Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


"Mit Finanzmärkten hat das überhaupt nichts zu tun"

Die Bundesregierung möchte das Paket mit dem deutschen Anteil zum Euro-Rettungsschirm verabschieden – voraussichtlich jedoch ohne die Stimmen der Opposition. Der Grünen-Vorsitzende Jürgen Trittin sagt, auch seine Partei würde gerne zustimmen, leider fehlten wichtige Fakten über das Paket.

Jürgen Trittin im Gespräch mit Sandra Schulz | 21.05.2010
    Sandra Schulz: Um eine breite Mehrheit im Parlament hatte die schwarz-gelbe Koalition in Berlin geworben, auch um die Stimmen der Opposition, denn im Ernstfall können auf die deutschen Kassen Belastungen in dreistelliger Milliardenhöhe zukommen: mit dem Euro-Rettungsschirm, der mit einem Gesamtvolumen von 750 Milliarden Euro unsere Währung vor Spekulanten schützen soll. Doch nach zähem Ringen war gestern Nachmittag klar: Auf die Stimmen der Opposition können Union und FDP bei der Abstimmung heute im Bundestag nicht hoffen. Telefonisch bin ich jetzt verbunden mit dem Vorsitzenden der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen. Guten Morgen, Jürgen Trittin.

    Jürgen Trittin: Guten Morgen, Frau Schulz.

    Schulz: Was haben Sie gegen eine Stabilisierung des Euro?

    Trittin: Wir sind sehr dafür! Wir haben uns schon lange zum Beispiel für einen europäischen Währungsfonds ausgesprochen, weil man ein solches Instrument braucht. Das was hier jetzt vorgelegt wird, ist ohne Zweifel die Idee eines Schrittes in die richtige Richtung. Dafür wird aber eine neue Institution geschaffen, und da wollen wir gerne wissen, wie diese Institution funktioniert, wer kontrolliert, wer sagt und entscheidet am Ende. All dieses liegt nicht vor.

    Schulz: Aber Sie haben der Kanzlerin ja ihrerseits einen zögerlichen Kurs vorgeworfen. Können die internationalen Finanzmärkte darauf warten, dass sich die Parlamentarier gut genug informiert fühlen?

    Trittin: Die internationalen Finanzmärkte werden so oder so warten müssen, denn die französische Nationalversammlung und der Senat entscheiden Anfang Juni, Spanien, auch ein großes Land, entscheidet später, Luxemburg, ein kleines Land, aber auch ohne Luxemburg wird kein Geld fließen, hat es noch nicht einmal terminiert, und die Wahrheit ist auch, es wird überhaupt nur Geld fließen, wenn diese Zweckgesellschaft, deren Verträge wir einsehen wollen, gegründet worden ist. Insofern gibt es außer dem Druck im Kessel der Koalition überhaupt keinen zeitlichen Anlass, zum jetzigen Zeitpunkt den Deutschen Bundestag mit einer Vorlage zu befassen, von der der Deutsche Bundestag nicht weiß, was drin ist.

    Schulz: Jetzt ist Deutschland natürlich der größte Geldgeber in diesem Rettungspaket. Welches Signal ginge denn davon aus, wenn es ausgerechnet hier wochenlang dauern würde?

    Trittin: Es würde nicht hier wochenlang dauern, sondern es würde bis zu dem Zeitpunkt dauern, wo die Zweckgesellschaft gegründet ist und die Verträge vorliegen. So lange dauert es sowieso. Das heißt, dass heute in Deutschland entschieden werden soll, das hat überhaupt nichts mit den internationalen Finanzmärkten zu tun, sondern der eigentliche Grund liegt wahrscheinlich am 9. Mai, wo in Nordrhein-Westfalen Schwarz-Gelb abgewählt worden ist. Seitdem brennt bei Schwarz-Gelb in Berlin die Hütte. Sie haben eine große Zahl von Abweichlern und jeder Tag, wo man zuwartet, vergrößert die Differenz. Und um die Kanzlermehrheit für dieses Paket zu retten, versucht man jetzt abzustimmen. Das ist der eigentliche Grund. Mit Finanzmärkten hat das überhaupt nichts zu tun. Die sind sehr klug, die wissen sehr genau, dass ohne Zweckgesellschaft, ohne die Zustimmung aller Euro-Länder, das heißt unter Einschluss auch von Luxemburg, überhaupt kein Geld fließen wird. Also die kann man in der Frage nicht mit symbolischen Handlungen beeindrucken.

    Schulz: Die Zweckgesellschaft haben Sie gerade schon angesprochen. Welche konkreten Bedenken haben Sie denn gegen die Ausgestaltung?

