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Ministerin auf Abruf

Vor 20 Jahren eskalierte die Auseinandersetzung zwischen der ersten und einzigen DDR-Sportministerin Cordula Schubert und dem DDR-Sportverband DTSB. Der DTSB und seine Alt-Kader forderten den Rücktritt der gerade angetretenen Ministerin. Frau Schubert kündigte an, die Zahlungen an den Dachverband einzustellen. Es war, wenige Monate vor der deutschen Einheit, eine ganz heiße Phase.

Von Jens Weinreich | 16.05.2010
    Am 18. März fanden die ersten freien Wahlen in der DDR statt. Mitte April trat die neue Regierung an, und schon wenige Tage später gab die Sportministerin Cordula Schubert dem Deutschlandfunk ein erstes Interview. Es war gewissermaßen ihr Antrittsgespräch - mit Hubert Knobloch vom DDR-Rundfunk und Deutschlandfunk-Mitarbeiter Ernst-Dieter Schmickler:

    ""Guten Abend, meine Damen und Herren. Das Sportgespräch im Deutschlandfunk kommt heute aus dem Ministerium für Jugend und Sport der DDR in Ost-Berlin. Die erste und wahrscheinlich letzte Sportministerin einer DDR-Regierung ist Cordula Schubert.”"

    ""Ja, mein Name ist Cordula Schubert. Ich komme im Moment noch aus Karl-Marx-Stadt. Das Referendum läuft im Moment noch. Nächste Woche ist die Auszählung, und ich hoffe, dass ich auch nächste Woche sagen kann, dass ich auch aus Chemnitz komme. Bis vergangene Woche Montag arbeitete ich an der medizinischen Fachschule in Chemnitz, dort als Lehrerin für Anatomie und Physiologie. Und bei Physiotherapeuten habe ich das Fach Reaktionslehre gelehrt.”"

    Cordula Schubert, damals 31, war jüngstes Mitglied der DDR-Regierung, deren stellvertretende Regierungssprecherin Angela Merkel hieß. Im Deutschlandfunk-Sportgespräch ging es vor allem darum, was vom DDR-Sport zu retten sei und wie die Abwanderung von Sportlern in den Westen zu stoppen wäre. Zum Thema Doping - kein Wort. Gesprochen wurde allerdings über eine gemeinsame deutsche Olympiamannschaft. Die Jung-Ministerin sagte:

    ""Ich hoffe es ganz stark, denn die Pläne für eine deutsche Einheit sind ja ungefähr spätestens 1991. Dann wäre es natürlich sehr schlecht für ein einiges Deutschland dann zu den Olympischen Spielen mit zwei deutschen Mannschaften anzutreten. Und sicher müssen ja auch in Form der Ausscheidungen, wer fährt zu den Olympischen Spielen, diese Vorbereitungen langfristiger laufen. So dass also jetzt diese Sache schon in Angriff genommen werden muss.”"

    Aus Ende 1991 wurde schließlich der Oktober 1990. Auch Cordula Schubert, die Diplom-Medizinpädagogin, wurde von den Zeitläuften überrollt. Heute ist sie im Sächsischen Sozialministerium für Europa-Fragen zuständig und sagt rückblickend:

    ""Es gab einen gewissen Handlungsspielraum. Auf der anderen Seite wurden wir natürlich auch durch die Zeit getrieben. Der Einigungsvertrag war ja auch schon in greifbarer Nähe. So dass man also die ganze Zeit über versucht hat, noch das beste daraus zu machen und den Leuten versucht hat, eine Startchance in der Bundesrepublik zu geben, die die ganze Zeit vom DDR-Regime nicht privilegiert waren.”"

    Der Handlungsspielraum war klein. Aber sie habe keinesfalls nur ausgeführt, was Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble gefordert habe - wer ihre Rolle darauf beschränke, liege falsch, sagt Frau Schubert.

    Vom Sport-Dachverband DTSB und den Alt-Kadern in Sport und Medien wurde Cordula Schubert als Totengräberin des DDR-Sports geschmäht. Schon am 12. Mai 1990 fordert der DTSB-Bundesvorstand ihren Rücktritt. Am 15. Mai erklärt die Ministerin, der hauptamtliche Apparat des DTSB mit seinen knapp 10.000 Angestellten werde nicht länger direkt finanziell unterstützt:

    ""Der DTSB hatte noch eine Zusage von der Modrow-Regierung - bis Juni war eine Finanzierung gesichert. Der DTSB war der Meinung, dass die Finanzierung weiterhin über ihn läuft. Unser Ziel war es, das Geld direkt über die Fachverbände zu verteilen, dass es eine Vereinigung der Fachverbände mit den West-Fachverbänden gibt und dass sozusagen das Dach des DTSB ausgehöhlt wird. Wir haben gesagt: Wenn wir Mittel zur Verfügung stellen, dann bitteschön den Fachverbänden direkt, aber nicht für die weitere Finanzierung eines riesengroßen Wasserkopfs.”"

    Cordula Schubert kämpfte mit Alt-Kadern. Gleichzeitig knüpften andere Kader Allianzen, die den deutschen Sport bis heute belasten: In jenen Wochen einigten sich beispielsweise die Leichtathletik-Verbände West und Ost auf die Übernahme von Trainern. Von belasteten Trainern, wie man heute weiß - und damals schon hätte wissen können.

    Frau Schubert ging es auch um Aufarbeitung und die Förderung einst unterdrückter Sportarten, des Breiten- und Behindertensports - Sport und Politik hatten aber die Medaillen im Blick:

    "”Bei den Ostdeutschen war es mir eigentlich sofort klar. Bei den Westdeutschen wurde das mir erst bei den ersten Gesprächen mit Hans Hansen, der damals DSB-Präsident gewesen ist, und NOK-Präsident Willi Daume deutlich.”"

    Cordula Schubert war eine Außenseiterin. Sie wollte den Sport Ent-Ideologisieren, während andere an der Medaillen-Ideologie festhielten - auch spätere für den Sport verantwortliche Bundesinnenminister.

    Sie hat in revolutionären Zeiten die Chance ihres Lebens erhalten und versucht, diesen Job so gut wie möglich zu verrichten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger:

    ""Nein, bereut habe ich es nie. Aber mit dem Wissen von heute wäre ich sicher bei einigen Dingen noch wesentlich rigoroser vorgegangen. Die Enthüllungen, die es immer noch gibt über Doping-Praktiken in der DDR, über Stasi, geben mir im Nachhinein eigentlich immer mehr recht, dass wir damals eigentlich noch wesentlich konsequenter hätten vorgehen müssen.”"