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Mit Kunst gegen den Niedergang

Der Abzug der Autoindustrie aus Detroit hat einst den Niedergang der US-Stadt eingeleitet. Auch Opel kehrt im kommenden Jahr dem Ruhrgebiet den Rücken. "This is not Detroit" – mit diesem Kunstprojekt antwortet Bochum auf mögliche aufkommende Vergleiche.

Von Thomas Frank | 14.10.2013
    Bochum-Zentrum, Husemannplatz am Wochenende: Zwischen Bankgebäuden, Telefonläden, Restaurants und Cafés steht ein großer Pavillon mit Tischen und Stühlen. Daneben ein Bauzaun mit einem Werbebanner. Darauf steht: "Der Bürgerinitiativengenerator – In 30 Minuten zur eigenen Bürgerinitiative". Hinter dieser Aktion steckt die "Theorie- und Praxisgemeinschaft Dr. Fahimi", ein Kunstkollektiv aus Berlin. Es will Menschen helfen, persönliche politische Anliegen in eine Bürgerinitiative zu verwandeln. Das Interesse ist groß, viele Menschen nehmen teil. So auch Nadin Catapani. An der ersten Station artikuliert sie ihr Problem, die Künstler bewerten es und entwickeln eine Strategie für eine politische Kampagne:

    Künstler: "Was ist dein Vorhaben? Dein Begehren?"

    Nadin: "Ich bin gegen die Geisterstadt nach 20 Uhr, wenn die Läden schließen. Ich weiß nicht, ob ihr das wisst, aber wenn die Läden schließen in der Bochumer Innenstadt, dann befindet sich keine Menschenseele mehr in dieser Stadt und sie ist menschenleer und es ist sehr, sehr beängstigend, sich dann überhaupt noch hier aufzuhalten. Und ich finde das muss abgeschafft werden."

    Künstler: "Und wie willst du das abschaffen? Was kann man dagegen machen?"

    Nadin Catapanis Vorschlag ist radikal: Sie will die ganze Stadt abreißen und eine neue bauen. Gemeinsam mit allen Bochumer Bürgern. Der Abriss ist natürlich nur als symbolischer Akt zu verstehen. Es gehe darum, ein utopisches Signal zu setzen. Momentan sei die Stadt nur auf Konsum ausgerichtet, es mangele an Gemeinschaftsplätzen, eine Identifikation mit der Stadt sei somit unmöglich. Nadin Catapanis Utopie einer Post-Konsum-Stadt wird von den Künstlern akzeptiert. Als nächstes entwerfen sie ein Programm und einen Slogan:

    "Nieder mit der Geisterstadt ... Ein neues Bochum für alle!"

    Als Logo dient ein Einkaufswagen, in dem Bochum drin steckt. Fähnchen, und Pappschilder werden beschriftet. Protestieren will Nadin in Form einer Demonstration. Zusammen mit fünf Künstlerinnen zieht sie nun durch die Fußgängerzone. Die Bürgerinitiative ist realisiert.

    "Konsumtempel abreißen, nieder mit der Geisterstadt ab acht"

    Eine gewitzte Performance, mit der die "Theater- und Praxisgemeinschaft Dr. Fahimi" die Bürger ermuntern will, sich bewusster mit der eigenen Stadt auseinanderzusetzen und sich für sie zu engagieren. Theater, das nicht mehr in geschlossenen Hallen stattfindet, sondern mitten im urbanen Raum. Damit ist es sichtbarer auch für diejenigen, die normalerweise nicht ins Theater gehen würden und kann viel wirksamer auf die Probleme und Wünsche der Bürger reagieren, kommentiert Jean-Michel Berg, der Hauptinitiator des "Bürgerinitiativengenerators:

    "Alle Leute haben irgendwelche Meinungen, politischen Meinungen und die äußert man dann so zu Hause vor dem Fernseher und da verpuffen die dann ziemlich und wir wollten dann irgendwie die Möglichkeit schaffen, wie man eine Idee ganz einfach Wirksamkeit geben kann. Es geht, glaub ich, darum, dass Leute ihre Selbstwirksamkeit erfahren. Diese Erfahrung von Selbstwirksamkeit sozusagen formt Menschen, aktiv zu sein."

    Der "Bürgerinitiativengenerator" ist eines von mehreren Kunstprojekten des einjährigen Kulturfestivals "This is not Detroit". Initiiert wird es vom Schauspielhaus Bochum und den "Urbanen Künsten Ruhr". Der Anlass: die bevorstehende Schließung der Opel-Werke Ende 2014. Das Ziel: Künstler, Wissenschaftler, Architekten und Stadtplaner sollen Strategien für ein postindustrielles Bochum entwickeln, um dem Schicksal von Detroit zu entgehen. Die einst boomende "Motor City" ist nach dem Weggang der Autoindustrie zur Gespensterstadt verkommen und inzwischen bankrott. Gerade in der Umbruchphase sei es wichtig, die Bürger zu ermutigen, an der Zukunft ihrer Stadt mitzuwirken, meint Sabine Reich, Dramaturgin am Schauspielhaus und künstlerische Leiterin des Detroit-Projektes:

    "Was uns interessiert, ist, zu sagen: wie können wir öffentlichen Raum schaffen, in dem Leute sich darüber verständigen, wo’s denn hingeht, das ist etwas, was wir besonders als Stadttheater leisten können, nämlich zu sagen, bevor eine Stadtplanung vollzogen wird, soll sie debattiert werden."