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Minderheitsregierung in Thüringen
Regieren als Experiment

Nach der Landtagswahl in Thüringen strebt Ministerpräsident Bodo Ramelow eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung an – und will sich am 7. Februar zum Ministerpräsidenten wieder wählen lassen. Ein Novum für das Bundesland – die Konflikte lauern schon.

Von Henry Bernhard | 02.01.2020
Bodo Ramelow, Spitzenkandidat des Landesverbandes Thüringen der Partei Die Linke und Ministerpräsident von Thüringen gibt eine Pressekonferenz über den Ausgang der Landtagswahl am 28.10.2019
Ramelow spricht von der avisierten Minderheitsregierung, als wäre es das Einfachste der Welt (DPA / Britta Pedersen)
"Wir haben gewiss …"
Bodo Ramelow ist ein starker Redner. Er kann stundenlang frei reden und assoziieren. Aber wenn er gezwungen ist, vom Blatt zu lesen, wie hier bei der ersten Regierungserklärung, dann holpert es gelegentlich:
"Wir haben gewiss nicht alles richtig gemacht, aber der von dieser Koalition im Dezember 2014 eingeschlagene Weg hat sich bewährt und im Wesentlichen als richtig erwiesen. Diesen Weg wollen wir fortsetzen. Wir laden CDU und FDP ein, uns auf diesem Weg zu begleiten. Wir werden die Ideen der demokratischen Opposition vorurteilsfrei prüfen, das sage ich an dieser Stelle zu."
Was klingt wie ein Ministerpräsident, der sich jovial der Opposition öffnet, ihr großzügig anbietet doch mitzuarbeiten, ein bisschen mitzuregieren, ist doch ein Mann, der ebenso wenig wie andere Thüringer weiß, was genau das neue Jahr bringen wird. Ramelow hat einen Sieg errungen – 31 Prozent hatte die Linke noch nie in freien Wahlen. Und doch hat seine bisherige Koalition – Rot-Rot-Grün – die Landtagswahl in Thüringen im vergangenen Oktober nicht gewonnen. Vier Stimmen fehlen zur Mehrheit.
Dass eine rot-rot-grüne Regierung unter Ramelow trotzdem wahrscheinlich ist, liegt an der Stärke der AfD und der Schwäche der CDU. So will sich Ramelow Anfang Februar zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Die CDU ist mit Ramelows Visionen für eine Minderheitsregierung von Linken, SPD und Grünen, die sich gönnerisch der Opposition öffnet, nicht zufrieden. CDU-Chef Mike Mohring moniert:
"Ein Weiter so wird es nicht geben. Dass gesagt wird, 'wir werden die Anträge der demokratischen Opposition prüfen', ist eine nette Formulierung, aber entspricht nicht den Zuständen in diesem Landtag. Wir wollen nicht, dass eine Seite prüft, ob die anderen vielleicht mal Recht haben könnten und dabei sein könnten. Die Chance an diesem Landtag ist, dass wir hier gemeinsam Ideen für dieses Land entwickeln, gemeinsam und nicht: Die einen prüfen und geben ein paar Brotkrumen ab."
Die Macht der Minderheit
Beide, Ramelow wie Mohring, wollen nicht so recht einsehen, dass es für eine Mehrheit unter ihrer Führung jeweils nicht reicht. Ramelow spricht von der avisierten Minderheitsregierung, als wäre es das Einfachste der Welt, in jeder Abstimmung vier Stimmen der Opposition, von CDU oder FDP, dazuzugewinnen, um Gesetze durchzubringen.
Mike Mohring, der seit Jahren denkt, er müsse längst Ministerpräsident sein, hat nach Meinung auch vieler seiner Parteifreunde noch nicht gemerkt, dass der Traum zerplatzt ist - für ihn und für die CDU. In immer neuen Treffen mit SPD, Grünen und FDP hat er ebenso hartnäckig wie vergeblich versucht, eine Minderheitsregierung unter seiner Führung auszuloten. SPD und Grüne wollen lieber mit den Linken gehen:
"Es ist doch alles gesagt dazu! Wir werden keine Ministerpräsidenten-Wahl beantragen. Ich habe mehrmals erklärt, dass wir nicht mit Stimmen der AFD wählen lassen. Sie müssen die Debatte nicht verlängern. Ich kann das stündlich wiederholen: Es ändert sich nichts an der Aussage, die wir (lieber) vor und stündlich nach der Wahl gemacht haben."
