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Mit der Bahn in den Tod

Lange war die Ausstellung der Journalistin Beate Klarsfeld über die rund 10.000 deportierten jüdischer Kinder aus Frankreich durch die Reichsbahn während der NS-Zeit auf deutschen Bahnhöfen verhindert worden. Nach öffentlichen Diskussionen und Appellen aus der Politik hatte die Deutsche Bahn Ende letzter Woche eingelenkt. Basis des neuen Projekts soll eine bestehende Ausstellung im Bahnmuseum-Nürnberg sein, das die ganze Geschichte des Schienenverkehrs dokumentiert.

Von Bernd Noack | 04.12.2006
    Es ist gerade einmal eine Fläche von drei mal sechs Metern, auf der im Museum der Deutschen Bahn in Nürnberg das Thema Deportation abgehandelt wird. Ein kleines Kabinett am Rande des Rundgangs durch die Geschichte der deutschen Eisenbahn, an dem man leicht vorbeilaufen könnte: Man kommt aus den Jahren, in denen eben noch "die Räder für den Sieg" rollten, und biegt nach links in eine neue Zeit des Ärmelaufkrempelns, in der die zerstörten "Straßen und Schienen" niemandem mehr "dienen" konnten und erst wieder auf Vordermann gebracht werden mussten.

    Durch die Abteilung "1933 bis '45" hallt in Endlosschleife der scheppernde Ton des Propagandafilms, der von der Reichsbahn zum 100-jährigen Eisenbahn-Jubiläum gedreht wurde: Hitler nimmt 1935 in Nürnberg das gigantische Aufgebot an Mensch und Technik ab, die Arme der Eisenbahner recken sich zum Gruß, die Lokomotiven dampfen im Marschtakt.

    Die Bahn stellt sich ihrer Vergangenheit, wenngleich sie das im Museum stets mit einem unverkennbaren Stolz auf die technische Fortentwicklung tut. Auch in Zeiten der Diktatur durfte die Eisenbahn den Anschluss nicht verpassen: Die Schienenfahrzeuge wurden immer schneller und größer, das Streckennetz musste ausgebaut und ausgedehnt werden, Richtung Osten vor allem. Die Vorbereitungen zur kriegerischen Expansion fanden nun auch in den Chefetagen der Reichsbahn statt.

    Als die Kursbücher unaussprechliche Stationsnamen verzeichneten, war klar, in welche Richtung die Züge jetzt abgehen sollten. Dieses Kapitel wird in Nürnberg emotionslos und sachlich sicherlich korrekt dokumentiert und man findet sogar Platz für einen Filmausschnitt aus dem "Großen Diktator", wo sich Chaplin als Hitler-Double mit dem Mussolini-Double auf dem Bahnsteig trifft. Daneben läuft ein Filmchen über den sagenhaften Speisewagen-Komfort in den 30er Jahren, von dem man heute nur mehr träumen kann.

    Der harte Schnitt zwischen der zwiespältigen, "unrühmlichen" und doch irgendwie auch beeindruckenden rasanten Entwicklung der Reichsbahn in schwerer Zeit und ihrer Beteiligung an den Deportationen in die Vernichtungslager, ist den Ausstellungsmachern dann aber anscheinend nicht mehr so leicht gefallen. Sicher sagt das überdimensionale Bild von den Schienen, die ins Lager Auschwitz führen, mehr als tausend gewundene Worte.

    Aber in dem kleinen Kabuff, das wie ein lästiger Wurmfortsatz in dieser Ausstellung wirkt und in das wie zum Hohn immer noch die Marschmusik der Jubelfeier schallt, fehlt es dann nicht nur an Worten - es fehlt tatsächlich am Mut, der nötig wäre, diese Rolle der Bahn mit dem selben Engagement und der gleichen Akribie aufzuarbeiten, mit der man zuvor von Spurbreiten, Dampfromantik und dann von technischer Innovation erzählt hat und erzählt.

    Und es fehlt an Platz: Schwer symbolisch steht da nur ein Koffer mit dem Anhänger "Theresienstadt"; an der Wand liest man ein paar willkürlich herausgegriffene Namen von Deportierten mit ihren Transportnummern; in Schaukästen wird stellvertretend für die unzähligen Züge in die Lager die Abfertigung einer Menschenmasse in Würzburg dokumentiert; über Kopfhörer kann man die Befragung eines einfachen Bahnbediensteten beim Auschwitz-Prozess verfolgen: Der spricht mit verschreckter Stimme von Achszahlen, Frachtbriefen, Wagennummern und lässt sich das Wort "Mensch" nur schwer entlocken.

    Drei Millionen Menschen aber waren es nun einmal, die mit Zügen in die Konzentrationslager verfrachtet wurden. In der Ausstellung wird daraus ein trockenes Geschichtsfaktum, Zitat: "Die Reichsbahn war durch Deportation von Millionen Menschen - vorwiegend Juden - in die Gettos und KZ-Vernichtungslager unmittelbar am Holocaust beteiligt." Ein paar bewegende Fotos von eingepferchten Kindern, die aus Viehwaggons ins Nichts starren, müssen als Kontrast zu diesem kühl verschämten Eingeständnis genügen.

    Diese "Dokumentation", auf die Bahnchef Mehdorn immer wieder als "ausreichend" verwiesen hat, tut niemandem weh und sie zeigt schon gar nichts von dem grausamen Abgrund, der sich zwischen zynischer Bürokratie, fahrplanmäßiger Organisation und dem unvorstellbaren kollektiven und individuellen Leid auftut: sie kann aufgrund ihrer Konzeption und ihrer räumlichen Beschränktheit auf versteckten 18 Quadratmetern gerade noch pflichtschuldig zugeben, dass die Vernichtung zwar in den KZs vollzogen wurde damals, aber wohl doch bereits bei der Verladung des "Frachtguts" Mensch an den so genannten "Heimatbahnhöfen" begann. Sie ist keine Auseinandersetzung mit der Schuld am Massenmord, sie stellt sich nur gezwungen und so ganz nebenbei der historischen, unumkehrbaren Tatsache, die man rasch registriert zwischen dem Geschwindigkeitsrekord eines "Fliegenden Hamburgers" und den Bildern des zerstörten Schienennetzes durch die Alliierten. Dann beginnt schon der Wiederaufbau.

    Und über allem liegt der Klangbrei von den Feierlichkeiten des Jahres 1935; und da war die weite Welt der Deutschen Reichsbahn noch ziemlich in Ordnung...