Freitag, 29. März 2024

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Neues Album von Marcus Hamblett
„Mir gefällt es, die Zeit zu dehnen“

Der britische Musiker Marcus Hamblett agiert eigentlich als Produzent für bekannte Acts im Hintergrund. Parallel dazu schraubt er auch an seinen eigenen Solo-Alben. „Detritus“ ist sein zweites Werk, auf dem er Ambient, Jazz und Post-Rock zu fantasievollen Soundcollagen fusioniert.

Von Andi Hörmann | 16.11.2019
Auf dem Bild ist der Musiker Marcus Hamblett zu sehen. Er steht vor einer Berglandschaft und lächelt in die Kamera
Der Musiker Marcus Hamblett (Andi Hörmann)
"Mir gefällt es, die Zeit zu dehnen und wie ich es nenne, die richtigen falschen Töne zu spielen, und sie dann auf eine interessante Art aufzulösen."
Marcus Hamblett komponiert akustische Collagen. Dreidimensionale Klangräume öffnen sich in seinen instrumentalen Stücken.
"Ich mag es mehr, mit musikalischen Texturen zu experimentieren als mit Noten und Rhythmen."
Koordinatensystem aus gläsernen Tönen
Verhallte Beats aus einem modularen Synthesizer in einem Koordinatensystem aus gläsernen Tönen der Jazz-Gitarre. Auf dem zweiten Album "Detritus" von Marcus Hamblett gibt es nur sechs Stücke. Gleich der erste Track "Ghost Socks" dehnt sich auf ganze zwölf Minuten aus, in denen er mindestens drei mal das Genre wechselt. Jazziger Post-Dubstep am Anfang.
Analoge Synthesizer-Electronica unterlegt mit militärischem Marsch-Beat im Mittelteil.
Und gegen Ende löst sich der Stilmix in einem versöhnlich melancholischem Bläser-Arrangement auf, unterlegt mit einem Arpeggio aus Minimal Music.
"Ich mag Musik um der Musik willen machen. Musik, die ich hören möchte. Da gibt es für mich keine großes emotionales oder expressives Element. Aber die Kompositionen machen mich natürlich emotional. Vor allem das Stück ´Vibraphone Piece` auf meinem neuen Album. Das ist das Stück, auf das ich am meisten stolz bin. Gerade der zweite Teil der Nummer trifft mich manchmal mitten ins Herz, wenn ich es höre. Ich weiß nicht genau warum."
Orchestrale Weite und kammermusikalische Nähe
Marcus Hamblett gelingt es, in seiner Musik orchestrale Weite mit kammermusikalischer Nähe zu verbinden. Daher erinnern seine Kompositionen immer auch an berühmte Filmmusiken, etwa an Ennio-Morricone-Soundtracks zu legendären Italo-Western, oder Krzysztof Komedas Score zu Roman Polanskis Psycho-Drama "Rosemary's Baby".
Anklänge an den Post-Rock aus dem Chicago der 1990er Jahre um das Band-Kollektiv Tortoise gibt es auch zu hören. Marcus Hamblett kombiniert sie mit versponnener Krautrock-Elektronika à la James Holden. Überhaupt: James Holden, der DJ und Techno-Produzent aus Exeter. 2017 spielte Marcus Hamblett das Kornett, ein trompetenähnliches Blasinstrument, in der Band des Produzenten: "James Holden & The Animal Spirits".
"Es war großartig, ein Teil davon zu sein. Die Aufnahmen waren so einfach. Wir haben das Album in nur einer Woche eingespielt, eine sehr heiße Sommerwoche. Es gab keine Proben. Vieles war nicht mal komponiert. Wir spielten einfach. Die Live-Shows war auch so: Kein Proben, viel Improvisation."
Laptop, E-Gitarre und ein Kasten mit modularen Synthesizer-Systemen: Das Live-Setup ist reduziert, aber auch äußerst unüberschaubar mit den ganzen Kabeln und Steckern. Da verliert selbst der Künstler schon mal den Überblick.
"Das kann einem schon Angst machen, wenn du weißt, dass mit der Verkabelung etwas schief läuft, aber ich spiele auch mit dem Unvorhersehbaren bei der Kombination der Synthesizer-Module. Das lässt mich auch immer wieder anders auf die Sounds reagieren."
Marcus Hamblett — 1987 geboren, in Bristol aufgewachsen — lebt heute in Brighton. Seinen Job als Programmierer hat er wegen der Musik vor mehr als zehn Jahren an den Nagel gehängt. Eigentlich hat er ja mal Literatur studiert. Seltsam, dass er nun instrumentale Musik macht und Wörter in seinen Kompositionen so gar keine Rolle spielen.
Ein Vokabular aus verschiedensten Genres
"Ja, ich denke, dass ich alle Wörter aus meinem System gestrichen habe als ich 21 war. Ich hab viel Kafka gelesen, und Samuel Beckett. Meine Dissertation habe ich über die Verbindung von John Cage und Samuel Beckett geschrieben. In vielen der Sachen, die ich studiert habe, ging es darum, ständig über etwas zu reden, auch wenn man nichts zu sagen hat. Das hat mir den Drang genommen, mich in Worten auszudrücken, sondern stattdessen die Musik sprechen zu lassen."
So hat Marcus Hamblett eine musikalische Sprache entwickelt, mit dem Vokabular verschiedenster Genres und Disziplinen: der Transparenz des Post-Rock, der dichten Atmosphäre krautiger Elektronica und der stimmungsvollen Spannung von Film-Soundtracks.