Dabei gab es nichts Verwirrenderes nach der Thüringen-Wahl als den Kurs der CDU und deren Vorsitzenden (m) Mohring. Der stellte nebulös erst eine Zusammenarbeit mit den Linken in Aussicht, andere Parteifreunde zeigten sich offen für die AfD. Die Bundesspitze zeigte sich entsetzt, und die Thüringer CDU-Basis vermisst noch immer Führungsstärke und Prinzipientreue - und Konsequenzen aus der Wahl, bei der die CDU ein Drittel ihrer Mandate eingebüßt hat.
Konflikte vorprogrammiert
Der Fraktions- und Parteichef Mohring ist angezählt. Auch bei den Grünen leckt man Wunden: Mit großen Erwartungen waren sie aus der Regierungsverantwortung heraus in die Wahl gegangen und mit 5,2 Prozent gerade so wieder in den Landtag gekommen. Konsequenzen an der Spitze blieben bisher aus, und das schlechte Abschneiden hält die Grünen auch nicht davon ab, mehr Machtfülle als in der letzten Legislaturperiode zu fordern – und nebenbei damit zu drohen, dass man ja auch in die Opposition gehen könne. Der Fraktionsvorsitzende Dirk Adams:
"Eine Koalition, wie man sie versteht, kann es ja unter den jetzigen Gegebenheiten nicht geben. Wir sagen weiter, wir werben um die FDP über eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit. Wir werben genauso bei der CDU darum. Aber eine ganz normale Koalition mit einem Koalitionsvertrag, indem man sich gegenseitig verspricht 'Diese Ziele wollen wir gemeinsam umsetzen', kann es nicht geben, weil uns die Mehrheit zur Umsetzung nicht zur Verfügung steht."
Deswegen arbeiten Linke, SPD und Grüne nun an einem gemeinsamen Papier, aber nicht an einem Koalitionsvertrag, wie der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Hey erläutert:
"Ich nenne das jetzt mal Zukunftsagenda, ein Papier 'Thüringen 2025', in dem all das, was uns sehr, sehr wichtig ist, zunächst mal so offen formuliert wird, dass CDU und FDP eine Möglichkeit haben, dem auch beizutreten. Und das macht es natürlich schwierig, wenn du auf der einen Seite versuchen willst, spätere Regierungsfragen relativ genau festzuzurren, auf der anderen Seite aber die Tür immer wieder für jemanden offen lassen musst, der eventuell damit verhandeln möchte."
Dabei gibt es schon zwischen Linken, SPD und Grünen genügend Konflikte, etwa um die Zukunft des Verfassungsschutzes, den die Linke abschaffen möchte, oder um den Zuschnitt der Ministerien:
"Das Schöne ist: Alle anderen Bundesländer haben ja immer nach Wahlen neunmalklug angerufen und gute Ratschläge gegeben. Das ist diesmal nicht so. Die schauen alle mit blankem Entsetzen: Was macht denn Thüringen jetzt?"
Einzig mit der AfD spricht zurzeit keine andere Partei. Aber man nimmt dort sehr wohl wahr, dass CDU und FDP gemeinsam einen Gesetzesentwurf zur Verbesserung der Kommunalfinanzen eingebracht haben – in Konkurrenz zum Gesetzesentwurf der SPD. Dazu Stefan Möller, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion:
"Natürlich wissen CDU und FDP, dass sie überhaupt keine Chance haben, diesen Antrag zu realisieren, ohne die Unterstützung der AfD. Und dann können sie sich zehnmal hinstellen und sagen 'Wir wollen die Stimmen der AfD gar nicht!'. Ihr Tun und politisches Handeln zeigt genau das Gegenteil."
Am 7. Februar will sich Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Im dritten Wahlgang reicht dafür die einfache Mehrheit.