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"Mit Geld allein machen Sie kein Programm..."

In der schnelllebigen Welt der Büchermacher sind zehn Jahre wenig mehr als ein warming up. Wer sie, wie der Zürcher Peter Haag mit seinem 1998 gegründeten Verlag Kein & Aber, erfolgreich hinter sich gebracht hat, darf sich freuen. Der kautzige Name, den Haag einst in Weinlaune auf eine Serviette kritzelte, hat dabei bestimmt nicht geschadet. Aber ein Name allein macht bekanntlich noch keinen Verlag.

Von Nils Kahlefendt | 02.09.2008
    Sein 'Erweckungserlebnis' hat der Mann, der aus einer traditionsreichen Schweizer Sortimenter-Familie stammt und eigentlich nie Buchhändler werden wollte, schon Anfang 1983: In der väterlichen Buchhandlung am Luzerner Kapellplatz fällt ihm das erste Programm des damals neu gegründeten Haffmans Verlags in die Hand. Vier Bücher nur, doch für Haag eine Offenbarung, eine neue literarische Welt voller Witz und Anarchie. Genau das, was er, wohl ohne es recht zu wissen, immer gesucht hat. Eine Liebe auf den ersten Blick. Ohne die folgenden 12 Jahre bei Haffmans, in denen Haag vom Volontär zum Vertriebschef aufsteigt, ist seine eigene verlegerische Arbeit kaum denkbar. Viel hat er gelernt, nicht zuletzt, dass auch Klappern zum Handwerk gehört. Über das Ende - den wachsenden ökonomischen Druck, die immer unübersehbareren Dissonanzen im Verhältnis zur Überfigur Gerd Haffmans, die vier Jahre vor dem Konkurs des Verlags eingereichte Kündigung - mag Haag heute nicht mehr sprechen. Doch der Beginn muss sich großartig angefühlt haben:

    "Und dieser Verlag in den Anfängen, das war experimentell, das war toll! Da kamen so viele Leute zusammen, die ich mochte, die ich gut fand, die ich bewunderte, dass es eine großartige Zeit war. Und wie überhaupt auch immer, das kann man generell sagen, das erlebe ich ja jetzt im eigenen Verlag auch: Es sind eh' die schönsten Zeiten eines Verlags! Es sind die Flegeljahre!"

    Kein & Aber scheint den seinen längst entwachsen. Mut zum Cross-Over, gepaart mit einer Portion Chuzpe und hohem Qualitätsanspruch hat dem Label veritablen Kultstatus im deutschsprachigen Raum eingebracht. Auf den beiden Verlagsetagen des ehemaligen Fabrikgebäudes in der Zürcher Bäckerstraße arbeiten 14 Männer und Frauen; das in den Jahren auf über 350 Titel gewachsene Programm will gestemmt sein: Rund zehn Bücher und noch einmal so viele Hörbücher, die Haag lieber "Records" nennt, erscheinen pro Saison. Die Liste der Autoren reicht inzwischen von Woody Allen, Truman Capote und David Nicholls bis zu Elke Heidenreich und Joseph von Westphalen; mit Gilles Leroy, dessen "Alabama Song" im Herbst erscheint, hat der Verlag den aktuellen Träger des Prix Goncourt unter Vertrag. Dutzende gerahmte Originale von Michael Sowa, Bernd Pfarr oder Nikolaus Heidelbach, die Haags Bürowände füllen, zeugen von dessen Liebe zum illustrierten Buch. Was in der Rückschau wie ein von langer Hand vorbereiteter Masterplan wirkt, beginnt, wie vieles im Leben, per Zufall:

    "Wenn ich mir das GANZ genau überlegt hätte (lacht), hätte ich die Finger davon gelassen. Gottseidank habe ich das aber nicht! Sondern bin einfach reingeschlittert. Ich bin reingeschlittert, und zwar zu Hause im Esszimmer... Einmal hat mich Gerhard Polt angerufen - mit dem ich sehr eng zusammen gearbeitet hatte, und mit dem ich ich sehr befreundet war - und hat gesagt: Na hör' mal, wir müssen ja was zusammen machen! Komm, machen wir doch eine Kassetten! Hat er gesagt. Ich sag', was meinst Du, Gerhard, mit einer...? Und weil Gerhard seit etwa acht oder zehn Jahren seine Bühnenprogramme nicht mehr auf CD aufgenommen hat, hab' ich gesagt: Ja, das wär' doch eine prima Sache, das machen wir doch. Das war das erste Produkt: Eine Polt-CD! Die dann abging wie eine Rakete! "

    Als Haag kurz darauf zur Messe nach Bologna fährt - eher ein Reflex, denn sein Plan, bei Haffmanns ein Kinderbuchprogramm aufzubauen, ist längst obsolet - bleibt ihm das Glück treu. Eigentlich will er nur ein wenig um die Stände schlendern.

    "Und dann kommt plötzlich eine Rechte-Frau von Oetinger oder Dressler auf mich zu und sagt: Herr Haag, Herr Haag, Sie haben sich doch immer mal wieder für die "Pu der Bär"-Rechte interessiert? Das war etwas kompliziert, wegen Walt Disney. Und plötzlich ging das! Und dann war ich natürlich so'n bißchen König ohne Land. Und hab dann gedacht: Naja, gut, ich ruf' mal Harry an - Harry Rowohlt - und hab gesagt: Was meinst Du, wollen wir das machen? Und er sagt: Naja, klar! Und dann hab' ich sie eingekauft."

