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Mindestlohn
"Tarifautonomie wird ausgehebelt"

Der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates, Kurt Lauk, kritisiert die Einführung des Mindestlohns. Deutschland gebe damit den ordnungspolitischen Vorteil der Tarifautonomie auf, sagte er im Deutschlandfunk. Er erwartet in strukturschwachen Regionen einen Anstieg der Arbeitslosigkeit.

Kurt Lauk im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 03.07.2014
    Kurt Lauk, Präsident des Wirtschaftsrates der CDU
    "Wir sind nach wie vor aus ordnungspolitischen Gründen klar gegen den Mindestlohn", sagt Kurt Lauk, der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates im DLF-Interview. (dpa / picture-alliance / Hannibal Hanschke)
    Der Bundestag hat den flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro beschlossen. Einige Branchen bekommen Ausnahmeregelungen: So soll der Lohn nicht für Praktika gelten, außerdem sind Zeitungszusteller bis 2017 davon ausgenommen.
    Kurt Lauk begrüßt diese Ausnahmen. Der Wirtschaftsflügel habe damit "auf der Zielgeraden das Schlimmste verhindert". Die Abgeordneten votierten allerdings nur für den Mindestlohn, um die Große Koalition nicht platzen zu lassen, betonte er im Deutschlandfunk. Die CDU habe in den Koalitionsverhandlungen Fehler gemacht, jetzt habe sie jedoch keine andere Wahl als zuzustimmen.
    In strukturschwachen Regionen befürchtet der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates einen Anstieg der Arbeitslosigkeit, da viele Betriebe die Löhne nicht zahlen könnten. "Das ist das Gegenteil von sozial." Zudem warnte Lauk davor, dass durch den Mindestlohn mehr Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden: "Dieser Trend muss gestoppt werden." Sonst verblieben lediglich "hochwertige" Arbeitsplätze in Deutschland.
    Deutschland gebe mit der Einführung des Mindestlohnes außerdem den ordnungpolitischen Vorteil der Tarifautonomie auf, um den es in ganz Europa beneidet werde.

    Das Interview mit Kurt Lauk in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn, er war für die SPD im letzten Bundestagswahlkampf eine der wichtigsten Forderungen, sozusagen ein Markenzeichen, und die Partei, die hat diese Forderung in den Koalitionsverhandlungen mit der Union anschließend konsequent durchgesetzt.
    Heute wird der Sack vermutlich zugemacht, der Bundestag soll über das Mindestlohngesetz abstimmen: 8,50 Euro pro Stunde flächendeckend. Weniger soll künftig niemand in Deutschland verdienen. Viele Wirtschaftsvertreter schlagen allerdings die Hände über dem Kopf zusammen. Wir haben in den vergangenen Wochen unter anderem gehört, dass der Mindestlohn Obst und Gemüse, aber auch den Friseurbesuch künftig deutlich teurer machen wird, und auch viele mittelständische Betriebe klagen bereits.
    Am Telefon ist jetzt Kurt Lauk, der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates. Schönen guten Morgen.
    Kurt Lauk: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Lauk, war es das jetzt mit unserem kleinen Wirtschaftswunder?
    Lauk: Das wäre übertrieben. Wir haben beispielsweise in Baden-Württemberg und Bayern, also im Süden Deutschlands, wo die Industrie ist, auch teilweise im Westen mit dem 8,50 Euro Mindestlohn überhaupt kein Problem, weil dort die Löhne ohnehin schon höher liegen. Uns geht es vielmehr um andere grundsätzliche Punkte. Für 3,7 Millionen Menschen müsste das Gehalt auf Mindestlohn angehoben werden. Das kostet der Wirtschaft etwa 9,6 Milliarden Euro, so wird errechnet.
