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Mißfelder: Kohl sorgt sich um Kurs der Außenpolitik

Im Hinblick auf die Kritik von Altkanzler Kohl am Kurs der Regierung sagte Philipp Mißfelder, dass auch andere in der Union Kritik geäußert hätten. Der außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag forderte, dies auch in der Partei zu diskutieren.

Philipp Mißfelder im Gespräch mit Friedbert Meurer | 25.08.2011
    Friedbert Meurer: Irgendjemand hat einmal gemeint, Ratschläge sind auch Schläge. Das fängt in der Schule an mit den Ratschlägen des Lehrers und geht manchmal in der Politik weiter. Gestern hagelte es Ratschläge an Angela Merkel, von Bundespräsident Christian Wulff und von Altbundeskanzler Helmut Kohl. Sie müsse prinzipienfester werden und einen Kompass in die Hand nehmen, rät Merkels Ziehvater Kohl. Das Interview Kohls erscheint in der Zeitschrift "Internationale Politik", die wird herausgegeben von der renommierten Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, und wir haben hier einmal die wichtigsten Passagen kurz zusammengefasst.

    "Deutschland ist schon seit einigen Jahren keine berechenbare Größe mehr, weder nach innen noch nach außen. Wenn ich dagegen die Entwicklung der vergangenen Jahre betrachte, dann frage ich mich schon, wo Deutschland heute eigentlich steht und wo es hin will. Als vor einigen Wochen der amerikanische Präsident Obama nach Europa kam, war er unter anderem in Frankreich und in Polen, aber nicht in Deutschland. Nach allem, was wir Deutsche und Amerikaner gemeinsam erlebt und durchlebt haben und was uns bis heute tief verbindet, hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich einmal erleben muss, dass ein amtierender amerikanischer Präsident nach Europa kommt und über die Bundesrepublik hinwegfliegt, ich könnte auch sagen, über sie hinweggeht.

    Wir müssen aufpassen, dass wir nicht alles verspielen. Wenn man keinen Kompass hat, wenn man also nicht weiß, wo man steht und wo man hin will, und daraus abgeleitet dann entsprechend auch keinen Führungs- und Gestaltungswillen, dann hängt man auch nicht an dem, was wir unter Kontinuitäten deutscher Außenpolitik verstehen, ganz einfach, weil man keinen Sinn dafür hat. So einfach und doch wiederum so kompliziert ist das.

    Um es auf den Punkt zu bringen: Die enormen Veränderungen in der Welt können keine Entschuldigung dafür sein, wenn man keinen Standpunkt, oder keine Idee hat, wo man hingehört und wo man hin will. Das Gegenteil ist der Fall. Die enormen Veränderungen rufen geradezu nach festen und klaren Standortbestimmungen, nach Konstanten und Verlässlichkeit. Je komplexer die Welt ist, desto wichtiger ist es, dass die Entscheidungsträger - und ich sage dies gerade auch mit Blick auf die Politik - ihre Verantwortung wahrnehmen, Führung zeigen, Antworten geben und in ihren Standpunkten und Prinzipien klar und nachvollziehbar bleiben."

    Meurer: Das sind alles schriftlich nachzulesende Aussagen von Altbundeskanzler Helmut Kohl in einem Interview mit der Zeitschrift "Internationale Politik". Die Kanzlerin hat kurz darauf reagiert und hat der "Süddeutschen Zeitung" heute gesagt, "Die Verdienste Helmut Kohls als Kanzler der Einheit und der europäischen Einigung sind nicht hoch genug einzuschätzen. Jede Zeit hat ihre spezifischen Herausforderungen. Die Bundesregierung arbeitet daran, die Herausforderungen zu meistern."

    Am Telefon begrüße ich jetzt sozusagen einen Kohl-Enkel, den Vorsitzenden der Jungen Union, Philipp Mißfelder. Er sitzt im Präsidium und ist außenpolitischer Sprecher der Fraktion. Guten Morgen, Herr Mißfelder.

