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Missbrauchsskandal im US-Turnen
"Er war wie ein Kumpel"

Mitte Dezember deckte die US-Tageszeitung “Indianapolis Star” auf, dass in den USA etliche junge Turnerinnen von ihren Trainern sexuell belästigt oder sogar missbraucht wurden. Ein Name, der in diesem Zusammenhang fiel, war der des ehemaligen Verbandsarztes Dr. Larry Nassar. Jetzt traten drei ehemalige Athletinnen erstmals im US-Fernsehen auf und erhoben schwere Vorwürfe.

Von Heiko Oldörp | 20.02.2017
    US-Turnerin Alexandra Raisman bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio auf dem Schwebebalken
    Im US-Turnen ist letztes Jahr ein großer Missbrauchsskandal aufgedeckt worden. (Imago)
    Der Journalist der amerikanischen Fernsehsendung "60 Minutes" warnt das Publikum vor der Ausstrahlung seiner Story über den ehemaligen Teamarzt des US-Turnverbandes, Dr. Lawrence Nassar. Er spricht von "beunruhigenden Details".
    Geschildert werden die Vorkommnisse von Jessica Howard, Jeanette Antolin und Jamie Dantzscher. Das Trio betonte, dass Nassar ihr Freund gewesen sei und sehr beliebt war. Allerdings seien sie irgendwie verwundert über seine Behandlungsmethoden gewesen.

    Nassar war jahrzehntelang Teamarzt
    "Alle Mädchen mochten ihn. Er war wie mein Kumpel. Er war auf meiner Seite. Als junges Mädchen bist du verwirrt, du weißt nicht, was vor sich geht", so eine der drei Frauen im Fernsehinterview.
    Nassar arbeitete mehr als zwanzig Jahre lang als Teamarzt für den US-Verband. Er zählte weltweit zu den Besten seines Faches. Seine Patienten waren Teenager in einem Sport, in dem Verletzungen keine Seltenheit sind. So wie Jamie Dantzscher: "Ich hatte im unteren Rücken starke Schmerzen, ging zu Larry. Er hat seine Finger in meine Vagina gesteckt, meine Beine bewegt und gesagt, dass es gleich ein Knacken geben und ich mich dann besser fühlen werde.”
    Er war die einzige Vertrauensperson
    Dantzscher war damals 13 Jahre alt und trainierte in der berühmten Ranch von Bela und Marta Karolyi in Texas. Hier wurden über Jahrzehnte Olympiasieger und Weltmeister geformt. Allerdings herrschte in ihrer Akademie extremer Leistungsdruck. Für Sentimentalitäten war kein Platz.
    In dieser gefühlskalten Welt war Larry Nassar die einzige Vertrauensperson für die Mädchen. Er tröstete sie, wenn sie mal wieder als "nicht gut genug" abserviert wurden. Er gab ihnen Schokolade - und er nutzte letztlich das Vertrauen über viele Jahre schamlos aus.

    Howard: "Er bat mich keine Unterwäsche zu tragen."

    So wie bei Jessica Howard. Sie sagt: "Er hat angefangen, mich zu massieren und mich gebeten, keine Unterwäsche zu tragen. Und er hat dann meine Intimsphäre berührt. Ich dachte mir, irgendwas stimmt hier nicht. Aber ich wollte nichts sagen, denn er war dieser berühmte Arzt und ich war einfach nur glücklich, auf der Ranch zu sein und von ihm behandelt zu werden.”
    John Manley ist Howards Anwalt – und vertritt in der Klage gegen Nassar mehr als vierzig weitere ehemalige Turnerinnen. Manley meint: "Ich glaube, dass es seit den Sommerspielen 1996 in jedem US-Team Athletinnen gab, denen er etwas antat. Nassar ist ein chronischer Straftäter. Das Schlimmste aber ist, dass alle wegschauten und niemand die Mädchen beschützt hat. Ihnen waren Medaillen und Geld wichtiger.”

    Erst zwanzig Jahre später flog er auf
    Mit "Ihnen”, meint er die Karolyis und den US-Verband. Dessen Präsident, Steve Penny, teilte mit, dass man erst im Sommer 2015 auf Nassar aufmerksam geworden sei – mehr als 20 Jahre nach den ersten Vorfällen.