    Das wiederum bedeutet, dass Menschen, die bislang für einen niedrigen Lohn gearbeitet haben, entweder angehoben werden, oder aber entlassen werden, und wir befürchten – und das sagen auch viele Experten der Ökonomie -, dass in den strukturschwachen Gebieten die Arbeitslosigkeit steigen wird, und das ist keine soziale Gerechtigkeit.
    Armbrüster: Aber sind diese neun Milliarden tatsächlich nicht da? Sind die Unternehmenskassen nicht prall gefüllt?
    Lauk: Wissen Sie, wir können natürlich die Kuh so lange melken, bis sie stirbt. Wir haben in der Tat eine gute Konjunktur. Wir sind aber einmalig in Europa. Europa insgesamt wächst nicht. Wir sind eine Ausnahme. Und wir können unsere Ausnahmen nicht so handhaben, dass wir für die anderen in Europa Wasser predigen und selbst Wein trinken.
    "Wir können in Europa nicht Wasser predigen und selbst Wein trinken"
    Armbrüster: Wir haben es allerdings in vielen Branchen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten auch relativ klaglos hingenommen, dass Jobs einfach ins Ausland abgewandert sind, weil es da billiger ist, ganz einfach, weil wir in Deutschland immer gesagt haben, wir sind kein Billiglohnland.
    Lauk: Das ist richtig. Wir produzieren ja, gerade was Automobilindustrie, Maschinenbau und noch Teile der Chemie angeht, auf höchstem internationalen Niveau. Aber wir müssen auch erkennen, dass mittlerweile die Neuinvestitionen der deutschen Industrie im Ausland höher sind als im Inland. Das heißt, wir verlagern schleichend nach und nach produktive Kapazität, Wertschöpfung, das heißt Arbeitsplätze in das Ausland, und dieser Trend muss irgendwann mal gestoppt werden, oder aber wir laufen in eine Situation, in der die deutsche Industrie im Ausland sich besser festgesetzt hat als im Inland.
    Armbrüster: Aber noch einmal: War das nicht immer so? Sind nicht immer Arbeitsplätze irgendwann in Deutschland zu teuer geworden und dann ins Ausland abgewandert und anschließend hat man wieder neue Arbeitsplätze in Deutschland entwickelt? Das war ja sozusagen immer das Modell Deutschland.
    Lauk: Ja, wir haben in der Tat immer wieder - zunächst mal haben wir im Schwerpunkt in Deutschland produziert und dann exportiert. Das hat sich mittlerweile verkehrt. Nehmen Sie beispielsweise Volkswagen. Volkswagen hat den Produktionsstandort in Deutschland gehabt. Mittlerweile produziert Volkswagen mehr Fahrzeuge im Ausland als im Inland, außerhalb Europas als in Europa. Dieser Trend muss in irgendeiner Weise langfristig dazu führen, dass wir nur noch ganz hochwertige Arbeitsplätze in Deutschland haben, aber nicht die, die wir für die Beschäftigung brauchen.
    Armbrüster: Was empfehlen Sie dann, Herr Lauk, Ihren Parteifreunden von der CDU heute im Bundestag? Wie sollen die stimmen beim Mindestlohngesetz?
    Lauk: Zunächst mal haben die Kollegen im Bundestag im Wirtschaftsflügel gute Arbeit geleistet und haben auf der Zielgeraden noch mal das Schlimmste verhindert. Die Praktika sind weitgehend ausgenommen. Denken Sie daran: Wenn jemand, ich sage mal, fürs Lehramt studiert, hat er mit Praktika in Studienzeiten die einzige Möglichkeit, sich mal im Rahmen der Ausbildung, ohne dass es Pflicht wäre, in Industrieunternehmen umzuschauen. Praktika sind ausgenommen. Der Mindestlohn für Zeitungszusteller und Saisonarbeiter ist entschärft und die Arbeitszeitkonten bleiben unangetastet.
    "Mindestlohn-Kompromiss zwangsläufig für Regierungsfähigkeit"
    Armbrüster: Sie sagen, verschärft. Da wurden einfach nur einige Fristen gegeben bis 2017.
