Donnerstag, 25. April 2024

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Sexueller Missbrauch
"Die Kirche steckt in einer absolut existenziellen Krise"

Durch die Missbrauchsskandale habe die katholische Kirche bis in innerste Kreise hinein Glaubwürdigkeit verloren, sagte Theologin Marianne Heimbach-Steins im Dlf. Das gesamte klerikale System stehe auch dem Prüfstand. Das hätten auch sehr viele Verantwortliche verstanden.

Marianne Heimbach-Steins im Gespräch mit Christoph Heinemann | 22.02.2019
Zum Gebet gefaltete Hände von Mitgliedern der Internationalen Vereinigung Päpstlichen Rechts, die "Herolde des Evangeliums" 2005 während der Zeremonie einer Priesterweihe in der Basilica do Carmo in Sao Paulo.
Der Zölibat und bestimmte Strukturen des Priesteramtes geraten durch den Missbrauchsskandal verstärkt in den Fokus der Kritik (dpa / Ralf Hirschberger)
Christoph Heinemann: Es ist eine Premiere in der katholischen Kirche. Papst Franziskus hat zu einem Gipfeltreffen geladen, um sexuelle Straftaten gegen Kinder möglichst zu verhindern und den Vertuschungen dieser Straftaten den Kampf anzusagen. Denn das wiegt für viele Opfer sehr schwer, dass Täter von ihren Vorgesetzten gedeckt und nie bestraft wurden. Rund 110 Vorsitzende der Bischofskonferenzen der Welt sind nach Rom gereist, aus Deutschland Kardinal Reinhard Marx. Kritisiert wurde, dass nur etwa zehn Frauen eingeladen wurden. Das Treffen ist in drei Themengruppen gegliedert: Es geht um Verantwortung, heute um Rechenschaftspflicht und dann Transparenz. Und es sollte auch um die Opfer gehen.
Am Telefon ist die Theologin und Professorin Marianne Heimbach-Steins. Sie lehrt am Institut für christliche Sozialwissenschaften der westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Guten Morgen!
Marianne Heimbach-Steins: Guten Morgen, Herr Heinemann.
"Es reicht nicht alleine, Regeln zu machen"
Heinemann: Frau Heimbach-Steins, welches Ergebnis müsste mindestens erzielt werden, damit Sie von einem gelungenen Treffen sprechen könnten?
Heimbach-Steins: Ich glaube, das erste was notwendig ist, ist, dass es für die Weltkirche insgesamt verbindliche Richtlinien für den Umgang mit den Missbrauchstätern gibt, und dass dafür auch Wege gefunden werden, wie die in sehr unterschiedlichen weltkirchlichen Kontexten umgesetzt werden können. Das heißt schon, es reicht nicht alleine, Regeln zu machen, sondern man muss auch darauf gucken, wie können sie umgesetzt werden. Dazu sollte diese Konferenz wiederum auch Vereinbarungen treffen, dass es, wie das bisher in der Vergangenheit häufig gewesen ist, zwar Regeln gibt, aber man sich weiter nicht darum kümmert, oder meint, die gelten vielleicht für die anderen, aber nicht für uns.
Eine Regel ist sicherlich ganz dringend - das kam eben in dem Text über die Opfer ja auch schon vor -, dass überführte Täter nicht im Amt bleiben dürfen und nicht weiter in einer Situation bleiben dürfen, in der sie weiter Täter sein können.
Heinemann: Rechnen Sie damit, dass es dazu kommen wird?
Heimbach-Steins: Da bin ich mir noch nicht so ganz sicher. Ich sehe schon in dem, was man bisher wahrgenommen hat in der Konferenz, dass es ein doch inzwischen endlich sehr waches Bewusstsein für die Tragweite der Problematik gibt. Aber wir wissen, dass es auf weltkirchlicher Ebene sehr, sehr unterschiedliche, sagen wir, Entwicklungsstände gibt, wie das Problem wahrgenommen wird. Es gibt Länder, in denen die Kirche seit langem sehr aktiv mit dem Problem umgehen muss und auch unter sehr strengen staatlichen Rechtsvorschriften handelt. Und es gibt Länder, in deren Kirchen man das Problem eigentlich noch gar nicht wirklich wahrnimmt. Das ist sicher eine Erschwernis.
