieben worden. Weil: Wo viel Geld ausgegeben wird, wird auch viel verdient, hier ist die Bauindustrie daran interessiert, lange Kanalleitungen zu legen und große Kläranlagen zu bauen. und auch die Ingenieure haben großes Interesse, das zu tun, denn daran verdienen sie Geld."

    Auch bedarfsgerecht geplante Kanal- und Kläranlagen verursachen hohe Fixkosten. Deshalb darf sich nicht jeder beliebig aus dem Solidarsystem öffentliche Abwasserentsorgung ausklinken. Aber Naturschützer Ribbe hält gerade in Dörfern Hauskläranlagen für eine technisch ausgereifte und billigere Alternative:

    "Man hat in der Vergangenheit große Fehlinvestitionen gemacht. und man sollte den Mut haben, auch mal nachzudenken, eine Kläranlage aufzugeben und ganz neue Lösungen anzustreben."

    Das meint die Wöbbeliner Bürgerinitiative auch. Die Millionenzuschüsse der EU für einen Zentralanschluss hat der Gemeinderat abgelehnt.