    Lauk: Entschärft!
    Armbrüster: Entschärft, sorry. Hier wurden nur einfach Fristen verkündet, bis 2017 gelten die auch für Zeitungszusteller und andere Branchen.
    Lauk: Ja, genau.
    Armbrüster: Ich meine, da ist ja eigentlich die Frage: Wem 8,50 Euro jetzt im Jahr 2014 zu teuer sind, sollen die dem im Jahr 2017 auf einmal passen?
    Lauk: Das ist eine Frage an die Verleger. Die Verleger haben darum gekämpft und haben auch die Mehrheit überzeugt. Sie brauchen Zeit zur Umstellung und da muss man sehen, ob man dann die Zeitungen noch überhaupt nach Hause bekommt, oder aber, ob man es nur noch übers Internet macht.
    Armbrüster: Was empfehlen Sie dann heute Ihren Parteifreunden im Bundestag?
    Lauk: So wie sie gekämpft haben zum Schluss, ist es jetzt zustimmungsfähig, weil sonst die Koalition platzt. Das ist aber der einzige Grund, warum es zustimmungsfähig ist. Die Ausnahmen haben das jetzt erleichtert. Wir sind aber damit dabei, in Deutschland einen ordnungspolitischen Vorteil aufzugeben. Wir hatten eine Tarifautonomie, die kein anderes Land in Europa so hat, und die wird jetzt ausgehebelt durch gesetzliche Vorgaben. Wir bedauern das vom Wirtschaftsrat, aber im Grunde, bevor man die Koalition platzen lässt, sind die Ausnahmen ausreichend, um zustimmen zu können.
    Armbrüster: Wie gelingt es denn eigentlich der SPD, ihre Themen so durchzusetzen?
    Lauk: Durch Zwang, und Herr Gabriel hat es ja gesagt: Das ist ein Kernbestandteil der Koalitionsverhandlungen, ansonsten gibt es keine Regierung, und das Land braucht eine Regierung.
    Armbrüster: Oder zeigt sich hier vielleicht, dass auch die Union in weiten Teilen inzwischen eigentlich eine sozialdemokratische Partei ist?
    Lauk: Soweit würde ich nicht gehen, aber hier ist die Kompassnadel der sozialen Marktwirtschaft durch magnetische Einflüsse negativer Art, die durch die SPD reingekommen sind, etwas ins Wanken geraten.
    Armbrüster: Aber ich meine, so richtig Widerstand gab es ja nicht gegen dieses Gesetz.
    Lauk: Der Wirtschaftsrat hat sich klar positioniert. Wir sind nach wie vor aus ordnungspolitischen Gründen klar dagegen, und zwar deshalb, weil wir die Tarifautonomie wollen, die sich bewährt hat in diesem Land. Aber wenn es um die Regierungsfähigkeit des Landes geht, ist der Kompromiss zwangsläufig.
    "CDU hat bei Koalitionsvertrag nicht optimal verhandelt"
    Armbrüster: Sie sprechen jetzt immer wieder die Tarifautonomie an. Viele Leute sagen jetzt ja, der Mindestlohn könnte der Tarifautonomie ja wieder auf die Sprünge helfen, da könnten in vielen Branchen die Sozialpartner die Vorteile solcher direkten Gespräche wiedererkennen, dass möglicherweise ein Mindestlohn in einigen Jahren überflüssig wird, ganz einfach, weil sich dann beide Seiten ohnehin auf einen Lohn von 8,50 Euro oder entsprechendem Niveau einigen.
    Lauk: Das ist ja im Süden und in weiten Teilen des Westens der Republik der Fall. Es geht im Kern um die neuen Bundesländer. Dort haben sich die Tarifpartner die wirtschaftliche Lage der Beschäftigten angeguckt und gesagt, wir kommen mit dem Tarif so zurecht, die Lebenshaltungskosten sind dort niedriger als im Westen und im Süden des Landes, wir können deshalb andere Tarifverträge machen.
