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"Mit jeder weiteren Pipeline wird die Versorgungssicherheit erhöht"

Heute soll er fallen: der offizielle Startschuss für die neue Ostseepipeline. 1220 Kilometer Rohrleitung sollen einmal die Strecke vom russischen Viborg ins deutsche Lubmin überbrücken – auf dem Meeresboden. EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) sagt, die geplante Pipeline habe einen modernen Standard und hohe Kapazitäten.

Günther Oettinger im Gespräch mit Sandra Schulz | 09.04.2010
    Sandra Schulz: Das erste Rohr ist schon verlegt worden, aber der offizielle Startschuss ist für heute geplant. Nach fünf Jahren harten Ringens feiern Russland und seine Partner, zu denen auch Deutschland gehört, beim Projekt der neuen Ostseepipeline den Start des größten Energieprojekts Europas. Wenn in dem Zusammenhang von einer "langen Leitung" die Rede ist, dann ist das nicht abfällig gemeint. Die rund 1.220 Kilometer lange Pipeline soll vom russischen Viborg nach Lubmin bei Greifswald reichen. An den EU-Energiekommissar Günther Oettinger (CDU) geht die Frage, ob die Versorgungsengpässe, wie sie viele Europäer ja noch in frostiger Erinnerung haben, mit der neuen Pipeline endgültig der Vergangenheit angehören?

    Günther Oettinger: Mit jeder weiteren Pipeline wird die Versorgungssicherheit erhöht und die Pipeline, die durch die Ostsee führen wird, hat einen modernen Standard, hat hohe Kapazitäten, wird in zwei Leitungen sehr viel Gas liefern, und damit ist die Versorgungssicherheit für Europa auf einem guten Wege.

    Schulz: Das heißt, Sie sind dem früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder, der den Bau ja auch mit vorangetrieben hat, durchaus auch zu Dank verpflichtet?

    Oettinger: Es waren verschiedene, die das ganze zu verantworten haben: zu allererst die Investoren. Knapp acht Milliarden zu investieren, ist ja kein Pappenstiel. Deswegen sind die verantwortlichen Energieunternehmen in Moskau, aber auch in Deutschland und Frankreich und in den Niederlanden verantwortlich für diese Entwicklung, und auch Personen, wie Herr Putin oder die Vorstände der Energieunternehmen und auch Gerhard Schröder, haben in den letzten Jahren einen wirklich guten Job gemacht.

    Schulz: Und dass die Abhängigkeit Europas von Russland jetzt weiter steigt, das halten Sie nicht für heikel?

    Oettinger: Wir haben eine hohe Abhängigkeit Europas und Deutschlands von Gasimporten generell, weil die Gasmengen, die wir in unseren Mitgliedsstaaten haben, zu gering sind und in absehbarer Zeit ausgehen werden. Deswegen sind wir auf mehr Energieeffizienz angewiesen, das heißt eine bessere Ausnutzung von Energieimporten aller Art, Öl, Kohle und Gas, und ansonsten setze ich darauf, dass langfristig Verträge auf einer Vertrauensgrundlage auch halten. Wir haben in den letzten Jahrzehnten mit unseren Importeuren eine gute Erfahrung gemacht.

    Schulz: 25 Prozent des Gases, das die EU verbraucht, kommt derzeit aus Russland. Ist das keine machtvolle Position?

    Oettinger: Sicher sind die Russen für uns ein wichtiger Energiepartner, aber umgekehrt: Wir liefern den Russen Maschinen, Fahrzeuge, Trucks, Hightech. Das heißt, das ganze ist eine gegenseitige Wirtschaftsbeziehung, bei der der eine den anderen und umgekehrt braucht.

    Schulz: Aber dass das Thema Gas auch zu einem politischen Thema werden kann, das haben wir ja nun gerade erlebt in dem frostigen Winter 2009. Ihre Sorge, dass sich so etwas wiederholt, gibt es nicht?

    Oettinger: Wir haben hier ein Frühwarnsystem eingerichtet. Wir haben weitere Gasleitungen, die in Planung sind. Ich setze auf den südlichen Korridor, auch darauf, dass vielleicht weitere Gasfelder erschlossen werden – nehmen Sie den kaspischen Raum -, und dann setze ich auf Energieeffizienz, das heißt einen Energiemix, wo Gas nicht eine steigende, sondern eine stabile Bedeutung hat, aber durch andere Energiequellen, namentlich erneuerbare Energien, die wir mit Wind, Solar und mit Biomasse und mit Wasser bei uns selbst schöpfen können, die Abhängigkeit nicht nach oben geht.

    Schulz: Jetzt sprechen wir gerade aber über die aktuelle Ostseepipeline, die auf dem Meeresboden verlegt werden soll, was natürlich viel teuerer ist als eine Pipeline auf dem Land. Die Mehrkosten werden dann die Verbraucher zahlen?

    Oettinger: Ich glaube, dass durch diese Pipeline der Gaspreis nicht steigen wird. Im Gegenteil: sie ist technisch hervorragend konzipiert. Es gibt nur eine Druckstation und mit knapp acht Milliarden ist sie auch gut kalkuliert. Ich gehe davon aus, dass der Gaspreis in den nächsten Jahren eher von den Märkten und von der Konjunktur und von dem Bedarf auf den Weltmärkten abhängt und diese Pipeline für die Festlegung des Preises eine gute Rolle spielt.