    Im Fall von Kein & Aber trifft das gern strapazierte Bild von den Autoren als "Seele des Verlags" tatsächlich zu; mehr noch: Harry Rowohlt und Gerhard Polt sind nicht nur Haags Freunde, sondern so etwas wie geistige Gründerväter des ganzen Unternehmens. Wie aber kommt man als Eidgenössischer Independent an Größen wie Woody Allen oder Truman Capote, die die Holtzbrincks und Bertelsmänner dieser Welt gern unter sich aufteilen würden?

    "Ja, die würden das vielleicht gern unter sich ausmachen. Aber das funktioniert Gott sei Dank nicht. Das ist ja das Schöne am Verlagswesen: Es ist unglaublich... demokratisch ist jetzt vielleicht der falsche Ausdruck. Aber es bietet sehr viele Freiräume für Leute, die vielleicht in einer Sache ein bißchen schneller sind, ein bißchen besser informiert sind. Die großen Konzerne... natürlich haben die mehr Geld. Sie haben aber auch viel mehr auf dem Zettel."

    Wer Peter Haag ob seines bedächtigen, die Worte nachschmeckenden Duktus, der in deutschen Ohren immer ein wenig nach Emil Steinberger klingt, für einen betulichen Zeitgenossen hält, hat schon verloren. Haag ist schnell. Und er macht aus seinem Ehrgeiz keinen Hehl.

    "Für mich war klar - ich will nicht irgendwie ein Kleinverlag sein, der so am unteren Rand dahinröchelt. Sondern ich möchte gern ein Verlag sein, der für die Autoren, die ich gern hier haben möchte, auch ein "Rundumverlag" sein kann, der eben alles erledigen kann. Und der eine verlegerische Heimat sein kann! Wenn man sich das mal so überlegt und festhält, dann heißt das: Gut, man muss es auch professionell ausformen. Und deshalb war für mich einfach klar: Wir wollen wachsen. Wir wollen bestimmte Autoren haben - und unser Programm damit erweitern. "

    Der Einstieg von Andreas Reinhardts Winterthurer Volkart Holding als Minderheits-Aktionär im Jahr 2000 ermöglicht einen solchen Wachstumsschub; seit letztem Herbst ist der Medienmanager Roger Schawinski, der als Autor zum Verlag stieß, als Aktionär dazugekommen. Das klingt nach Traumhochzeit - einerseits. Doch: Bedroht das frische Geld nicht liebgewordene Freiheiten? Wachsen und unabhängig bleiben - geht das?

    " Also, für mich ist einfach eines klar: Wenn wir den Verlag machen wollen, den wir uns hier vorstellen und den wir bis anhin gemacht haben, dann können wir den nur unabhängig machen. Das ist ganz klar! Da hilft uns kein Holtzbrinck und da hilft uns kein Bertelmann. Niemand! Und, ehrlich gesagt, ich hab' auch diesen Verlag jetzt nicht gegründet, um ihn nachher zu verschachern. Wir sind eine ganz normale mittelständische schweizerische Aktiengesellschaft. Wir wollen eine gesunde Unternehmung sein. Und wir haben keinen "Investor" hier, wir haben kein "Venture Capital"... Wir haben keine solche Geschichten. Sondern das ist ganz nüchtern und unternehmerisch betrachtet investiertes Aktien-Kapital. Geld ist ein wunderbarer Rohstoff und wichtig. Aber mit Geld allein machen Sie kein Programm, das sag' ich Ihnen!"
    Tatsächlich wird der Druck, der auf Haags Schultern lastet, nicht geringer. Die Buchbeschleuniger haben ganze Arbeit geleistet: Das Titelkarussell dreht sich so rasant wie nie, Novitäten, immer früher rezensiert, werden nach wenigen Monaten ausgemustert. Keiner mag sich noch Zeit nehmen, nicht einmal die Leser. So gesehen, ist die Wahlheimat Zürich für Peter Haag "eine angenehme Art von Ausland" - und der Hinterhof in der Bäckerstraße auch ein guter Ort, um mit den Nebenwirkungen des Erfolgs fertig zu werden. Die bleiben nicht aus, wenn das eigene Haus sich anschickt, den Streichelzoo der "Kleinverlage" zu verlassen.

    "Erst mal ist man der Kleine, Nette. Das ist ja super... Alle Verlage sagen: Ach wie schön, der kleine Nette. Und dann kriegt man mal so'n Erfolg, und dann finden alle: Ja, toll, das hat er verdient, der Verlag. Und dann hat man wieder mal einen, und wird größer - und dann verändern sich die Verhältnisse. So ganz langsam. Merkt man dann. Nicht, dass das böse ist. Aber man merkt, man kommt langsam auf Augenhöhe. Nicht jetzt zu Fischer oder zu Rowohlt, so weit noch nicht. Aber man kommt zu anderen Verlagen auf Augenhöhe. Und plötzlich steht man sich halt gegenüber: Sei das beim Einkauf eines Woody Allen oder bei Truman Capote oder solchen Sachen. Das sind natürlich auch Erfahrungen, mit denen muss man auch umgehen. Man ist einfach ein normaler Mitspieler. Und ich denke: Man muss sich abgrenzen. Man muss auf die eigenen Sachen vertrauen. "