    Trittin: Das ist ganz einfach! Wenn Sie ein Auto kaufen, wollen Sie wissen, wie der Kaufvertrag aussieht, wie Ihre Garantieregelungen sind, wie Sie möglicherweise diesen Vertrag anfechten können, all dieses. All dieses liegt bis heute nicht vor! Was uns vorliegt ist ein einseitiges Stück Papier, wo 16 Finanzminister erklärt haben, sie könnten sich vorstellen, dass diese Gesellschaft nach dem Prinzip der Einstimmigkeit funktioniert, also Deutschland nicht überstimmt werden kann. Ist das zutreffend, ist das in der Satzung am Ende so geregelt? Sie haben ein einseitiges Papier vorliegen, also wirklich eine Seite im Wortsinne, wo gesagt wird, wir beauftragen die Kommission, die europäische Kommission mit der Verwaltung und Prüfung der Anträge. Nach welchen Regeln prüft die Kommission Kreditanträge? All dieses wissen wir nicht und wir sollen ohne dies zu wissen den Betrag im Kern eines halben Bundeshaushaltes zur Verfügung stellen. Das ist absolut unzumutbar, das ist unverantwortlich auch und gerade gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, die ja dieses Geld aufbringen müssen.

    Schulz: Also Sie gehen konform mit der Forderung, die jetzt vom bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer von der CSU kommt, der für jede einzelne Kreditvergabe eine Entscheidung des Haushaltsausschusses des Bundestages fordert?

    Trittin: Dieses haben wir im Haushaltsausschuss mittlerweile auch mit durchgesetzt. Das ist ein Schritt nach vorne, sagt aber immer noch nicht – insofern fordert Herr Seehofer etwas, was die Grünen im Bundestag schon durchgesetzt haben -, nach welchen Regeln diese Gesellschaft funktioniert, und das ist eine absolute Banalität. Als wir beispielsweise in anderen Bereichen größere Beträge zur Verfügung gestellt haben, bei der Privatisierung der Bahn etwa, in all diesen Fällen hat man Wert darauf gelegt, dass dort, wo wir Steuergelder hineingeben, auch wir wissen, was dann mit diesem Geld im Anschluss passiert.

    Schulz: Jürgen Trittin, vor zwei Wochen hat der Bundestag ja über das Griechenland-Rettungspaket abgestimmt, das war auch milliardenschwer. Da haben die Grünen mit der Regierungskoalition gestimmt. Rächt es sich jetzt, dass Sie da Ihre Stimmen verschenkt haben?

    Trittin: Nein, überhaupt nicht! Wir waren dafür, wir fanden das in der Sache berechtigt, wir wussten und kannten alle Details und hielten das für verantwortbar. Wir würden gerne jetzt auch zustimmen, weil wir der Auffassung sind, der Euro muss gerettet werden. Dafür müssen aber alle Fakten tatsächlich auf den Tisch gelegt werden. Es kann nicht sein, dass man dem Bundestag ernsthaft anbietet, die Katze im Sack zu kaufen.

    Schulz: Und das fehlende Engagement für eine Finanzmarkttransaktionssteuer, das die SPD ja moniert, das fehlt den Grünen gar nicht?

    Trittin: Das fehlt uns extrem. Nur an dieser Stelle muss man eines festhalten: Die CDU/CSU und die FDP haben uns erklärt, okay, vielleicht setzen wir uns doch für eine Finanztransaktionssteuer ein, aber die wird wahrscheinlich international nicht durchzusetzen sein, da geht eigentlich nur eine Bankenabgabe oder eine Aktivitätssteuer. Heute Morgen können wir in den Zeitungen lesen, dass auch dieses im Kreise der G20 hoch umstritten und nicht einigungsfähig ist. Deswegen sagen wir, wir brauchen eine Finanztransaktionssteuer. Die werden wir nur kriegen, wenn in Europa eine solche Steuer endlich eingeführt wird. Wenn Europa vorangeht, wird es einen internationalen Druck und Sog entwickeln, dass solche Maßnahmen global erreicht werden. Auf die anderen zu verweisen heißt nur, sich selber im nichts tun zu bewegen, und genau das tut die Bundesregierung. Sie ist nicht mal so weit wie der Präsident der Euro-Zone, der luxemburgische Christdemokrat Juncker, der für eine solche europäische Steuer streitet. Er ist nicht so weit wie der konservative österreichische Finanzminister, der der gleichen Auffassung ist. Es gäbe in Europa eine Mehrheit zur Einführung einer europäischen Finanztransaktionssteuer und deswegen glauben wir, dass die Regierung versagt an dieser Stelle.

    Schulz: Die Parlamentarier müssen jetzt zum zweiten Mal innerhalb von zwei Wochen quasi federstrichartig über Milliarden entscheiden. Wir haben ja gerade schon über den Zeitdruck gesprochen. Wird das denn langsam auch zu einem Problem für die Demokratie?

    Trittin: Ich glaube, dass die Bürgerinnen und Bürger von den Parlamentariern erwarten, wenn sie solche schwierigen Entscheidungen zu treffen haben, dass sie dies tun mit dem Wissen, was notwendig ist für die Entscheidung. Dieses Wissen verweigert uns die Regierung, weil sie das Geld herausgeben möchte, obwohl die vertraglichen Grundlagen für die Auszahlung des Geldes bis zum heutigen Tag nicht gegeben sind.

    Schulz: Jürgen Trittin, Vorsitzender der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, heute im Deutschlandfunk in den "Informationen am Morgen". Haben Sie herzlichen Dank.

    Trittin: Ich danke Ihnen!