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Minister light

Am 22. Oktober wird Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) seine Entlassungsurkunde vom Bundespräsidenten bekommen, anschließend wird ihn Kanzlerin Merkel schriftlich bitten, im Amt zu bleiben, bis die neue Regierung steht. Bewegen wird er dann nicht mehr viel.

Von Benjamin Hammer | 17.10.2013
    Eine richtige Pressekonferenz ist das nicht, wozu Entwicklungsminister Dirk Niebel da geladen hat, eher ein Gespräch in kleiner Runde. Niebel fragt seinen Sprecher, wo denn die ganzen Journalisten seien. Im deutschen Büro der Weltbank in Washington sitzen nur drei Medienvertreter. Als Finanzminister Wolfgang Schäuble ein paar Stunden zuvor vor die Presse trat, da waren es ungefähr 40.

    "Herzlichen Dank, dass Sie sich wieder mal die Zeit genommen haben."

    Es wäre ungerecht das mangelnde Interesse allein Niebel zuzuschreiben. Und es liegt wohl auch nicht daran, dass er ab Dienstag sein Ressort nur noch geschäftsführend leitet. Auf Abruf also, bis eine neue Regierung vereidigt wird. Nein, sein Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat traditionell weniger Aufmerksamkeit. Und Dirk Niebel hat in den letzten Jahren dagegen angekämpft. Für sein Ministerium - und auch für sich selbst.

    Am Tag nach dem Pressegespräch geht Niebel in Washington spazieren. Er steht vor dem Weißen Haus, diesem Zentrum der Macht. Macht, Gestaltungseinfluss – in wenigen Wochen muss der Entwicklungsminister diese Privilegien aufgeben. Seine Partei FDP ist zum ersten Mal in ihrer Geschichte aus dem Bundestag geflogen. Für ihn ist es das vorläufige Ende seiner Karrieren in der Regierung und im Bundestag.

    "Wer wird schon gerne arbeitslos, oder?"

    Der kommende Dienstag wird schwierig für ihn werden. Dann kommt der neue Bundestag zusammen, ohne ihn.

    "Am 22. Oktober 2013 werde ich um 17 Uhr meine Entlassungsurkunde vom Bundespräsidenten in die Hand bekommen, werde dann kurz danach ein Schreiben der Bundeskanzlerin bekommen, mit der Bitte geschäftsführend im Amt zu bleiben. Und dann, ganz einfach: Schütteln, Krone geraderücken, weitermachen."

    Dirk Niebel darf noch weitermachen, vorerst.

    "Ich habe einen Job und ich werde dafür bezahlt also mache ich meine Arbeit."

    Doch ein geschäftsführender Minister ist – wenn man das zugespitzt formuliert – gar kein richtiger Minister mehr. "Das Haus funktioniert ja weiter" heißt es aus dem Ministerium, gemeint ist: Auch ohne Dirk Niebel. Große Reisen hat man im Vorfeld gar nicht erst geplant, große Entscheidungen gibt es auch nicht.

    "Ich versuche den Terminkalender nicht so voll zu takten, wie ich es bisher getan habe. Ich werde nach wie vor die Besucher in Deutschland empfangen, die uns besuchen."

    Dirk Niebel wird die wahre Macht verlieren, sobald der neue Bundestag konstituiert wurde. Er akzeptiert das. Will keine großen Aktionen mehr einleiten.

    "Das gehört sich nicht. Das Volk hat entschieden. Es ist rechtlich möglich, spätestens ab dem Zeitpunkt der Geschäftsführung denke ich aber, dass man Rücksicht drauf nehmen muss, eine neue Regierung nicht neu zu binden."

    Und dann rechnet Niebel vor, wie lange es noch dauern könne, bis eine neue Regierung im Amt ist. Ziemlich lange, wohl bis Dezember, das ist seine Einschätzung. Und es wird klar: Der Mann findet das gut. Er will nicht gehen.

    Wer beim Entwicklungsministerium anruft und weiterverbunden wird, der bekommt ein ganz bestimmtes Lied zu hören. Es sagt viel über Dirk Niebels Verständnis von seiner Rolle als Minister. "Da draußen brauchen sie mich jetzt", singt Tim Bendzko darin. Und dann:

    "Muss nur noch kurz die Welt retten …"

    Nichts weniger als die Welt zu retten – das war zumindest Niebels zur Schau gestellter Anspruch. Der Minister trat von Anfang an großspurig auf, manchmal ruppig – in einem Ministerium, das er vor seinem Amtsantritt abschaffen wollte. Niebel bewegte sich anders als seine Vorgänger. Da trug er auf Reisen schon mal seine Gebirgsjägerkappe, in Namibia zum Beispiel. Er kaufte sich in Kabul privat einen Teppich, der mit einer Maschine des Bundesnachrichtendienstes nach Deutschland gebracht wurde. Niebel sagte unverblümt: Deutsches Engagement in Entwicklungsländern soll sich auch für deutsche Unternehmen lohnen. Und dann sah er sich noch Vorwürfen ausgesetzt, auffällig viele FDP-Kollegen auf lukrative Posten in seinem Ministerium zu heben.

    "Ich bin der erste liberale Entwicklungsminister nach Walter Scheel und es war mir schon klar, dass ich da nicht nur auf Zustimmung stoßen würde, wenn ich in dieses Haus komme. Aber ich bin eigentlich nicht der ängstliche Typ im Normalfall."

    Er habe nun mal ein Generalsekretärs-Gen, sagt Niebel zu seiner Art. Und dann erklärt er, warum er so laut war.

    "Ich wollte das Politikfeld in die Mitte der Gesellschaft bringen. Das heißt: Ich brauche eine gewisse Aufmerksamkeit dafür. Und da Sie bei der Rückschau feststellen werden, dass Entwicklungszusammenarbeit in der Wahrnehmbarkeit deutlich gewachsen ist, als das früher der Fall war, hab ich das Ziel ja weitgehend erreicht."

    Ein typischer Niebel-Satz. Er hat noch nie Zweifel akzeptiert. Dabei hätte er so viel Polterei fachlich eigentlich nicht mehr nötig: Dass in seiner Amtszeit die lange geplante Zusammenlegung der Entwicklungsdienste zur GIZ vollzogen wurde, dafür zollen ihm sogar politische Gegner Respekt. Dirk Niebel wird wohl noch einige Wochen sein Haus führen dürfen – als "Minister light". Wenn es für ihn gut läuft, dann darf er sich im Dezember noch mit seinen europäischen Amtskollegen treffen. Er sagt aber auch: Man weiß nie, wann man weg ist.

    Niebel wäre gerne im Amt geblieben, am liebsten hätte er jetzt bei Reformen bei den Vereinten Nationen angepackt. Die würden das nicht alleine schaffen, sagt er. Wir hätten das gemacht. Er meint die Mitgliedsstaaten der UN. Er meint aber auch: sich selbst. Und dabei geht es nicht nur um Eitelkeit. Die ersten Worte der Wartemelodie seiner Telefonanlage gehen so: "Ich wär so gern dabei gewesen".