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Misstöne aus dem Gazastreifen

Präsident Mahmud Abbas hat vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Anerkennung Palästinas als Vollmitglied gefordert. Der PLO-Vorsitzende regiert im Westjordanland, im Gazastreifen hat er jedoch gar nichts zu sagen. Dort herrscht die fundamentalistische Hamas und ihre Vertreter haben anderes im Sinn, als staatliche Anerkennung.

Von Torsten Teichmann | 24.09.2011
    Leere Straßen in Gaza-Stadt. Und das, obwohl in Städten des Westjordanlandes, etwa in Ramallah, Nablus oder Hebron in diesen Tagen immer wieder Tausende Palästinenser demonstrieren - für die Aufnahme eines palästinensischen Staates in die UN. Im Gazastreifen aber regiert die Hamas-Organisation. Es ist eine ganz eigene Welt. Einen Anlass für Kundgebungen gebe es nicht, sagt Hamas-Sprecher Sami Abu Zuhri.

    "Seit Beginn der Vollversammlung der Vereinten Nationen wiederholen wir, dass Abbas Gang nach New York eine persönliche Entscheidung ist. Er genießt damit nicht die Unterstützung der Mehrheit der Palästinenser. Es ist ein schöngeistiger Versuch, von dem die Palästinenser nicht profitieren werden.

    Und auf der Straße in Gaza heißt es, die verbliebenen Fatah-Funktionäre und Abbas Anhänger im Küstenstreifen hätten Angst zu demonstrieren. Angst vor dem Eingreifen der Sicherheitskräfte der Hamas. Alte Konflikte zwischen beiden rivalisierenden Gruppen sind ungelöst. Und so schildern einige Palästinenser ihre Gedanken höchstens privat:

    ""Abbas Entscheidung vor die UN zu ziehen war eine richtige Entscheidung. Und ich als Bürger und Palästinenser unterstütze ihn, weil die Palästinenser, wie jedes Volk der Welt, das Recht haben einen unabhängigen Staat auszurufen.

    ""Abu Mazen ist nach New York geflogen, ohne sich mit dem gesamten palästinensischen Volk abzustimmen. Noch mit den palästinensischen Flüchtlingen, die hier und im Ausland leben. Er ist für sich allein geflogen. Hätte es einen Austausch mit den Palästinensern gegeben, hätte er mehr Unterstützung und einem Plan für die Zeit nach New York."

    Die Menschen im Gazastreifen fühlen sich schon lange von der palästinensischen Führung im Westjordanland vernachlässigt. Präsident Abbas hat zwar ein Haus in Gazastadt. Den Streifen hat er aber seit mindestens sieben Jahren nicht mehr gesehen. Schon Ende November 2004 musste Abbas einen Besuch abbrechen, als Schüsse fielen in einem Trauerzelt für den verstorbenen PLO-Führer Arafat. Abbas blieb unverletzt, aber der Ton der Auseinandersetzung hallt bis heute nach.

    Die Hamas stellt Abbas Befugnisse regelmäßig infrage, weil seine Amtszeit als Präsident längst abgelaufen ist. Außerdem werfen die Funktionäre der Organisation Abbas Getreuen vor, sie hätte vor fünf Jahren versucht, mit Waffengewalt das Ergebnis der palästinensischen Parlamentswahl und den Sieg der Hamas zu annullieren. Das Ergebnis der wochenlangen Gefechte war die vollständige Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen im Jahr darauf.

    Im Herbst 2009 folgte der Skandal um den Goldstone-Bericht. Auf Druck der USA stimmt der palästinensische Präsident Abbas zu, eine Abstimmung über die Untersuchung des Gazakrieges zu verschieben. Selbst Präsidentenberater sprachen von einem "Fehler" und Abbas schien weiter an Rückhalt in der palästinensischen Bevölkerung zu verlieren. Die Hamas, die in dem UN-Bericht auch der Kriegsverbrechen beschuldigt wird, schlachtete das Verhalten des Präsidenten politisch aus.

    All diese Verletzungen erschweren den sogenannten Prozess der Nationalen Aussöhnung. Also den Versuch, die politische Spaltung zwischen Gazastreifen und Westjordanland zu überwinden. Eigentlich eine wichtige Voraussetzung für den Antrag auf Aufnahme in die Vereinten Nationen. Das sagen auch viele Palästinenser.

    Mamun El Bayed aus Hebron:

    "Wir haben noch keine nationale Versöhnung. Wir können wir verhandeln, wie können sie zu den Vereinten Nationen gehen, wenn wir uns selbst noch nicht organisiert haben?"

    Neben der politischen Spaltung spielen starke wirtschaftliche Unterschiede zwischen Gazastreifen und Westjordanland eine Rolle. Während ein Teil der Palästinenser zumindest in Ramallah und Nablus von einem kleinen Aufschwung profitiert, hat sich Gaza noch nicht einmal vom letzten Militäreinsatz der israelischen Armee richtig erholt.

    Das Küstengebiet ist immer noch weitgehend abgeriegelt. Am Warenverkehr durch die Tunnel zu Ägypten verdienen einzelne Schwarzhändler und vor allem die Hamas, die Steuern verlangt. Palästinenser sprechen bereits von einem Mafiasystem mit Schutzzöllen und Bereicherung. Auf der Straße erzählen sie, ein Sohn von Ministerpräsident Haniyah habe zweieinhalb Millionen Schekel für eine Villa geboten. Der Ministerpräsident selbst stammt ursprünglich aus einem Flüchtlingslager und gibt sich gern volksnah – auch in der Frage der UN-Vollversammlung.

    "Wir sind im Kern für den Aufbau eines palästinensischen Staates. Die Palästinenser kämpfen und bringen Opfer für einen Staat. Aber dieser Staat entsteht nicht durch diese Art der Kompromisse, durch politische Erpressung und politische Manöver, die den Stolz der Palästinenser verletzen. Wir sagen, zuerst Befreiung, dann ein Staat."

    Die Hamas Politiker könnten recht behalten. Womöglich wird Fahrt von Präsident Abbas und der PLO nach New York zu einem Misserfolg. Dann kann das Regime in Gaza seine Privilegien behalten. Mehr noch, die Hamas hätte ihre Position vorübergehend gestärkt – aus dass nicht nur in Gaza, sondern womöglich dann auch im Westjordanland.