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Missbrauchsvorwürfe in Hamburg
Geschlossene Gesellschaft im Leistungssport

Zwei Leistungssportler am Olympiastützpunkt Hamburg sollen einen minderjährigen Mitschüler über Monate gequält haben. Der Schutz vor Übergriffen unter Gleichaltrigen müsse in geschlossenen Gesellschaften wie dem Leistungssport oberste Priorität haben, kommentiert Andrea Schültke. In vielen Sportinternaten spiele das Thema Kinderschutz immer noch eine untergeordnete Rolle.

Von Andrea Schültke | 05.03.2017
    Das Bild zeigt das beleuchtete Schild mit der Aufschrift "Olympiastützpunkt" an der Eingangsdecke von unten fotografiert, am oberen Bildrand sieht man grauen bewölkten Himmel.
    Der Olympiastützpunkt Hamburg/ Schleswig Holstein. Für viele Sportnternate gibt es bisher keine einheitlichen Kinderschutzvorschriften und Verhaltensregeln. (Daniel Bockwoldt/dpa)
    Ja, es gibt Übergriffe unter Sportlern. Der Fall in Hamburg ist keine Überraschung. Sport ist Teil der Gesellschaft. Deshalb sind Grenzverletzungen und sexualisierte Gewalt im Sport genauso häufig wie anderswo. Das hat auch eine wissenschaftliche Untersuchung unter Kadersportlern bestätigt. Und ja: auch Sportler sind Täter.
    Der Schutz vor Übergriffen unter Gleichaltrigen müsste also oberste Priorität haben – in geschlossenen Gesellschaften wie dem Leistungssport. Die Athleten sind meistens unter sich. Sie bewegen sich in ihrer eigenen Welt, gehen häufig auf sogenannte Eliteschulen des Sports mit angeschlossenem Internat.
    Viele Eltern lassen sich blenden
    Für diese Internate gibt es bisher keine einheitlichen Kinderschutzvorschriften und Verhaltensregeln. Einige haben in Eigenregie Schutzkonzepte entwickelt, in anderen Internaten spielt das Thema Kinderschutz - wenn überhaupt - eine untergeordnete Rolle. Eltern, die sich von Begriffen wie "Elite", "Leistung" und "Disziplin" blenden lassen und ihre Kinder im Sportsystem sicher wähnen, liegen falsch. Sie könnten aber mögliche Lücken im System erkennen, wenn sie bei der Anmeldung des Nachwuchses am Internat nach Kinderschutzkonzept und Verhaltensregeln fragen würden. Das kommt so gut wie nicht vor, berichten Leiter der Einrichtungen.
    Wo Elite draufsteht wird schon Elite drin sein – auch beim Thema Kinderschutz. So ist wohl die Vermutung. Und die ist falsch, wie der Fall in Hamburg zeigt: Für ihren Traum von Medaillen ziehen Kinder teilweise schon mit zehn Jahren mitunter hunderte von Kilometern weit weg von zu Hause. Und damit weg aus der Obhut der Eltern in eine Eliteeinrichtung des Sports.
    In den Internaten ist teilweise aber nur ein Erzieher für 15 und mehr Kinder und junge Erwachsene zuständig. Wenn es gut läuft für Zehn. Vom optimalen Betreuungsschlüssel 1:3 ist das weit entfernt. Sie haben keine Chance, alles zu entdecken und zu verhindern. Hundertprozentige Sicherheit gibt es nie. Aber es gibt die verdammte Pflicht alles, was möglich ist, dafür zu tun. Da sind die Sportinternate gerade erst am Anfang. Entwickeln jetzt erst Konzepte zum Kinderschutz.
    Eine Suspendierung wäre das richtige Signal gewesen
    In Hamburg soll der hauptbeschuldigte Badmintonspieler einen 14-jährigen Mitschüler geschlagen, gedemütigt und in eine Kiste gesperrt haben, wenn die Medienberichte stimmen. Klingt, als könnte ein Aufnahmeritual, die sogenannte "Kadertaufe" für Neulinge aus dem Ruder gelaufen sein. Für den Anwalt des Hauptbeschuldigten ein "Jungen-Spaß". Die Staatsanwaltschaft Kiel wirft dem jungen Mann dagegen Körperverletzung, Nötigung und Freiheitsberaubung vor. So schlimm, dass sie Ende vergangenen Jahres Anklage erhoben hat. Ein Schwimmer soll an den Taten beteiligt gewesen sein. Die Ermittlungen gegen ihn laufen noch. Beide mutmaßliche Täter sind vom Internat suspendiert worden. Eine richtige Entscheidung. Falsch ist, dass beide weiter im Sportsystem bleiben und trainieren dürfen. Bis der Fall geklärt ist, wäre auch hier eine Suspendierung das richtige Signal gewesen – zum Schutz der mutmaßlichen Täter und vor allem zum Schutz der Kinder.