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Mini-Klassen als Ausnahme

In Sachsen-Anhalt gibt es immer mehr Landstriche, die dünn besiedelt sind. Damit die Kinder nicht so weit fahren müssen, hat man den Schulen dort eine Ausnahmegenehmigung erteilt: Die Klassen dürfen weniger als zehn Schüler haben.

Von Susanne Arlt | 25.02.2011
    "So, bitte versucht jetzt mal, wenn ihr diese Wörter lest, zu sortieren in welcher Reihenfolge dieser Lebenslauf für euch als Kind hier in der richtigen Abfolge ist, was kommt zu erst?"

    Ethikunterricht an der Hans Neupert Grundschule in Langenstein. Kinder aus der dritten und der vierten Klasse drücken hier gemeinsam die Schulbank.

    "Womit würdest du beginnen? ... Säugling ... und was kann man zum Säugling noch sagen?"

    Der klassenübergreifende Unterricht findet deshalb statt, weil in der dritten Klasse nur neun Kinder sitzen und für den Ethikunterricht eine Lehrerin extra aus Halberstadt kommen muss. Deswegen habe man für diesen Unterricht die beiden Klassen zusammengelegt, erklärt der leitende Lehrer Klaus Oswald. Normalerweise werden die neun Kinder aus der dritten Klasse alleine unterrichtet. Möglich macht dies eine Ausnahmegenehmigung, die das Kultusministerium jetzt erlassen hat. In Sachsen-Anhalt gibt es immer mehr Landstriche, die extrem dünn besiedelt sind. Aufgrund des Schülermangels mussten bereits zum laufenden Schuljahr 46 Grundschulen schließen. Damit das Schulnetz in dem Flächenland aber erhalten bleibe, habe man sich dazu entschlossen, Klassen mit weniger als zehn Kindern zuzulassen, erklärt Kultusministerin Birgitta Wolff.

    "Der Gedanke, den wir haben ist, dass es schade wäre, wenn wir in einem kleinen Dorf eine Schule schließen würden, wenn aber dann ein paar Jahre später diese Bevölkerungsdelle überwunden ist. Und da wollen wir lieber gerne ein bisschen zu vorsichtig sein. Deswegen auch immer der Gedanke , dass es eine Ausnahmegenehmigung ist für ein einzelnes Jahr, wo dann eben die Eingangsklasse unter zehn Schülerinnen und Schülern absinken darf."

    Diese Ausnahmegenehmigung sei aber keine Dauerlösung, betont die Kultusministerin. So muss jeder Schulträger, also die Städte und Gemeinden, bis Ende des Jahres darstellen, dass er den Bestand seiner Schule auch auf Dauer sichern kann. Das bedeutet, eine Schule muss mindestens 40 Schüler haben. Das Ministerium verfolgt dabei ein konkretes Ziel. Die Kommunen des Landes sollen prüfen, ob man Schülerströme umlenken kann. Erstklässer könnten statt an einen sicheren Grundschulstandort zu einem unsicheren Wackelkandidaten geschickt werden. Der leitende Lehrer Klaus Oswald ist über die Ausnahmegenehmigung glücklich. Im kommenden Schuljahr werden vermutlich nur acht Kinder neu eingeschult. Nach der alten Regel hätte die erste Klasse dann geschlossen werden müssen. Weil aber in den Jahren danach die Schülerzahl in Langenstein wieder ansteigt, darf der Unterricht auch in der ersten Klasse fortgeführt werden. Für die Kinder habe dies nur Vorteile, sagt der 61-jährige Grundschullehrer Klaus Oswald.

    "Wenn die Kinder fahren müssten, sie haben einen zehn, zwölf, dreizehn Stunden Tag. Weil sie müssten dann um spätestens um sieben wegfahren, und sind dann vor sechzehn, siebzehn Uhr nicht wieder zu Hause. Und so ein zehn Stunden-Tag hat kaum ein Erwachsener. Lieber eine kleine Schule erhalten, mit allen Problemen, die hier entstehen. Anstatt die Kinder schon mit sieben oder sechs Jahren auf die Landstraße zu schicken."

    Der Nachteil an solch kleinen Schulklassen: Erkrankt einer der vier Lehrer an der Hans Neupert Grundschule, dann muss sein Kollege für ihn einspringen und den Unterricht für zwei Klassen gemeinsam gestalten. Das erfordere vor allem Flexibilität, sagt Klaus Oswald. Die Schule bietet in dieser Zeit einen speziellen Unterricht an, damit auch alle Schüler beim Unterricht mitkommen. Auf diese Art und Weise werde zugleich das soziale Miteinander gestärkt, sagt Oswald. Die älteren Kinder lernen, auf die jüngeren Rücksicht zu nehmen.

    "Und unsere kleine Dorfschule das ist ein Familienunternehmen, da fühlen sich die Kinder wohl, da fühlen sich die Lehrer wohl. Das Gespräch am Gartenzaun mit den Eltern, 'guck´ mal was dein Kind gemacht hat'. Das geht viel, viel leichter hier in unseren Schulen als wenn wir in Großschulen wären. Das steht hundertprozentig fest."

    Auch die Kindern an der Hans Neupert Grundschule sind froh darüber, dass ihre dritte Klasse so klein ist. Man könne viel besser lernen, sagt der achtjährige Nico.

    "Ich finde es gut, da kann man sich auch besser konzentrieren und besser lernen. Wenn da so viele sind, dann ist das so laut und da kann man nicht besser lernen."

    Und die achtjährige Freya hat keine Lust darauf, jeden Tag ins zehn Kilometer entfernte Halberstadt zur Schule zu fahren.

    "Also ich würde das nicht schön finden, weil da muss man ja früh sich schon schnell beeilen und schon ganz früh aufstehen und dann muss man ja auch noch ganz lange fahren bis nach Halberstadt."