"Riesen Defizit im Bereich der kirchlichen Rechtskultur"
Heinemann: Und es gibt Strukturen, um da eine Überlegung des Journalisten und Theologen Joachim Frank aufzugreifen. Inwieweit begünstigen die Sakralisierung von Macht einerseits und andererseits die Tabuisierung von Sexualität solche Straftaten?
Heimbach-Steins: Ja, das ist natürlich ein ganz großes Problem, und mit diesen beiden Stichworten haben Sie den Kern der Problematik im kirchlichen Bereich sicherlich angesprochen. Die Sakralisierung von Macht, das was man üblicherweise Klerikalismus nennt, ist sicher ein ganz großes Problem in der Vergangenheit, und das ist nicht einfach weg heute. Diese Vorstellung, Kleriker sind irgendwie immun, sind was Besonderes, sind durch die Amtsgnade der normalen Wirklichkeit irgendwie enthoben. Und die tatsächlichen Persönlichkeiten, die in einer Amtsrolle stecken, werden unter Umständen gar nicht wahrgenommen mit ihren Problemen, mit ihren Schwächen, mit ihren vielleicht auch Pathologien. Das ist ein riesen Problem, das sehen wir ja an der ganzen Geschichte der langjährigen, jahrzehntelangen Nichtbeachtung, Nichtaufarbeitung der Straftaten. Und das muss wirklich gründlichst aufgearbeitet werden. Ich glaube, dass da inzwischen ein Prozess begonnen hat - sehr spät und auch noch nicht überall in der Kirche mit gleicher Intensität und gleicher Bewusstheit. Aber das ist sicherlich eines der Kernprobleme.
Heinemann: Reformer verbinden ja genau diese Aufarbeitung mit der Forderung nach weitergehenden Erneuerungen in der Kirche - Stichwort Abschaffung des Zwangszölibats, die Zulassung von Frauen zum Priesteramt. Was bedeutet diese Zusammenkunft in Rom und der Skandal für das Machtgefüge in der Kirche?
Heimbach-Steins: Nach meiner Wahrnehmung ist ganz deutlich, dass die Kirche in einer absolut existenziellen Krise steckt und dass sehr viele Verantwortungsträger das inzwischen auch verstanden haben. Das heißt, wir sehen es in Deutschland, dass viele Amtsträger inzwischen über Fragen nachdenken, über die man bis vor ganz wenigen Jahren noch kaum sprechen durfte, ohne sofort einen aufs Dach zu kriegen - die Zölibatsfrage, die Amtsfrage überhaupt. Das ist für mich ein Signal, dass die Tragweite des Problems allmählich erkannt wird.
Es geht tatsächlich um mehr als das, was jetzt mit dem Thema Missbrauch auf der Tagesordnung steht. Das ist schwerwiegend genug. Aber es zeigt sich: Es gibt strukturelle begünstigende Faktoren offensichtlich in diesem hierarchischen, sehr klerikalen System der katholischen Kirche. Es gibt vor allen Dingen ein riesen Defizit im Bereich der kirchlichen Rechtskultur. Und das aufzuarbeiten, ist eine Sache, die sich auch nicht mit einer Konferenz im Vatikan machen lässt. Aber diese Konferenz kann ein sehr wichtiger Ausgangspunkt werden und es ist schon richtig, dass es danach nicht einfach weitergehen kann wie bisher.
Von machen Traditionen verabschieden
Heinemann: Frau Heimbach-Steins, was glauben diejenigen zu verlieren, die an der gegenwärtigen Ordnung festhalten möchten?
