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"Mit einer gewissen industriellen Logik" an die Rettung Griechenland rangehen

Es müsse wieder Vertrauen in die Finanz- und Kapitalmärkte einkehren, sagt Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer vom Bundesverband der Deutschen Industrie. Dafür sei ein umfassender Umbau der Euro-Zone notwendig. Außerdem müsse der Rettungsplan Europas einem realistischen Zeithorizont entsprechen - und der betrage ungefähr zehn Jahre.

Markus Kerber im Gespräch mit Dirk Müller | 13.09.2011
    Dirk Müller: Wir haben es eben gehört: es darf keine Denkverbote mehr geben, sagt Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler. Der FDP-Chef spricht das offen aus, was offenbar viele denken, sich aber nicht trauen, offen auszusprechen, weil dies nicht besonders opportun ist, in Deutschland und auch nicht in Europa. Philipp Rösler kann sich also vorstellen, dass Griechenland den Euro-Raum verlässt, zum Drachmen zurückkehrt und dann versucht, seine Schulden in den Griff zu bekommen, denn die Hiobsbotschaften aus Athen reißen nicht ab. Weder das Sparprogramm, noch andere dringende Reformen werden offenbar so umgesetzt, wie dies zumindest die EU verlangt. Aber geht das, den Euro-Raum verlassen, einfach austreten?
    Bei uns am Telefon begrüße ich nun Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer vom Bundesverband der Deutschen Industrie, zuvor Chefökonom im Bundesfinanzministerium und ehemaliger Banker. Guten Morgen!

    Markus Kerber: Guten Morgen.

    Müller: Herr Kerber, weiß noch jeder in der Bundesregierung, wovon er redet?

    Kerber: Ich hoffe das sehr. Es mag nicht immer den Eindruck machen, aber es beruhigt, dennoch zu sehen, dass zumindest die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister einen relativ kühlen Kopf bewahren und eine Strategie zu haben scheinen.

    Müller: Das sind dann nur noch zwei, die übrig bleiben?

    Kerber: Aber die zwei Wichtigsten.

    Müller: Und die entscheiden?

    Kerber: Ich will mal das Augenmerk auf einen etwas weiteren Zusammenhang legen. Die aktuelle Vertrauenskrise in die Schuldentragfähigkeit der griechischen Volkswirtschaft und in das Vermögen der griechischen Regierung, diese Krise zu lösen, sind doch nachvollziehbar und verständlich. Diese Krise zieht sich nun seit 18 Monaten durch die Nachrichten und durch die Aufmerksamkeit des breiten Publikums. Da ist es meines Erachtens nur zu verständlich, dass eine gewisse Nervosität um sich greift, insbesondere wenn wir dann noch personelle Verschiebungen im Direktorium der Europäischen Zentralbank haben.

    Nichtsdestotrotz glaube ich auf der Basis der Erfahrungen, die auch gestern wieder meine Kollegen in Griechenland vor Ort gemacht haben auf der großen Handels- und Industriemesse in Thessaloniki, dass dieses Problem lösbar ist, oder, wie es einer der Spitzenbeamten des Internationalen Währungsfonds im Frühjahr diesen Jahres in Washington sagte, das Problem ist lösbar, aber jemand muss es lösen. Und ich glaube, da kommt eine sehr große Verantwortung auf die deutsche Bundesregierung zu als der Regierung des größten Einzellandes der Euro-Zone, als der Regierung der größten Volkswirtschaft dieser Euro-Zone, und ich habe schon noch den Eindruck, dass Frau Merkel sehr gut weiß, was zu tun ist, und ich bin deswegen verhalten optimistisch, dass wir auch diese schwierige Situation im Moment meistern können, wenn wir die Ruhe bewahren, wenn wir den Überblick bewahren und wenn wir mit einer gewissen industriellen Logik an die Sache herangehen.

    Müller: Geht Philipp Rösler mit einer industriellen Logik daran, wenn er fordert, dass gegebenenfalls Griechenland raus muss aus der Euro-Zone?

    Kerber: Ich verstehe die Äußerungen des Ministers Rösler, der ja zugleich auch Parteivorsitzender ist, wenn man sich vor Augen hält, dass die Verunsicherung in der deutschen Bevölkerung sehr groß ist. Ich möchte aber darauf verweisen, dass wir zwar von einer Insolvenz reden können, dass wir – und das hat der Bundeswirtschaftsminister ja auch eingeräumt – uns in einem Rechtsrahmen bewegen, der im Moment und auf absehbare Zeit eine solche Insolvenz eines staatlichen Schuldners in der Euro-Zone gar nicht durchführen können, weil dazu schlicht und einfach die rechtlichen Rahmenbedingungen fehlen.