    Unsere Bedenken richten sich dagegen, dass die Arbeitslosigkeit in den strukturschwachen Gebieten, teilweise auch in den neuen Bundesländern steigt, und das wäre nicht der Sinn einer sozialen Tat, sondern das ist das Gegenteil von sozial.
    Armbrüster: Aber wenn die Auswirkung tatsächlich so drastisch ist, dann stellt sich doch die Frage, wäre es da nicht wert gewesen, einen ordentlichen Krach mit der SPD zu riskieren?
    Lauk: Ja, das wäre in der Tat das Richtige gewesen. Das liegt aber zurück, das hätte in den Koalitionsverhandlungen sein müssen. Dort hätte man möglicherweise etwas tauschen können. Ich bin nicht ganz sicher, ob in den Koalitionsverhandlungen die CDU wirklich optimal verhandelt hat. Aber das ist jetzt Wasser, das unter der Brücke durch ist.
    Armbrüster: Kann man das sagen, dass die CDU da Fehler gemacht hat?
    Lauk: Die CDU und die SPD haben, glaube ich, im Koalitionsvertrag für das Land nicht immer optimal verhandelt.
    Armbrüster: Das zeigt sich nicht nur beim Mindestlohn, meinen Sie?
    Lauk: Ja!
    Armbrüster: Sondern?
    "Rente mit 63 ist Rückschritt für Deutschland"
    Lauk: Auch bei der Rente mit 63. Das ist genauso ein Tabubruch. Die erste Große Koalition mit Müntefering, Steinbrück, Steinmeier, die haben die Agenda 2010 mit durchgesetzt. Sie sind gemeinsam mit der CDU auf ein Rentenalter von 67 gegangen. Das ist übrigens auch das, was wir von anderen Ländern im Süden Europas fordern. Und jetzt, nachdem wir das gefordert haben, gehen wir selbst zurück auf 63. Das ist ein nicht nachzuvollziehender, auch übrigens für außereuropäische Beobachter von Deutschland nicht nachzuvollziehender Rückschritt in Deutschland.
    Armbrüster: Können wir sagen, Herr Lauk, dass wir in Deutschland sozusagen den wirtschaftspolitischen Kompass langsam verlieren?
    Lauk: So wird das gesagt. Wir hatten große Anerkennung und haben noch große Anerkennung in Europa. Aber über unsere Energiewende und über unsere Sozialpolitik, die in dieser Großen Koalition verabschiedet worden ist, schütteln mittlerweile viele im Ausland, im europäischen Ausland den Kopf. Das heißt, unsere Führungsfähigkeit in Europa hat darunter gelitten.
    Armbrüster: Sie haben jetzt die Energiewende angesprochen. Wir hatten die Rente mit 63, heute den Mindestlohn. Könnte es sein, dass nach dieser Entscheidung heute dieses Kapitel erst mal abgeschlossen ist, oder befürchten Sie für die Zukunft noch Schlimmeres?
    "Deutschlands Führungsfähigkeit in Europa hat gelitten"
    Lauk: Ich vermute, dass jetzt die Kernpunkte, die ordnungspolitisch von uns kritisiert werden im Koalitionsvertrag, abgeschlossen und abgearbeitet sind und dass wir uns jetzt wieder der Zukunft des Landes zuwenden können. Wir haben großen Nachholbedarf in der Infrastruktur, sowohl in der alten Infrastruktur, was Straßen und Brücken angeht, wie auch in der neuen Infrastruktur, Internet, Datenautobahn, Big Data, Cloud Computing. Alles das müssen wir angehen, denn sonst fallen wir als Industrienation zurück.
    Armbrüster: Live hier heute morgen bei uns in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk war das Kurt Lauk, der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates, über den Mindestlohn, der heute im Bundestag beschlossen werden soll. Vielen Dank, Herr Lauk, für das Gespräch.
    Lauk: Vielen Dank, Herr Armbrüster.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.