Heimbach-Steins: Da müsste man in die Köpfe derer reingucken, die das wollen. Ich denke, es ist für Menschen, die über Jahrzehnte in diesem Kirchensystem sozialisiert worden sind und in diesem System zu Verantwortungspositionen gekommen sind, sicherlich nicht leicht, sich davon zu verabschieden, und damit ja vor allen Dingen auch bereit zu sein, Macht abzugeben und sich selbst auf die Pathologien dieses Systems einzulassen und zu sagen, so kann es nicht weitergehen. Da wird wirklich das Unterste zuoberst gekehrt, und das ist ein schmerzlicher Prozess für alle Beteiligten, der aber absolut unerlässlich ist. Ich glaube, es ist wirklich eine Existenzfrage. Die Kirche hat derartig an Glaubwürdigkeit verloren, bis in die innersten Kreise hinein. Ich sehe das ja auch in meinem Umfeld, auf dem Feld meiner Kolleginnen und Kollegen. Alle kämpfen mit der Frage, wie kann man eigentlich dabei bleiben.
Heinemann: Könnten Glaubensinhalte, das Proprium der Kirche gefährdet werden, wenn ein Reformprozess jetzt eingeleitet würde im Sinne von brechenden Dämmen?
Heimbach-Steins: Das glaube ich eigentlich nicht. Ich glaube eher, dass wir zu einer neuen Wahrnehmung, einer Neusortierung kommen müssen, was ist wirklich essenziell Glaubensinhalt, Inhalt der Botschaft des Evangeliums Jesu Christi, und was ist im Laufe der Jahrhunderte in dem System Kirche darum herumgewachsen, was vielleicht auf den ersten Blick so aussieht, als wäre es unerlässlich, aber vielleicht kommen wir dazu, neu zu entdecken, was wirklich essenziell ist und wo man dann auch an Systemfragen, an gewachsenen traditionellen Strukturen der Kirche durchaus auch noch mal drehen kann und sagt, es geht eigentlich besser und man kann die Botschaft des Evangeliums glaubwürdiger verkünden, wenn man sich von manchen Traditionen auch verabschiedet.
Heinemann: Welchen?
Heimbach-Steins: Zum Beispiel einem Zwangszölibat, zum Beispiel einer bestimmten Struktur des Amtes. Ich glaube, damit sind wir sicherlich noch nicht fertig, aber ich glaube, dass man an diesen Fragen wirklich arbeiten muss, um wieder zum Kern einer glaubwürdigen Verkündigung des Evangeliums zurückzukommen.
Beziehung zur Kirche nicht erst jetzt auf die Probe gestellt worden
Heinemann: Frau Heimbach-Steins, Sie sprachen eben von einer existenziellen Krise. Hat der Skandal Ihr Katholisch sein verändert?
Heimbach-Steins: Ja, natürlich! Es ist für mich als Christin und für mich als Katholikin und als katholische Theologin bis jetzt noch nicht die Frage, ob ich gehe oder bleibe, aber es ist schon die Haltung zur Kirche, die Auseinandersetzung mit den Problemen dieser Institution. Die verändert einen schon im Laufe der Zeit. Ich bin jetzt seit über 30 Jahren Theologin und die Beziehung zur Kirche ist immer differenzierter geworden und auch zeitweise, nicht erst jetzt, auf harte Proben gestellt worden, weil diese Spannung zwischen einer glaubwürdigen Verkündigung des Evangeliums und dem, weswegen man eigentlich Christ ist, und Strukturen, die eigentlich den Zugang zu dieser Botschaft erschweren, Hindernisse aufstellen, die ist immer größer geworden.
Wir sind als Theologinnen und Theologen für unsere kritische Begleitung der Kirche, die zu unserer Verantwortung gehört, ja immer wieder auch heftig angegangen worden. Wir haben jetzt in den letzten Jahren häufig darüber gesprochen, 2011 haben wir dieses Memorandum veröffentlicht, wo wir schon nach dem ersten Aufbrechen des Missbrauchsskandals in Deutschland sehr deutlich auf die Strukturprobleme aufmerksam gemacht haben. Dafür wurden wir geprügelt von den offiziellen Kirchenvertretern. Wir sollten nicht mehr eingeladen werden und was weiß ich alles. Das sind so Sachen, wo ich sage: Jetzt merkt ihr allmählich, worauf wir schon lange aufmerksam gemacht haben. Das macht natürlich die Loyalität zur Kirche schwieriger, aber ich würde sagen: Wir haben eine Verantwortung, die wir niemandem delegieren können. Dann bleibt man dabei, aber ganz einfach ist es nicht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.