    Müller: Dann ist das offenbar bloße Rhetorik?

    Kerber: Nein. Ich glaube, es ist mehr als bloße Rhetorik. Es ist der Wunsch nach einer verstärkten und nach einer verbesserten Architektur, nach einer verbesserten Statik für den Euro, was wir beim BDI auch zum Ausdruck gebracht haben mit unserem Zwölf-Punkte-Programm in der vergangenen Woche. Ich glaube, dass der Bundeswirtschaftsminister eine politische Reflexhandlung vollzieht, die durchaus ihre Berechtigung hat, nämlich die Diskussion anzustoßen, welche Architektur braucht der Euro, um stabiler und besser in den nächsten Jahren bestehen zu können.

    Müller: Sie haben, Herr Kerber, das eben angesprochen, auch in unserem Vorgespräch, was wir vor fünf Minuten hatten, ganz kurz angedeutet, dass Sie Kontakte hatten eben zu Kollegen, die im Moment in Griechenland unterwegs sind auf dieser Industriemesse und die gesagt haben, es geht irgendwo auch aufwärts, es gibt offenbar ein Lichtzeichen. Sagen Sie uns das noch mal, was Sie da meinen.

    Kerber: Ja. Wir haben gestern intensive Gespräche geführt mit unserem griechischen Partnerverband CEF, mit dem wir das schon seit Monaten, eigentlich seit zwölf Monaten machen, und auch mit dem entsprechenden Minister, Wirtschaftsminister Chrysochoidis, und es geht ein spürbarer und in unseren Medien nicht immer deutlich wiedergegebener Ruck durch dieses Land, ein Land, das zugegebenermaßen eine oder zwei Dekaden bestimmte Entwicklungen gar nicht nachvollzogen hat. Und ein Indikator, der für uns sehr wichtig ist: Griechenland hat in den letzten zwölf Monaten seine Exportleistung um 40 Prozent gesteigert.

    Müller: Ohne Abwertung?

    Kerber: Ohne Abwertung! Die Griechen können ja nicht abwerten im Euro. Das zeigt, die griechische Volkswirtschaft, insbesondere der private Teil, möchte sich verbessern. Und lassen Sie mich in diesem Zusammenhang doch bitte auf eines hinweisen: Die Bundesrepublik Deutschland und die Volkswirtschaft Deutschlands, wir brauchten mehrere Jahre nach 1999, um unsere Wettbewerbsfähigkeit wieder herzustellen. Wir haben mehr als fünf, sechs Jahre gebraucht. Und wir haben uns auch in der Zeit 1989, 1990 ganz andere Vorstellungen gemacht über die Privatisierungsfähigkeit der ostdeutschen Wirtschaft. Wir haben am Schluss wesentlich länger gebraucht und wir haben am Schluss auch mit anderen Wertansätzen arbeiten müssen. Aber es hat geklappt! Nur ich glaube, wir brauchen Nüchternheit in dieser Diskussion. Die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit einer kompletten Volkswirtschaft unter schwierigen Bedingungen dauert länger als drei, dauert länger als fünf, wahrscheinlich auch länger als zehn Jahre.

    Müller: Und können wir uns das leisten, Herr Kerber, noch zehn Jahre Griechenland an den Tropf zu hängen, immer wieder die Diskussionen innerhalb der EU, innerhalb der Euro-Zone zu haben?

    Kerber. Ich glaube, wenn es einen umfassenden Umbau der Euro-Zone gibt – und deswegen haben wir auch über unser eigenes Papier geschrieben "Ein neuer Vertrag für den Euro", denn wir glauben, es geht nicht ohne Vertragsänderungen -, dann kehrt Ruhe in die Märkte ein. Denn vergessen wir nicht: Die Akteure an den Finanz- und Kapitalmärkten sind Kenner der wirtschaftlichen Zusammenhänge und die sehen ja genau diese grundlegenden Wahrheiten. Die Analysten, die sich Griechenland angeschaut haben, in den Banken und in den Vermögensverwaltungen, haben gesehen, wenn dieses Land sich restrukturiert, dauert es wahrscheinlich zehn Jahre. Warum entspricht dann der Rettungs- und der Finanzierungsplan des politischen Europas nicht auch diesem Zeithorizont? Solange wir diese grundlegende Diskrepanz nicht wegkriegen, bleibt das Misstrauen in den Märkten.