    Schulz: Und wenn wir über den politischen Preis sprechen – das Projekt hat ja für erhebliche Irritationen in Polen, bei den baltischen Staaten gesorgt. Man moniert, man sei schlichtweg nicht gefragt worden. Können Sie verstehen, dass sie sich politisch ausgebootet gefühlt haben?

    Oettinger: Ja. Als vor vier, fünf Jahren das ganze Projekt, die Planung öffentlich wurde, war mit Sicherheit einige Brüskierung von Polen und den baltischen Staaten und generell den Ostseeanrainern die Folge. Das kann man verstehen, aber es ist in den letzten Jahren alles getan worden, um Umweltschutz, den Fischereiinteressen, aber auch Gefahren, die durch Altlasten in der Ostsee drohen, Herr zu werden, und mittlerweile sind alle an Bord. Es haben ja die Genehmigungen überall eingeholt werden müssen. Ich glaube, das Projekt ist auf der Planungsphase zu einem echten europäischen Projekt geworden.

    Schulz: Aber man hat doch gerade die Chance verpasst, die es ja gegeben hätte, sich mal generell auch mit allen Beteiligten darüber Gedanken zu machen, wie Europa seinen Energiebedarf decken will, auch mit Polen, auch mit den baltischen Staaten.

    Oettinger: Deswegen hat ja in den letzten drei, vier Jahren ein intensiver Prozess im Europäischen Parlament, in der Kommission und auch im Rat begonnen, um die europäische Energiepolitik zu harmonisieren. Die Europäisierung der Energieinteressen ist in vollem Gange und der Binnenmarkt ist noch nicht erreicht, aber wird mit klaren Schritten angestrebt. Klar muss sein: die Polen und die Balten müssen genauso an Gas kommen können wie wir, und wir streben einen Gaspreis an, der in Europa nicht nach oben und unten abweicht. Aber dieser Weg wird in den nächsten Jahren mit Sicherheit erreicht werden.

    Schulz: Günther Oettinger, Ende 2011 soll das erste Gas durch die Ostseepipeline strömen. Rechnen Sie damit, dass der Zeitplan eingehalten wird?

    Oettinger: Ja. Die Fachleute sagen uns, dass sie die technischen Fragen, die Baufragen im Griff haben. Heute geht es los und ich bin sicher, dass die erste Leitung im nächsten Jahr und die zweite in zwei Jahren stehen wird.

    Schulz: Es gibt mehrere Klagen von Umweltverbänden, vom BUND und vom WWF, die Klagen vorm Verwaltungsgericht gegen die Baugenehmigung. Was macht Sie denn so zuversichtlich, dass die Naturschützer dort unterliegen?

    Oettinger: Es gibt die Möglichkeit des Baubeginns und ich glaube, dass diese Interessen von den Bauherren gesehen werden und ausräumbar sind. Ich gehe davon aus, dass die neue Pipeline in vollem Umfang mit den Umweltüberlegungen in Einklang gebracht werden kann.

    Schulz: Und was macht Sie da so zuversichtlich?

    Oettinger: Dass die Investoren schon in den letzten zwei, drei Jahren alles getan haben, um Umweltinteressen und Interessen für Natur, für Vögel und für Fische abzuwägen. Ich bin sicher, dass dies machbar sein wird. Aber klar ist: jedes Bauwerk ist ein Eingriff in die Natur. Der Mensch an sich schon ist mit dem, was er plant und baut und wie er lebt, ein Eingriff in die natürlichen Lebensgrundlagen, aber die werden hier so weit wie möglich gewahrt.

    Schulz: Jetzt interessiert uns in Europa noch das Konkurrenzprojekt, die Nabucco-Pipeline. Die soll ja Gas aus Zentralasien nach Europa bringen. Dafür haben Sie gerade eine deutliche Verspätung angekündigt. Die Leitung werde frühestens im Jahre 2018 in Betrieb gehen. Warum dauert es bei der EU so lange?

    Oettinger: Nabucco ist ja ein einmaliges Projekt, in dem es von den verschiedenen europäischen Mitgliedsstaaten und einigen europäischen Energieunternehmen geplant wird. Es geht darum, ob man aus dem kaspischen Raum, das heißt aus Turkmenistan, aus Aserbaidschan und anderen Nachbarländern Gas nach Europa transportieren kann. Auch da geht es um sieben, acht Milliarden. Die Entscheidung wird mit Sicherheit in diesem Jahr fallen. Wir bereiten derzeit eine Konferenz vor, an der alle beteiligten Unternehmen und Staaten mitwirken sollen. Das hängt in starkem Maße davon ab, ob wir auf Dauer genügend Menge vertraglich gesichert bekommen, damit die Pipeline sich lohnt.

    Schulz: Und wird das so kommen? Kommt die Nabucco-Pipeline?

    Oettinger: Ich würde sagen, das wissen wir im Dezember dieses Jahres. Ich halte sie für chancenreich, aber sie ist noch nicht in trockenen Tüchern.