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Mit Augenbewegung gegen Traumata

Viele Menschen haben traumatische Erinnerungen. Sind sie besonders schlimm, ist eine Psychotherapie sinnvoll. Besonders effektiv scheint eine Methode zu sein, die seit mehr als zehn Jahren auch in Deutschland angewandt wird, das sogenannte EMDR.

Von Michael Böddeker | 17.08.2010
    Sexuelle Gewalt, Kriegserfahrungen, Verkehrsunfälle, Entführungen – all das sind traumatische Erlebnisse, die Menschen schwer belasten können. Sie führen oft zu Schlafstörungen, Erinnerungslücken und einer erhöhten Aufregung. Außerdem können bestimmte Reize die Erinnerung an das traumatische Erlebnis wieder wachrufen - die Patienten durchleben es dann erneut, wie einen Film, den sie nicht stoppen können.

    Wenn die Symptome über einen längeren Zeitraum anhalten, spricht man von einer so genannten Posttraumatischen Belastungsstörung.

    So etwas kann auch lange Zeit nach dem Erlebnis eintreten, wie bei dieser Patientin:

    "Es gab ein traumatisches Erlebnis in der Kindheit. Und ich hab eigentlich erst mit Mitte 20 Probleme bekommen. Es äußerte sich mit Depressionen, die dann auch medikamentös behandelt wurden. Und später merkte ich eben, dass ich diese Depression trotzdem nicht loswerde, und ging dann in psychotherapeutische Behandlung."

    Zunächst versuchte sie es mit einer Gesprächstherapie. Das half, aber richtig gut ging es ihr trotzdem noch nicht.

    "Ich hatte das Problem, dass ich bei Gerüchen, vor allem eigentlich bei Gerüchen in Dunkelheit einfach richtig Angst bekam. Und das konnte die normale Therapie nicht lösen."

    Deshalb probierte sie etwas anderes aus: Eye Movement Desensitization and Reprocessing, kurz EMDR. Während einer EMDR-Sitzung denken die Patienten an das traumatische Erlebnis, während sie mit den Augen den Finger des Therapeuten verfolgen, hin und her von links nach rechts. In Deutschland sind zunehmend mehr Psychotherapeuten in dieser Behandlungsmethode ausgebildet, einer von ihnen ist Peter Liebermann aus Leverkusen.

    "Wir machen horizontale Fingerbewegungen, bitten unsere Klienten einfach, unseren Fingern zu folgen. Und das machen wir relativ zügig. 20 bis 30 Mal, und dann machen wir eine kurze Pause, bitten sie auszublenden, durchzuatmen, und möchten eine kurze Information, was sie jetzt gerade erlebt haben."

    Der Therapeut stellt während der Behandlung einige Fragen, folgt dabei aber immer den Gedankengängen des Patienten:

    "Wir steuern diese Assoziationen nicht. Also wir sagen nicht 'Sie müssen jetzt an das und das denken, damit sie da und da hinkommen’, sondern wir lassen es wirklich frei laufen."

    Üblicherweise sind mehrere Sitzungen notwendig, sagt Peter Liebermann. Aber ein Erfolg kann sich auch sehr schnell einstellen, berichtet die Patientin:

    "Also, es ist tatsächlich schon so, dass man sich eigentlich schon, wenn man rausgeht, aus so einer Behandlung sich extrem viel besser fühlt. Wenn man so lange unter so einem Problem gelitten hat, ist das fast so ein bisschen wie ein Wunder, dass das funktioniert."

    Dass die EMDR-Behandlung gut und vergleichsweise schnell funktioniert, haben Studien nachgewiesen.
    Was dabei wirkt, ist allerdings noch unklar. Martin Sack, leitender Oberarzt der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in München, will genau das erforschen, in einer Studie mit fast 200 Probanden. Diese werden in drei Gruppen aufgeteilt: Eine erhält die klassische EMDR-Behandlung mit Augenbewegung. Eine zweite Gruppe fixiert die unbewegte Hand des Therapeuten. Und die Probanden in der dritten Gruppe werden nicht aufgefordert, sich auf einen äußeren Reiz zu konzentrieren.

    "Die Vermutung ist, dass EMDR mit Augenbewegungen am schnellsten wirksam ist, dass die beiden anderen Kontrollbedingungen aber auch eine Symptomverbesserung bringen, weil sie jeweils auch wirksame Therapiekomponenten enthalten."

    Die Fokussierung der Patienten auf einen äußeren Reiz führt zu einer Entspannung, sagt Martin Sack.

    "Weil man gleichzeitig im hier und jetzt bleibt, und in die Erinnerung geht. Und durch diesen doppelten Aufmerksamkeitsfokus hat man sozusagen immer noch ein Bein in der Gegenwart und rutscht nicht ganz so leicht in die Vergangenheit rein."

    Nach einer erfolgreichen Behandlung ist das traumatische Erlebnis zwar nicht aus der Erinnerung gelöscht, erklärt Psychotherapeut Peter Liebermann:

    "Es ist aber wie ein Buch, das ich ins Regal stellen kann. Und wenn ich es raushole, dann wird es auch noch mal wehtun. Aber es ist nicht dieser Schmerz, der mich überwältigt, sodass ich gar keine Möglichkeit hab, damit umzugehen."