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Millionenerbin auf Abwegen

Die Entführung der Millionenerbin Patricia Hearst durch die Terroristenorganisation "Symbionese Liberation Army” war eine der spektakulärsten Fälle der amerikanischen Kriminalgeschichte. Die Neunzehnjährige schloss sich ihren Entführern an und nahm an Raubüberfällen teil. Nach ihrer Verhaftung gab sie an, zu den Überfällen gezwungen worden zu sein. Am 4. Februar 1974 wurde Patty Hearst in San Franzisco gekidnappt.

Von Barbara Jentzsch | 04.02.2009
    "There has been a big kidnapping on the West coast. The victim is Patricia Hearst, the daughter of newspaper executive Randolph Hearst and the granddaughter of the legendary William Randolph Hearst.”"

    Die CBS Nachrichten melden das Kidnapping der amerikanischen Zeitungserbin Patty Hearst. Das bizarre Kapitel stammt aus den politisch bewegten, repressiven siebziger Jahren. Damals erschütterten Rassenkonflikte, der Vietnamkrieg und Nixons Watergate die Nation. Von der Presse wurde die Entführung rund um die Uhr in schier endlosen Variationen ausgebreitet.

    Die Story der Patty Hearst begann am 4. Februar 1974. Es war die von Sex-und-Crime-Gerüchten überwucherte Geschichte einer jungen Millionenerbin - einer unpolitischen Studentin, die sich unter großem Druck ihren linksradikalen Entführern anschloss, sich von ihren Eltern lossagte, auf ihre Privilegien verzichtete, Banken überfiel, Bomben legte und via Tonband als die Revolutionärin "Tanya” grüßte, als Soldatin der SLA, der obskuren, quasi aus dem Nichts aufgetauchten sogenannten "Symbionesischen Befreiungsarmee”.

    ""Man hat mich vor die Wahl gestellt, mich entweder an einem sicheren Ort freizulassen oder mich der 'Symbionese Liberation Army' anzuschließen, um für meine Freiheit und die Freiheit aller unterdrückten Menschen zu kämpfen. Ich habe mich entschlossen zu bleiben und zu kämpfen. Man hat mir den Namen Tanya gegeben - nach einer Kameradin, die zusammen mit Che [Guevara] in Bolivien gestorben ist."

    Nach einem Banküberfall auf die Hibernia Bank in Hollywood wurde Patty Hearst alias Tanya steckbrieflich gesucht und nach Monaten im Untergrund im September 1975 in San Francisco verhaftet.

    Sie verriet ihre Kameraden und wurde nach einem Schauprozess in erster Instanz zu 35 Jahren und anschließend zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. 1979, nach 22 Monaten Haft, ließ Präsident Jimmy Carter die Strafe aussetzen, und Patty Hearst wurde unter strikten Bewährungsbedingungen entlassen. Bill Clinton gewährte ihr am letzten Tag seiner Amtszeit eine volle Amnestie.
    Patty Hearst hat ein Heer von Polizisten, Journalisten, Psychiatern und Anwälten an die fünf Jahre auf Trab gehalten. Mehr als ein Dutzend Bücher und Filme erschienen über den Fall, und den Jazz-Komponisten Anthony Davis inspirierte die wilde Story sogar zu der Pop-Oper "Tania”.

    Was mit Patty Hearst damals wirklich geschah, ist bis heute nicht ganz klar. Es gibt immer noch Spekulationen, ungelöste Fragen und jede Menge Widersprüche. Ihre eigene, autobiografisch festgehaltene und 1988 mit Natasha Richardson in der Hauptrolle verfilmte Version hat wohl weniger der Wahrheitsfindung als der Imagepflege gedient.

    Nur eins ist tatsächlich unumstritten: Am 4. Februar 1974 ging das unbeschwerte Leben der Patricia Campbell Hearst schlagartig zu Ende. Die in opulentem Reichtum, streng katholisch aufgewachsene Kunststudentin der Universität Berkeley hatte für ihren Verlobten gerade ein Dinner bereitet, als es an der Haustür klopfte und eine junge Frau darum bat, das Telefon benutzen zu dürfen. Im nächsten Moment stürzten zwei bewaffnete schwarze Männer in die Wohnung, schlugen das Paar nieder, schossen wild auf alarmierte Nachbarn und warfen die neunzehnjährige Patty geknebelt und gefesselt in den Kofferraum eines davonrasenden Autos. Auf zurückgelassenen Flugblättern hieß es:

    Patty Hearst ist eine Gefangene der revolutionären "Symbionese Liberation Army". Verhaftet für die Verbrechen, die ihre Familie dem Volk zugefügt hat.

    Die heute fünfundfünfzigjährige Patricia Campbell Hearst Shaw soll sich laut Presseberichten mit ihrer turbulenten Vergangenheit erstaunlich komplikationslos arrangiert haben. Seit 30 Jahren ist sie mit ihrem ehemaligen Leibwächter Bernie Shaw verheiratet. Mit ihm, zwei Töchtern und einem Rudel Haustiere lebt sie im noblen Westport, Connecticut. Gelegentlich nimmt sie kleine Filmrollen an, modelt oder schreibt einen Krimi. Der ihr nachgesagte "rücksichtslose Pragmatismus” hat ihr die Rückkehr ins "normale” Leben einer Millionenerbin augenscheinlich erleichtert.