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"Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, das ist mein Ziel"

Nächstes Jahr sind in Mecklenburg-Vorpommern Landtagswahlen. Es wird ein Kampf zwischen CDU, SPD und der Linken. Helmut Holter von der Linken könnte 2011 seinen größten politischen Traum wahr machen und Ministerpräsident werden - am liebsten in der Koalition mit der SPD.

Von Peter Marx | 23.09.2010
    Stadtteilfest auf dem Großen Dreesch, dem Plattenbau-Zentrum der Landeshauptstadt. Eine Hüpfburg für Kinder, ein Bratwurststand für Rentner, eine kleine Bühne für die örtlichen Tanz- und Gesangsgruppen. An den Rändern des Festplatzes ein roter und ein gelbschwarzer Sommerschirm: Helmut Holter steht unter dem roten Schirm, wartet ab, was auf ihn zukommt. Erst eine Rentnerin bricht den Bann. Sie setzt sich für das Schwimmbad in Klein-Moskau ein: So heißt das Dreescher Stadtviertel bei den Schwerinern.

    Holter hört der Frau zu, als wäre ihr regelmäßiger Schwimmbadbesuch das wichtigste politische Anliegen in dieser Legislaturperiode. Der 57-Jährige ist ein Mann, der zuhören kann, der ausreden lässt, bevor er antwortet. Holter fühlt sich wohl. Zwischen den Plattenbauten hat er sieben Jahre gelebt. Hier ist auch sein Wahlkreis, in dem er bei der letzten Wahl 22, 6 Prozent der Erststimmen erhalten hatte. Trotzdem wirkt der groß gewachsene, elegante Holter irgendwie fremd in dieser Plattenbau-Welt - wie ein Besucher aus einem besseren Viertel, der mal sehen will wie Harz-IVer so leben.

    "Ja, die Schwierigkeit besteht darin, bei dem Leben, das ich führe, also Abgeordneter zu sein, ja, auch eigene Ansprüche an das Leben zu haben, dann aber die Bodenhaftung nicht zu verlieren. Ich habe hier viele Bekannte, viele Freunde, die von Hartz IV leben, und ich bin der Überzeugung, dass ich auch als Abgeordneter nicht vergessen darf, wie es denen geht, die von der Stütze leben."

    Eine Rentnerin:

    "Sie hat im Fraktionschef der Linken im Landtag den Mann gefunden, dem sie auch ihre wildesten politischen Fantasien vermitteln kann. Holter verzieht die Mundwinkel, ein bisschen, was für ihn so was wie ein freundliches Lächeln darstellt. Er wechselt schnell das Thema, wenn ihm das Gespräch zu seicht oder zu gefährlich wird."

    "Also, wir machen hier den Schulterschluss mit CDU, Linke und SPD. Wir sind Mitglied im Verein 'Die Platte lebt', machen verschiedene Projekte und unterstützen sie jeder nach seinen Möglichkeiten. Da gibt es keinen Dissens."

    Ende der Bürgersprechstunde. Nur fünf Frauen und Männer kamen. Holter holt tief Luft, marschiert ansatzlos aus dem Schatten des roten Schirms, dreht seine erste Runde auf dem Stadtteilfest.

    Vorbei an der Hüpfburg, direkt unter den Schirm der CDU. Berührungsängste? Nicht für Holter. Er hat sich zwar schon festgelegt, dass er die SPD als Juniorpartner in seiner künftigen Regierung akzeptieren würde, aber eine andere Partei wäre ihm deutlich lieber. Was er aber so nicht sagt, sondern so:

    "Meine liebste Koalition wäre eine Koalition der Vernunft, aber die Parteien sind noch nicht ganz so vernünftig. Und deshalb ist mein Lieblingspartner natürlich die SPD."

    Die SPD als Juniorpartner! Diese außergewöhnliche Konstellation schwebt Holter vor, wenn die Linke stärkste Partei in Mecklenburg-Vorpommern werden sollte. Die Chancen dafür stehen gut. Während die derzeitige Regierungskoalition von CDU und SPD in den letzten Jahren stagnierte, zog die Linke in der Wählergunst gleich, möglicherweise sogar schon vorbei.

    Holter weiß, dass er in seiner Partei viele Gegner hat, die ihn und seine Politik des Pragmatismus zutiefst ablehnen. Würde der Ministerpräsidentenkandidat heute jedoch den Vorschlag für eine links-konservative Regierung machen, wäre er vermutlich morgen schon aus allen Ämtern gejagt.

    "Ich habe eins gelernt. Wenn man zu seiner Position stehen will, dann sollte man sie nicht verheimlichen. Das zweite ist, wenn man die eigene Partei voranbringen will, dann muss man auch ein Stück provozieren und ein Stück überziehend auftreten."

    Holters Mundwinkel deuten wieder ein Lächeln an. Er geht zu einem Stand mit russischen Spezialitäten:

    Der Fraktionschef könnte viel erzählen über seine Landespartei, die von ihm mehr abhängt, als er von ihr. Deshalb quält er seine Partei gelegentlich mit Sätzen wie "Die SED ist von Terror, Mord und Repression gekennzeichnet gewesen." Das sagte er in einem Stern-Interview, und die Parteilinken probten daraufhin erfolglos den Aufstand. Würde er diesen Satz noch mal sagen?

    "Ich würde ihn so, in dieser Deutlichkeit nicht mehr sagen. Aber die Einschätzung einer Diktatur, daran kann man nicht vorbei und es geht wirklich darum, die DDR differenziert zu betrachten und diese Seite auch deutlich herauszustellen."

    Aalglatt, ein Opportunist, Lavierer und Karrierist - so beschimpfen ihn seither die eigenen Parteimitglieder bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Trotzdem hält die Basis gleichzeitig zu Holter, weil sie weiß, dass es ohne ihn keine linke Landesregierung geben wird. Der Fraktionschef, verheiratet, zwei Kinder, zupft an seinem Jackett. Der Mann, der zu DDR-Zeiten bereits für das Amt eines stellvertretenden Ministers vorgesehen war, hat sich heute mit der Wiedervereinigung der deutschen Staaten anrangiert. Gut findet er sie nach wie vor nicht.

    "Das ist leider anders gekommen."

    Holter, wieder unter seinem roten Parteischirm, ist auf dem Weg nach oben. Zwölf Jahre nach dem Ministeramt peilt er nun den Chefsessel in Mecklenburg-Vorpommern an.

    "Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, das ist mein Ziel, das will ich werden."

    Und seine Erfolgschancen sind so gut wie noch nie.