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Mission Erde
Folge 10: Pflanzen im Visier

Erdbeobachtung. - Die Satellitenflotte, die die Erde umkreist, dient beileibe nicht nur der Wissenschaft. Brasilien etwa setzt Satellitendaten zur Überwachung des Amazonas-Gebiets ein. So kann man schneller als früher auf Abholzungen reagieren.

Von Karl Urban | 27.02.2014
    Die Bilder sind immer die gleichen. Männer machen sich mit Kettensägen an Urwaldriesen zu schaffen: gewaltige Bäume, die an ihrem Stamm gemessen viele Jahrhunderte alt sein müssen. Anschließend legen Bauern Feuer im Unterholz und warten, bis von den störenden Pflanzen nicht mehr geblieben ist als verkohlte Stümpfe und Asche.
    "Brasilien hat ein riesiges Problem, das sich seit den 1970er Jahren im Amazonas-Regenwald entwickelt hat."
    29.000 Quadratkilometer pro Jahr – eine Fläche so groß wie Belgien – ging in den schlechtesten Zeiten des brasilianischen Regenwalds verloren. Ein unerträglicher Zustand, findet Gilberto Camara. Über sechs Jahre lang war er Generaldirektor der brasilianischen Weltraumbehörde. Für ihn sind Satelliten ein entscheidendes Werkzeug, um die Abholzung einzudämmen. Satelliten, die schon lange einen Blick auf die Pflanzenwelt haben.
    "1972 fing alles an – mit Landsat: Das war ein US-amerikanischer Satellit, der zum ersten Mal systematisch die Biosphäre der Erde untersucht hat."
    Von Satelliten oder von Flugzeugen aus können Kameras ein Waldgebiet zwar nur grob untersuchen, weil ihre Auflösung selten gut genug ist, um einzelne Bäume zu unterscheiden. Aber Biologen können dennoch etwas aus den Bildern lernen, bestätigt André Große-Stoltenberg. Er untersucht die Pflanzenwelt als Landschaftsökologe an der Universität Münster – aus großer Entfernung.
    "Mit Echtfarben sehen wir auf dem Satellitenbild etwa einen Wald, wie er uns auch mit dem menschlichen Auge erscheinen würde. Wir haben aber den Vorteil, dass wir bei Landsat zum Beispiel auch einen Infrarotkanal haben, der sehr wichtig ist, um Vegetation zu charakterisieren. Das heißt, mit Infrarot können wir schon allein unterscheiden, ist es jetzt Vegetation oder nicht."
    Den Wechsel vom Urwald zu seinen verkohlten Überresten wollten Raumfahrtingenieure nach 2004 auch am Amazonas möglichst genau erfassen. Die größte Herausforderung dabei war: die riesige Fläche. Camara:
    "Das Amazonasgebiet ist größer als Europa. Stellen Sie sich vor, Sie müssten ganz Europa aus dem All überwachen und überall sofort einschreiten, wo jemand illegal den Wald abholzt."
    Um diese Aufgabe zu bewältigen, entwickelte Brasilien gemeinsam mit der Volksrepublik China ein ehrgeiziges Programm zur Erdbeobachtung. Vier Satelliten starteten seit 1999 ins All. Zusätzlich verwenden die Brasilianer Daten jedes anderen in Frage kommenden Satelliten, etwa von den Nachfolgern des US-amerikanischen Landsat. Wann immer heute einer von ihnen Anzeichen für neue Abholzungen aufnimmt, setzt das in Brasilien eine ganze Kette von Ereignissen in Gang.
    "Wenn heute ein Satellit Bilder macht, versuchen wir sofort alle Gebiete zu finden, wo Waldflächen verschwunden sind. Diese Daten schicken wir unmittelbar an die Ordnungskräfte. Die können dann dort aktiv werden, wo es gerade besonders nötig ist."
    Mehr als 1000 Einsatzkräfte stehen am Boden bereit, mit Pistolen und Tablet-Computern bewaffnet, um vor Ort zu überprüfen, ob die Abholzung behördlich gestattet war. Gilberto Camara:
    "In ninety percent of the cases it is illegal deforestation."
    ... und in 90 Prozent aller Fälle war sie tatsächlich illegal.
    "Thanks to this efficient program we were able to cut deforestation down by 80 percent in the last five years."
    Während seiner Amtszeit sank die jährlich abgeholzte Fläche also auf ein Fünftel des ursprünglichen Wertes, sagt Gilberto Camara. Das führt er auf die Satellitendaten zurück. Seit dem letzten Jahr arbeitet der ausgebildete Informatiker an der Universität Münster. Hier bereiten sich Ökologen wie André Große-Stoltenberg derzeit auf die nächste Generation von Satelliten vor. Die sollen jetzt auch den Zustand der Pflanzen aus dem All erkennen – mit sogenannten hyperspektralen Kameras, die das zurückgestreute Licht der Pflanzen in hunderte einzelne Kanäle aufspalten.
    "Das heißt, ich kann, wenn ich die Geländedaten habe, aus ihnen viel mehr Informationen generieren, was die Vegetation angeht: ob es nun Pflanzenstress ist, ob es Wasserstress ist. All das ist möglich durch hyperspektrale Fernerkundung. Oder ich kann bestimmte Arten und Vegetationstypen besser unterscheiden, dadurch dass ich mehr Informationen habe."
    Damit wollen die Forscher bald weit mehr tun, als nur verschwundene Wälder zu kartieren. Denn der Druck auf Ökosysteme und Nutzpflanzen wird durch den Klimawandel und die wachsende Weltbevölkerung immer weiter zunehmen: ein guter Grund mehr, sie aus dem All ganz genau zu beobachten.