"Mir ist alles gelungen – nur mein Leben nicht"

Von Karl Lippegaus · 02.03.2011
Dreitagebart, Zigarette und die rechte Hand am Whiskyglas: so kannten die Franzosen Serge Gainsbourg aus unzähligen TV-Auftritten. Der größte Erneuerer des französischen Chansons ab den 60er-Jahren liebte es zu provozieren und zu schockieren. Den Tabubruch hatte er sich schon früh auf die Fahne geschrieben.
Die Anwohner der Rue de Verneuil im feinen siebten Bezirk haben den Kampf gegen die Graffitis aufgegeben. Der Eingang zum Haus Nummer 5b sieht aus wie die Pforte zur Unterwelt. Hier lebte, zwischen schwarzen Wänden und einer kostbaren Kunstsammlung von 1969 bis zu seinem Tod am 2. März 1991 Serge Gainsbourg.

"Meine ersten Erinnerungen, ich war ein oder zwei Jahre alt, waren musikalischer Art. Mein Vater spielte jeden Tag Scarlatti, Bach, Vivaldi oder Cole Porter. ( ... ) Sein Klavier hab' ich gehört, bis ich 20 war. Das war sehr wichtig."

Joseph Ginsburg, ein russischer Jude, war mit seiner Frau vor den Pogromen 1921 nach Paris geflohen. In der Nähe von Montmartre kommt ihr Sohn Lucien sieben Jahre später zur Welt. Das Kind ist viel allein, sehr schüchtern und hat kaum Freunde.

"Etwas Widersinniges schockierte mich, als ich klein war. Papa nahm seinen Gürtel und schlug mich, es tat weh, ich weinte. Hatte wieder was angestellt. Beim Abendessen entschuldigte er sich, das ging mir nicht rein in meinen kleinen Vogelkopf. Wenn er sauer war, sollte er sauer bleiben. Bevor ich einschlief dachte ich, ich sei der unglücklichste Mensch auf Erden."

Um 1940 erlebt die Familie Ginsburg die Welle des Antisemitismus, die mit den deutschen Besatzern über Frankreich hereinbricht. Lulu bricht die Schule ab, seine Passion sind Musik und ...

"Die Malerei hat mich geprägt. Wenn ich malte, war ich ausgeglichen."

Bei den Prostituierten von Barbès sammelt er erste sexuelle Erfahrungen - sein späteres Leitmotiv. Moderne Kunst, Literatur und Jazz inspirieren ihn.

"Das Bedürfnis zu provozieren kommt wohl aus meiner Vergangenheit. Ich bin ein Entwurzelter."

Für Juliette Greco schreibt er "Les amours perdues". Seine Chansons sind anders als die intellektuellen vom linken Seine-Ufer: härter, animalischer, konzessionsloser.

"Das Chanson ist nicht tot. Es muss nach vorne gehen, nicht Amerika nachäffen. Und sich moderner Themen bedienen."

Lucien klingt zu sehr nach Friseur, also wird aus Ginsburg: Serge Gainsbourg. Ende der 50er-Jahre explodieren die Plattenverkäufe. Gainsbourg taucht in den ersten von unzähligen Fernsehsendungen auf. In den Studios wird der kettenrauchende Snob ein Perfektionist, der genau weiß, was er will.

"Es ging zu schnell. Ich kriegte einen großen Preis für meine erste Platte. Was die Bühne betraf: das war nicht mein Metier."

Serge besitzt nur einen einzigen Anzug, den legt er nachts unter die Matratze, damit er schön glatt bleibt.

"Ich hatte `n Handicap: mein Aussehen. Papa verstand nicht, warum das die Frauen so anzog. Jacques Brel meinte, 'Du hast nur 'ne Chance, wenn du ´n Crooner wirst.'"

Lange hat Gainsbourg kein Stammpublikum, er verkauft wenig Platten und wird selten im Radio gespielt. Aber unter dem lässigen Äußeren verbirgt sich Aggressivität. Und ein wacher Geist. Als die Beat-Welle anrollt, schreibt er für die kleine France Gall, die ihm den Grand Prix d'Eurovision beschert. Es folgt eine stürmische Liebesaffäre mit Brigitte Bardot, die er dem unsäglichen Gunter Sachs ausspannt.

Mit Brigitte Bardot nimmt er die geniale erste Version von "Je t'aime moi non plus" auf: eine ozeanische Sex-Hymne. Die Bardot fürchtet um ihr Image und lässt die Platte verbieten. Trotz (oder wegen?) der Zensur in vielen Ländern wird daraus in der zweiten, schwächeren Fassung mit Jane Birkin noch immer ein Millionen-Hit: Gainsbourgs größter Coup.

Doch privat geht es bergab. Sein Alkoholismus wird dem optimistischen Selbstmörder zum Verhängnis. Ein Außenseiter blieb er bis zum Schluss.

"Mir ist alles gelungen – nur mein Leben nicht."