    Müller: Herr Kerber, wir sind ja auch dazu da, vielleicht hört ja auch die Bundesregierung mit in irgendeiner Form, darüber ausführlicher zu diskutieren. Sie sagen, das ist zu wenig Zeit für den Rettungsschirm. Aber bleiben wir bei dem Rettungsschirm. Auch dort werden die Stimmen in der Koalition immer lauter, direkt oder indirekt, die sagen, im Grunde finanzieren wir mit dem Rettungsschirm nicht Griechenland, sondern die Banken.

    Kerber: Das ist eine kurzfristige Denke, die so mechanisch gedacht natürlich richtig ist.

    Müller: Also wir retten die Banken und nicht Griechenland?

    Kerber: Wir müssen für ein stabiles und immer für die Wirtschaft und auch für den kleinen Sparer verfügbares Banken- und Zahlungssystem im europäischen Währungsgebiet sorgen. Die Ordnungspolitiker unter uns wissen, Banken haben eine ganz spezielle Funktion im Wirtschaftskreislauf. Sie haben hohe Externalitäten, positiver und negativer Art, sodass die enge Fokussierung, hier wird eine Branche mit Sonderbedingungen bedacht, viel zu eng ist.

    Müller: Aber stimmt?

    Kerber: Es stimmt. Sie müssen. Überlegen Sie sich: Sie hätten morgen keinen Zugriff mehr auf Ihre Ersparnisse, Sie hätten morgen keine Verfügungsmöglichkeit, um Zahlungen auszulösen. Da wäre doch das Protestpotenzial viel höher in der Bevölkerung. Natürlich muss eine Volkswirtschaft, vor allem, wenn sie so hoch integriert und vernetzt ist wie die europäische, ein funktionsfähiges Bankensystem haben. Das ist doch völlig unstrittig.

    Müller: Und wenn die Banken dann wieder wie auch immer durch die Stützung unter anderem des Rettungsschirms Gewinne machen, dann haben die Banken Gewinne gemacht und niemand sonst hat was davon?

    Kerber: Ich glaube nicht, dass es darum geht, die Ausschüttungsquote der europäischen Banken im Moment zu sichern, sondern wenn ich mir die Diskussion der vergangenen Tage und die Bewertungen der Bankaktien an den Börsen anschaue, geht es schlicht und einfach darum, ob die Banken überleben. Der von Ihnen angesprochene Punkt, ob die Bankenindustrie in Europa genügend Rücklagen gebildet hat, ob sie in ihrem Gewinnaufteilungsmechanismus zwischen Vergütungen einerseits und bilanzieller Stärkung andererseits immer so klug gehandelt hat, da bin ich gern bereit, eine sehr kritische Diskussion zu führen, möchte aber auch darauf verweisen, dass Herr Ackermann, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, jüngst in einem bemerkenswerten Redebeitrag auch schon sehr selbstkritisch über die Rolle und Funktion der europäischen und deutschen Banken gesprochen hat, und ich glaube, da gibt es ein Umdenken.

    Müller: Christine Lagarde, die neue Chefin des IWF, hat gesagt, die Banken brauchen mehr Kapitaleinlagen, mehr Rücklagen. Muss das passieren?

    Kerber: Ja. Frau Lagarde hat ja jüngst ihre Äußerung noch etwas relativiert. Ich glaube, der IWF hat auch noch einmal nachgerechnet. Sie können unter unterschiedlichen Simulationen immer zu unterschiedlichen Kapitallücken in den Bankbilanzen kommen, und wir haben ja auch innerhalb des erweiterten europäischen Raumes ganz unterschiedliche Eigenkapitalanforderungsquoten mittlerweile. Wir haben die Schweiz mit insgesamt 19 Prozent für ihre Banken. Wir gehen im Euro-Raum und in der EU davon aus, dass wir mit neun Prozent gut liegen. Da sehen Sie allein schon, bankregulatorisch gibt es ein weites Feld. Ich denke schon, dass, wenn wir zu einer unkontrollierten, ungeordneten Insolvenz eines beliebigen Euro-Zonen-Mitgliedslandes kämen, die Bankbilanzen einem enormen realen Stress ausgesetzt wären und es zu Nachschuss-Notwendigkeiten in die Eigenkapitalpositionen dieser Banken kommen könnte, die einen hohen Milliardenbetrag ausmachen. Deswegen plädiert ja auch der BDI dafür, es gar nicht erst zu einer Situation kommen zu lassen, wo wir das austesten müssen. Es ist immer noch besser, eine Insolvenz eines Euro-Zonen-Mitgliedsstaates so lange mit anderen Maßnahmen zu verhindern, bis es vielleicht irgendwann nicht mehr geht. Ich bin aber nicht der Meinung, dass wir an diesem Zeitpunkt schon angelangt sind.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer vom Bundesverband der Deutschen Industrie. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Kerber: Ich danke Ihnen! Schönen Tag.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.