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Mindener Tageblatt
Digitale Ideen für den Lokaljournalismus

Der Zeitungsmarkt kämpft mit sinkenden Auflagen. Statt über den digitalen Wandel zu klagen, fragte sich der Verlag des traditionsreichen das Mindener Tageblatts: "Wie können wir das in anderen Bereichen kompensieren?" - Und setzt neben neuen Ideen für Lokaljournalismus auch auf Reisen und digitale Geschäftsmodelle.

Von Michael Borgers | 12.09.2017
    Christoph Pepper, seit 25 Jahren Chefredakteur des Mindener Tageblatts
    Christoph Pepper, seit 25 Jahren Chefredakteur des Mindener Tageblatts, gibt seinen Posten 2018 ab: "Die Redaktion braucht frischen Wind" (Deutschlandfunk / Michael Borgers)
    "Hier ist der Newsroom, Entschuldigung Kollegen, wir sind gleich wieder weg."
    Christoph Pepper führt den Besuch in einen modern eingerichteten, hellen Raum. Einige Mitarbeiter blicken auf ihre Flachbildschirme, analog sind hier nur die Titelblätter der Ausgaben vergangener Monate, die an einer Magnetwand hängen.
    "Hier koordinieren die einzelnen Ressorts ihre Inhalte und ihre Themen. Die Blattgestaltung ist mit am Tisch vertreten. Hier ist sozusagen das Herz der Redaktion."
    Der Chefredakteur macht Platz für frischen Wind
    Und Pepper wäre dann wohl so etwas wie ihr Gehirn. Dass er einer der dienstältesten Chefredakteure des Landes ist, sieht man dem schlanken, braungebrannten Mann mit vollem Haupthaar nicht an. Der 61-Jährige leitet das Mindener Tageblatt seit mehr als einem Vierteljahrhundert.
    Doch im kommenden Jahr soll Schluss sein - Pepper hört auf, aus freien Stücken. Die Redaktion brauche frischen Wind, sagt er. Und wirbt für die Unternehmenskultur, die seine Nachfolge erwartet in Zeiten einer stetig sinkenden Auflage.
    "Hier hat sich schon sehr früh die Einsicht durchgesetzt, dass es wenig bringt, mit gegenseitigen Schuldzuweisungen danach zu suchen, wer jetzt mehr verantwortlich ist für diese Entwicklung, sondern dass man von Anfang an das Thema strukturell angegangen ist und darüber nachgedacht hat: Wo und wie können wir, was uns zwangsläufig und unwiederholbar wegbricht an Printauflage, wie können wir das in anderen Bereichen kompensieren?"
    Das Traditionsschiff und seine Beiboote
    Vom jungen Redaktionsgebäude ins alte Fachwerk des Verlags. Carsten Lohmann öffnet die Tür zum Büro des Altverlegers, der an diesem Tag nicht da ist. Eine Zeitreise: Ringsum stehen in Regalen historische Bücher, die bis zur mit Stuck verzierten Decke reichen, in der Mitte des Raums liegt auf dem dunklen Holztisch ein gewaltiges Buch mit grünem Einband.
    "Sie sehen das hier, ein Bildband mit Messingapplikationen zum 50-jährigen Unternehmensjubiläum, 1. Januar 1834 bis 1. Januar 1884."
    Der Verlag begann damals mit der Übersetzung der Werke Edgar Allan Poes und Gustave Flauberts. Das Mindener Tageblatt kam 1856 hinzu - und stehe seitdem im Vordergrund, wie Verlagsleiter Carsten Lohmann betont.
    "Das Kerngeschäft ist und bleibt das Wichtigste, im Moment sind alle Beiboote tatsächlich nur Beiboote."
    Der Verlagsleiter des Mindener Tageblattes Carsten Lohmann
    Der Verlagsleiter des Mindener Tageblattes Carsten Lohmann (Deutschlandfunk / Michael Borgers)
    Doch die sind notwendig geworden, um das Traditionsschiff Lokaljournalismus auf Kurs zu halten. In den vergangenen 20 Jahren hat die Zeitung mehr als ein Fünftel ihrer verkauften Auflage eingebüßt, das Anzeigengeschäft bröckelt, so wie überall. Auch deshalb entwickelte der Verlag neue Ideen. Geschäftsmodelle, mit denen der Verlag zuletzt 60 Millionen Euro in einem Jahr umsetzen konnte und die bis auf einen Bereich profitabel sind. Beiboote wie einen Corporate-Publishing-Service oder das Ausbildungsportal Azubify.
    "Da ging es darum, dem kleinen Handwerksbetrieb genau wie dem Großunternehmen die Möglichkeit zu verschaffen, Auszubildende zu finden. Und daraus ist Azubify entstanden. Mit rubrizierten Anzeigen, mit relativ kleiner und überschaubarer Finanzierungsstruktur für die Unternehmen."
    Und ein Projekt, das andere Verlange als Lizenzmodell übernahmen - und an dem sich inzwischen sogar die weitaus größere Madsack Mediengruppe als Partner beteiligt.
    Marktführer "Media-Reisen"
    Ein weites Segment, in dem die Ostwestfalen zum Vertriebspartner so mancher Verlagskonkurrenten geworden sind, ist das Geschäft mit den Reisen, und dabei vor allem: den Motorradreisen in die USA. Einem Segment, in dem das Tochterunternehmen "Media-Reisen" gar zum Marktführer aufgestiegen ist. Und das dazu seit einem Jahr an seiner Spitze von einem bekannten Vertreter aus der Zeitungsbranche geleitet wird: Jörg Laskowski, der nach 18 Jahren als Geschäftsführer des Verlegerverbands BDZV in Berlin nach Minden gewechselt hat.
    "Weil mich das Produkt gereizt hat und weil mich der Verlag gereizt hat."
    Ihn habe beeindruckt, wie bei dem - vergleichsweise kleinen Verlag - die Zähne ineinander griffen.
    "Vor ihnen liegt unser neuer Katalog. Der ist in der eigenen Druckerei gedruckt, das geht auf Zuruf. Wir haben Grafik im Haus. Wir gehen mit den Leserreisen rüber zu den Kollegen im Verlag und sagen: Wir haben hier eine tolle Reise, eine Schiffsreise, nimm das mit ins Blatt."
    Mediabox – Bidlschirm-Nachrichten für Schaufenster
    Beim Blatt, in der Redaktion nebenan, arbeitet man derweil daran, die jüngste Geschäftsidee mit Inhalt zu füllen.
    "Das bieten wir jetzt seit anderthalb Jahren an, Mediabox ist der Produktname. Dahinter verbergen sich Nachrichten für Bildschirme in öffentlichen Räumen."
    Chefredakteur Christoph Pepper Pepper steht vor einem Flachbildschirm, von dem weitere Modelle bereits in Schaufenstern lokaler Geschäfte hängen und dort neben Werbung auch Nachrichten verbreiten. Bald könnten noch mehr im öffentlichen Nahverkehr hinzukommen. Der digitale Vertrieb von Texten, die aus der 30-köpfigen Redaktion des Mindener Tageblattes stammen. Diesmal keine neue, ureigene Geschäftsidee der Mindener.