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''Mir geht’s Berlin''

Eine Frau im Hotelbett. Sie trägt ein züchtiges Kleid, wie es vielleicht mal in den Sciencefiction-Filmen der 60er Jahre Mode war. Die Augen sind geschlossen, und ihre Körperhaltung ist unnatürlich steif, als wäre die Leichenstarre schon eingetreten. Die Arme liegen gerade neben dem Körper - eine Kreuzigungsszene, aufgelockert durch einen Stoffbär in der einen Hand, das Modell des Brandenburger Tors in der anderen; ein makabrer Tatort, zumal die Frau gar nicht wirklich im Hotelbett liegt, sondern etwas darüber in der Luft zu hängen scheint.

Von Rayk Wieland |
    Das Bild dokumentiert nicht die Szene eines ominösen Ritualmords. Es weist auch nicht auf eine Entführung durch Außerirdische hin. Es handelt sich nicht um Reklame für die Magnetschwebebahn. Es ist: die neue Berlin-Werbung des Berliner Senats und des "Berlin Touristik Marketing", die seit drei Tagen in 70 deutschen Städten für ungläubiges Kopfschütteln sorgt. Denn das Plakatmotiv der frei schwebenden, im Hotelbett gekreuzigten und im Angesicht abgeschmackter Berlinsouvenirs in Umnachtung gefallenen komatösen Dame wird komplettiert durch den Schriftzug: "Mir geht’s Berlin!" Noch einmal für Hörerinnen und Hörer, die noch die alte Rechtschreibreform intus haben: "Mir geht’s Berlin!"

    Als der Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit das Plakat präsentierte, sagte er mit einem beide Ohren umrundenden Lachen, ihm erschließe sich der Spruch sofort. Er muss einen Kurs in Hochleistungslegasthenie besucht haben, denn die Semantik des Satzes bleibt durchaus fragil. Neben den bekannten Mir-geht’s-Sätzen wie "Mir geht’s hervorragend!", "Mir geht’s überhaupt nicht gut!" oder "Mir geht’s am Arsch vorbei!" ist "Mir geht’s Berlin!" zweifellos eine Innovation – aber, um im Jargon zu bleiben: Wem bedeutet sie?

    Die Frage, auf die der Satz "Mir geht’s Berlin!" eine Antwort sein könnte, wäre: "Wo geht es dir?" Vielleicht hat Klaus Wowereit diese Frage, die in der ungekürzten Fassung "Wowereit, wie geht es dir?" lauten müsste, im Zusammenhang mit den vielen anderen Einsparungen, Streichungen und Schließungen im Berliner Haushalt um ein paar Silben gekürzt? Nach Bankskandal, Filzaffäre und Bankrott des Landeshaushalts müssen alle Opfer bringen in der Stadt, auch die Ressource Sprache wird jetzt offenbar knapp.

    Jeder Arzt müsste einen Patienten, der auf die Frage nach seinem Befinden antwortet, es gehe ihm Berlin, in die Psychiatrische überweisen, wo Spezialisten versuchen würden, zu verstehen, woran er leidet. Der Fall ist ernst. Wer Berlin sagt, sagt, die Lage ist hoffnungslos. Die Theater werden im Minutentakt geschlossen, die Opern vom Bund alimentiert, die Museen wegen Baufälligkeit gesperrt. Im Senat sitzen korrupte Kommunisten, die eine Sozialkürzung nach der anderen beschließen. Unter den Augen der von der Hitze geplagten Bevölkerung trocknen die Schwimmbäder aus. Die Kosten für einen Fahrschein der Berliner Verkehrsbetriebe übersteigen bald ein durchschnittliches Monatseinkommen. Und das sind nur einige wenige Depressionen aus der Stadt. Die Diagnose von "Mir geht’s Berlin!" muss ein hohe Suizidgefahr konstatieren und die Einweisung in die geschlossene Abteilung verfügen.

    Fassen wir zusammen: Im Hotel liegt die Leiche einer Frau. Außerirdische wollen den Berliner Bären und das Brandenburger Tor entführen. Klaus Wowereit kürzt jetzt auch den Sprachhaushalt zusammen. Und nach Aids und SARS sehen sich die Ärzte mit einer neuen autoaggressiven Krankheit konfrontiert. Sie nennen sie: Berlin.

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