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Mission Erde
Folge 5: Lauschangriff auf Erdbeben

Erdbeobachtung. - Erdbeben und Tsunamis können die größten Katastrophen auslösen und die Menschheit ist ihnen weitgehend ungeschützt ausgeliefert. Kein Wunder, dass Wissenschaftler versuchen, auch Satelliten für ihre Untersuchung einzusetzen. Der Esa-Satellit Goce war ein dafür geeigneter Flugkörper.

Von Karl Urban | 13.02.2014
    Seismos ist das griechische Wort für Erdbeben. Es steht für gewaltsame Erschütterungen und einstürzende Häuser. Seismologie – die Erdbebenkunde – ist dagegen ein Fachgebiet der leisen Töne: Findet irgendwo auf der Welt ein Erdbeben statt, breiten sich durch das Gestein Schallwellen weiter und weiter aus, werden dabei schwächer und schwächer – und bringen irgendwann irgendwo eine Nadel zum Erzittern. Der Seismograf ist ein empfindliches Messgerät. Er ist fest mit dem Boden verbunden, um die winzigen Schwingungen überhaupt wahrzunehmen. Aus dem All waren deshalb bisher nur die Folgen eines Bebens erkennbar – etwa über genaue Radarmessungen der deutschen Missionen TerraSAR-X und Tandem-X. Peter Schaadt vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt war an der Planung beider Satelliten beteiligt.
    "Sie müssen sich das vorstellen: Wir haben da eine Radarlampe im All. Die strahlt also einen Strahl auf die Erdoberfläche ab und kann deswegen unabhängig von Beleuchtungsverhältnissen zum Beispiel auch bei Nacht Aufnahmen durchführen."
    Zusätzlich zu einfachen Bildern vermessen TerraSAR-X und Tandem-X die Erdoberfläche interferometrisch. Ihre Instrumente werden also auch zusammengeschaltet, um aus den Daten am Ende ein metergenaues Abbild der Oberfläche zu errechnen. Im Computer entsteht ein Geländemodell, das Rückschlüsse auf Prozesse im Gestein erlaubt.
    "Man kann durch Erhebung von Radardaten vor dem Erdbeben und nach dem Erdbeben Vergleiche anstellen und kann dort die Bruchzonen finden, die man möglicherweise durch einfache Ortsbegehung nicht so leicht findet."
    So können Geologen nachträglich leicht herausfinden, wo sich die Gesteine tektonischer Platten gewaltsam gegeneinander verschoben haben.
    "Aber dass man mit dem Radar ein Erdbeben sieht, das ist nicht möglich."
    Beim Tohoku-Beben vor Japan im März 2011 – einem der stärksten aller Zeiten – bewegte sich der Untergrund bis zu 50 Meter seitwärts und sieben Meter nach oben. Auf einer Länge von über 300 Kilometern vor der japanischen Küste schabten Gesteinsblöcke aneinander. Sogar die Erdachse verschob sich um einige Zentimeter. Zeitgleich hob sich die Wasseroberfläche so schnell, dass erstmals ein Satellit direkt davon Wind bekam: Der europäische Goce, dessen Mission vor einigen Wochen zu Ende ging.
    Schaadt: "Mit Hilfe von Goce wurde das Erdbeben vor der japanischen Küste sozusagen wirklich gesehen. Da das ein marines Erdbeben war, hat die Wasseroberfläche wie ein Lautsprecher gewirkt, der eine akustische Schockwelle freigesetzt hat."
    Die Aufgabe von Goce war es, das Schwerefeld der Erde untersuchen. Drei Beschleunigungssensoren an Bord kontrollierten ständig, wie stark der Satellit in Richtung Boden gezogen wurde. Verantwortlich für diese Anziehung war aber nicht allein die Gravitation, sondern auch die Wirkung der Restatmosphäre, die Goce auf seiner niedrigen Umlaufbahn abbremste. Und in dieser extrem dünnen Luft können sich auch Schallwellen fortpflanzen, entdeckte der Seismologe Raphael Garcia von der Universität Toulouse.
    "Es handelt sich um Infraschall, also sehr tiefe Schallwellen, die sich nahezu senkrecht durch die Atmosphäre ausbreiten. Ihre Bewegungsenergie muss aus physikalischen Gründen erhalten bleiben. Und weil die Atmosphäre nach oben immer dünner wird, breiten sich diese Wellen zunehmend ungestörter und damit immer schneller aus. Auf dem Weg nach oben wird der Schall regelrecht verstärkt und kann von Satelliten gemessen werden."
    Wie geplant stürzte Goce im November 2013 aus seinem gerade 250 Kilometer hohen Orbit ins Meer. Seine eigentliche Aufgabe – die Untersuchung des Schwerefelds – konnte er erfolgreich abschließen. Aber er wies während seiner viereinhalb Jahren im All nur ein einziges Erdbeben nach – und das auch nur, weil das die Atmosphäre sehr stark in Wallung versetzt hatte. Gegen ein dichtes Netz von Erdbebenmesstationen kommen also selbst hochgenaue Satelliten wie Goce nicht an.
    Garcia: "Wenn Sie einen Seismologen fragen, würde der immer ein Messinstrument am Boden vorziehen, weil es im All so viele störende Phänomene gibt."
    Einen wirklichen Nutzen satellitengestützter Infraschallmessungen sieht auch der Seismologe Garcia daher woanders: bei den verheerenden Folgen der Erdbeben – dem frühen Nachweis von Tsunamis.
    "Tsunamiwellen sind unglaublich schwer nachzuweisen, weil sie auf hoher See nur wenige Zentimeter hoch sind. Aber auch sie erzeugen Schallwellen in der Atmosphäre, die sich auf dem Weg nach oben verstärken. Das könnte für neue Satellitenmissionen interessant sein.
    Künftige Weltraumseismometer könnten die Arbeit anderer Tsunami-Warnsysteme allerdings nur ergänzen. Raphael Garcia kann sich auch vorstellen, die Messmethode aus dem Orbit dort einzusetzen, wo bislang noch gar keine Erdbeben gemessen werden: auf fernen Planeten.