    Philipp Mißfelder: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Spricht Ihnen Helmut Kohl aus dem Herzen?

    Mißfelder: Ich habe mir die acht Seiten Interview durchgelesen. Ich glaube, dass das ja nicht nur die einzigen Punkte sind, er unterstützt ja auch an vielen Stellen den Kurs der Regierung. Es ist natürlich ein sehr ausführliches Interview und es zeigt einfach, dass er sich Sorgen macht um den Kurs der Außenpolitik, und ich als außenpolitischer Sprecher habe ja auch vielleicht andere, aber habe ja auch schon kritische Punkte geäußert, denken Sie zurück an die Enthaltung im UNO-Sicherheitsrat, als es um die Frage Libyen ging. Da haben der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz und ich ja auch gesagt, dass wir uns das anders vorgestellt hätten und dass wir das unter dem Gesichtspunkt der Bündnistreue als einen sehr kritischen Punkt gesehen haben.

    Meurer: Da fehlte also schon der Kompass?

    Mißfelder: Na ja, also ich möchte mich nicht auf diese Formulierung einlassen, das ist die Formulierung von anderen. Ich selber muss meine eigenen Formulierungen finden. Aber da haben wir ja, obwohl das ja in der Außenpolitik relativ selten vorkommt, auch ganz deutliche Worte gefunden.

    Meurer: Kein Standpunkt, keine Ideen, kein Kompass, nicht verlässlich. Geht es noch vernichtender, Herr Mißfelder?

    Mißfelder: Sie sehen schon, dass in der Union gerade etwas los ist, und ich würde es auch einfach nicht beiseite wischen, denn das, was Teufel im Sommer gesagt hat oder geschrieben hat, das, was Helmut Kohl jetzt geschrieben hat, das, was ja auch viele junge im Übrigen sagen, der Vorsitzende der jungen Gruppe, Marco Wanderwitz, andere, die sich aus den Landesverbänden der Jungen Union ja auch schon seit Monaten kritisch äußern zum Kurs, das müssen wir ja ernst nehmen und das müssen wir auch diskutieren. Deshalb: Ich finde es richtig, dass wir jetzt auf dem Parteitag weiterhin über Bildungspolitik reden, aber auch über den Euro und damit natürlich auch über die Kursbestimmung der Union. Das muss breit diskutiert werden und das sollten wir auf den Regionalkonferenzen auch tun. Ich kann nur diejenigen, die sich äußern, auch immer nur auffordern, dies auch zu tun und sich nicht zurückzuziehen in ihr Privates und sagen, mir ist das nicht mehr so wichtig, dass ich mich nicht mehr viel engagieren will, sondern ich hoffe, dass auch die Kritiker sich dann weiterhin einbringen, für den Erfolg unserer Partei zu arbeiten, und ein Rückzug ins Private, das wäre für uns das falsche.

    Meurer: Wieso sind die Kritiker aus den aktuellen Reihen relativ still und vor allen Dingen sind es die Altvorderen Erwin Teufel und jetzt Helmut Kohl, die was sagen?

    Mißfelder: Na ja, ich glaube, den Eindruck konnte die Führung unserer Partei am Dienstag in der Fraktionssitzung nicht haben, weil da waren es ja vor allem die Mitglieder der jungen Gruppe, die sich kritisch geäußert haben. Aber wissen Sie, die haben natürlich nicht so das Gewicht. Wenn ich mich äußere, wenn der Vorsitzende der jungen Gruppe sich äußert, oder junge Abgeordnete, die jetzt in der ersten Legislatur sind, dann hat das natürlich nicht das Gewicht, wie wenn sich verdiente Persönlichkeiten unserer Partei so breit auch noch äußern. Also es gibt schon von der Seniorenunion bis hin zur Jungen Union halt viele Fragezeichen um den Kurs unserer Partei, und das müssen wir eben diskutieren.

    Meurer: Kurz auf diese Fraktionssitzung Dienstagabend. Haben Sie da irgendwas gehört, oder in der Präsidiumssitzung am Montag, von jenem ominösen Geheimpapier Wolfgang Schäubles, dass angeblich - das war eine Geschichte des "Handelsblattes" gestern - die Bundesregierung die Europolitik weitgehend am Parlament vorbei beschließen will?

