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Mit drei Leicas im Gepäck an die Fronten

Hilmar Pabels Fotos haben jenes Bild geprägt, das sich die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg von der Welt machten. Große Illustrierte wie "Quick" und "Stern", auch "Paris Match" und "Life" druckten die Reportagen des Fotografen, der heute vor 100 Jahren in der Nähe von Posen geboren wurde.

Von Jochen Stöckmann | 17.09.2010
    Der Vater im Nadelstreifenanzug, mit umgehängter Maschinenpistole. Der Sohn in kurzen Hosen, über der Schulter die Panzerfaust. Beide mit Naziparteiabzeichen am Revers. Dieses letzte Aufgebot hat Hilmar Pabel 1945 fotografiert. Nach Kriegsende wurde Pabel mit Auslandsreportagen bekannt: Als erster deutscher Journalist bekam der Fotograf ein Visum der Besatzungsbehörden. Illustrierte wie "Quick" und "Stern", Flaggschiffe des Wirtschaftswunders, brachten seine Bilderserien vom Indochina-Krieg, aus ägyptischen Elendsquartieren und einer deutschen Mütterberatung in Brasilien. Meist als Titelstory, denn Pabel galt als der deutsche Fotoreporter:

    "Ich gehöre zu den Gründern dieser Bildgeschichte: Da war in Berlin der U-Bahn-Bau, und da waren 14 Bauarbeiter verschüttet, da standen viele Leute herum. Ich habe nur die Gesichter dieser Leute fotografiert. Und Dovifat hat dann gesagt, das ist eine ganz neue Art der Pressefotografie."

    Bei Emil Dovifat, dem Zeitungswissenschaftler, studierte Pabel bis 1935. In Berlin war der am 17. September 1910 im schlesischen Rawitsch geborene Sohn eines Hausknechts aufgewachsen. Es waren die goldenen Zwanziger, mit dem Abdruck mehrseitiger Bildergeschichten entwickelten sich Zeitschriften wie die "Berliner Illustrierte" zu Massenblättern. Die Pioniere dieser Reportagefotografie, Erich Salomon oder Felix H. Mann, mussten 1933 das Land verlassen, die Presse wurde gleichgeschaltet und in den Dienst der Nazipropaganda gestellt:

    "Dadurch, dass ich freiberuflich war, konnte ich mich da raushalten. Alles, was anlief, was ich an Aufträgen bekommen habe von den Zeitschriften, habe ich gemacht - das waren aber alles unpolitische Berichte."

    Diesem trügerischen Idyll macht 1940 die Einberufung zur Wehrmacht ein Ende: Auch Pabel wird Soldat, muss allerdings kein Gewehr schultern, sondern fliegt mit seinen drei Leicas im Gepäck an alle Fronten, als Kriegsberichter für die aufwendig illustrierte Propagandazeitschrift "Signal" im Auftrag des Oberkommandos:

    "Wir waren so eine Art Elitegruppe, weil wir immer bloß hinkamen, wo also schwere Kämpfe waren, wo der Krieg einer Entscheidung entgegendrängte. Ich zog also dauernd hin und her, Mittelabschnitt, Nordabschnitt, Südabschnitt."

    Auf die Aufnahme vom Soldaten, der erschöpft am Rande eines Morasts hockt, stößt im amerikanischen Exil Bertolt Brecht. Er schneidet das Bild aus, fügt es dann 1955 in seine "Kriegsfibel" ein mit der Gedichtzeile "Hier sitz ich, halt meinen armen Kopf!" Zur selben Zeit rückt auch Pabel selbst seine Propagandafotos mittels neuer Begleittexte in ein anderes Licht: die angeblich vorwärtsstürmenden Infanteristen erscheinen jetzt abgekämpft, gezeichnet nicht von heldenhafter Anstrengung, sondern vom Schrecken des Krieges. "Deutsche Schicksalsbilder" nennt er den Fotoband - und als unabänderliches Schicksal führt er dem heimischen Nachkriegspublikum die Welt da draußen vor: ob Indochina oder Naher Osten, sowjetische Panzer in Prag oder ein US-Oberst, der im vietnamesischen Hospital einem sterbenden Mädchen die Hand hält, dabei nachdenklich aus dem Fenster schaut.

    "Ich hätte mir gewünscht, dass meine Bilder in allen Parlamenten hängen, vier mal fünf Meter groß, damit die Politiker sehen, was der Krieg anrichtet."

    In der Kunstschau der documenta in Kassel werden 1977 Pabels Reportagen gezeigt. Die Kuratoren bescheinigen dem Kriegsreporter "hohes menschliches Engagement". Doch das Bild des integeren Fotomoralisten trübt sich 1989 ein, als Historiker in einer Illustrierten des Jahres 1940 eine antisemitische Hetzreportage entdecken, vermutlich gestellte Aufnahmen einer SS-Razzia gegen angebliche jüdische Schmuggler im Ghetto von Lublin:

    "Da stand ein Mann da mit so einem Blechschild. Wie hießen die? Feldgendarm, glaube ich. Und der sagt 'Sie unterstehen jetzt meinem Kommando, wir machen eine Razzia im Ghetto!' Ich habe gar nicht gewusst, dass da ein Ghetto ist. Und dann haben die gesagt 'Her mit dem Film!' Und nach fünf, sechs Wochen so was erschien ein Bericht in der 'Berliner Illustrierten' unter meinem Namen."

    So die späte Erklärung Hilmar Pabels, dessen Berufsauffassung sich bis zu seinem Tod im Jahr 2000 nicht mehr änderte: Der Fotograf als ebenso privilegierter wie passiver Zeuge, der am Lauf der Zeit nichts ändern kann, ihr allein spannende und sprechende Momente abgewinnt.