    Mißfelder: Ich war sehr überrascht, als ich das gestern gelesen habe, und ich stimme dem Bundestagspräsidenten zu, dass wir keine geheimen Beratungen dort brauchen, sondern ich hätte überhaupt nichts dagegen gehabt, darüber am Montag in den Gremiensitzungen oder in der Fraktionssitzung am Dienstag zu diskutieren. Ich habe davon keine Kenntnis gehabt. Ich habe genauestens zugehört bei dem, was Wolfgang Schäuble gesagt hat, ich kann mich nicht erinnern, dass er dort dazu etwas gesagt hat. Ich habe mich sehr gewundert, dass fünf Abgeordnete des Deutschen Bundestages es zugeleitet bekommen und die eigene Fraktion es nicht bekommen hat. Ich denke, darüber müssen wir noch mal reden, weil das verwirrt die Leute ja, und wie sollen wir denn jetzt in unseren Wahlkreisen erklären, dass sich so gravierende Dinge ja auch inhaltlich geändert haben zu dem, was manche erwartet oder erhofft haben.

    Meurer: Redet die Führung, Herr Mißfelder, zu wenig mit der Partei, mit der Fraktion?

    Mißfelder: Nein, reden tun wir ja schon. Aber darüber hätten wir zumindest auch sprechen können, weil ich habe es durchs Handelsblatt erfahren und nicht durch die Information unserer Regierung.

    Meurer: Noch mal zum Kohl-Brief, Herr Mißfelder. Helmut Kohl ist ja für sein Elefantengedächtnis berühmt. Hat er Merkel nicht verziehen, ihn in der Spendenaffäre fallen gelassen zu haben?

    Mißfelder: Das kann nur Helmut Kohl selber beantworten. Ich war, als die sogenannte Spendenaffäre damals vonstattenging, sehr, sehr jung noch und war in der Schülerunion aktiv. Ich kann mich natürlich noch sehr plastisch daran erinnern, das war eine ganz schwierige Zeit für unsere Partei, und ich bin froh, dass wir das hinter uns gelassen haben und dass auch Angela Merkel und Helmut Kohl ja auch in Wahlkämpfen und bei anderen Gelegenheiten zueinandergefunden haben. Das ist wichtig für die Partei. Aber zu dieser Frage, da kann sich eigentlich nur Helmut Kohl äußern und nicht ich.

    Meurer: Aber Sie kennen ja Helmut Kohl ganz gut, haben einen Draht zu ihm, waren in Ludwigshafen-Oggersheim zu Hause bei ihm. Was macht er für einen Eindruck auf Sie, verbittert?

    Mißfelder: Nein! Er ist ein hoch politischer und engagierter Mensch, macht sich natürlich Sorgen um das, was die Zukunft Europas betrifft, und das ist ein Punkt, wo, ich glaube, er auch nicht so einfach zur Ruhe kommt.

    Meurer: Ist er Ihr Idol?

    Mißfelder: Also ich glaube, wenn man sich das so anschaut, ob es jetzt die Familienministerin Kristina Schröder ist oder auch ich oder viele andere junge Abgeordnete, als wir zur Kenntnis genommen haben, dass es überhaupt Parteien gibt, also als Kinder, und was Politiker eigentlich sind, da gab es eben nur die überragende Gestalt und die erfolgreiche Gestalt Helmut Kohl, und ich glaube, ich spreche da für viele aus der Jungen Union, dass Helmut Kohl gerade auch in den 90er-Jahren eine ganz, ganz wichtige Figur für die Geschichte der CDU ist und damit so viele Leute geprägt hat, Und ich glaube, das hält auch ein Leben lang.

    Meurer: Philipp Mißfelder, Vorsitzender der Jungen Union und Mitglied im CDU-Präsidium, heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke und auf Wiederhören, Herr Mißfelder.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.