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Mit Maria gegen Müllfrevler
Das Müllwunder von Palermo

Illegale Müllentsorgung hat in Italien vielerorts gewissermaßen Tradition. Vor allem im Süden wird nachts öfter mal heimlich Sondermüll abgeladen, um Gebühren zu sparen. In vielen Fällen ermitteln die Staatsanwälte. Aber manchmal hilft auch Maria - und schafft ein "Müllwunder".

Von Thomas Migge | 14.11.2017
    Sizilien hat ein Problem mit der Müllbeseitigung. Der Müll quillt auf den Straßen von Palermo über.
    Sizilien hat ein Problem mit illegaler Müllbeseitigung - auch in der Nähe von Palermo (imago / Milestone Media)
    Sizilien, Palermo, Stadtteil Croceverde. Am Rande der sizilianischen Hauptstadt. Die Via Gibilrossa führt raus aus dem Zentrum in Richtung Süden. Eine Ausfallstraße, nur wenige Wohlhäuser. Perfekt zum illegalen Abladen von Müll, nach Anbruch der Dunkelheit. Ausrangierte Kühlschränke und Fernseher, Säcke mit Bauschutt und Haushaltsmüll aller Art. Bis vor wenigen Wochen war die Via Gibilrossa von Abfällen gesäumt. Doch dann kamen die Madonna und der Heiland - und alles änderte sich, erklärt Fabio Casamucci, ein Anwohner:
    "Ich wohne hier seit 1956. Müll blieb hier immer Monate lang liegen, bevor er abtransportiert wurde. Doch seit rund zwei Wochen ist alles anders. Das ist schon kurios."
    "Seit die Skulpturen stehen, ist es vorbei mit dem Müll"
    Seit einigen Wochen erhebt sich in der Via Gibilrossa, am rechten Straßenrand in Richtung Innenstadt, eine Madonnenskulptur, zirka eineinhalb Meter hoch und aus blütenweißem Gips. Sie steht auf einem Sockel und ist für Autofahrer gut sichtbar. Vor der Madonna stehen mehrere Vasen - mit frischen Blumen und mit Kunststoffblumen.
    Von Müll keine Spur mehr. Fast die gesamte Straße ist sauber. Fast gleichzeitig mit der Marienstatue wurde einige hundert Meter entfernt in der Via Gibilrossa auch eine Christusskulptur aufgestellt, ebenfalls weiß und über einen Meter hoch. Die Folge auch hier: ein "Müllwunder", wie es in sizilianische Medien heißt.
    Dass Madonnen-, Christus- und Heiligenfiguren auch anderswo in Palermo "Müllwunder" vollbringen, lässt sich etwa in Mondello besichtigen, dem Strandviertel von Palermo. Der katholische Priester Antonio de Carli:
    "'La Santuzza', die Heilige, wie hier unsere Stadtpatronin Rosalia genannt wird, hat auch in Mondello den Müll verschwinden lassen. Die Skulptur steht auf dem Bürgersteig, der seitdem sauber ist. Früher war hier in Mondello alles voll mit Abfällen."
    Das Müllwunder ist aufgebrachten Bürgern zu verdanken, die sich zusammengetan haben, um gegen die illegale Abfallentsorgung vorzugehen. Mit dabei: Mara Clerucci. Sie hat mit anderen bisher vier Madonnen- und Heiligenskulpturen aufgestellt:
    "Wir haben zahllose Male die Stadtverwaltung aufgefordert, den Müll wegzuräumen. Doch nichts geschah. Wir haben Videokameras angebracht, um die Müllfrevler aufzuspüren, doch die Kameras wurden zerstört. Seit die geweihten Skulpturen in den Straßen stehen, ist es vorbei mit dem Müll."
    Ehrfurcht vor religiösen Symbolen
    Die aufgebrachten Bürger finanzieren ihr Projekt aus eigener Tasche. Die Figuren sind allesamt von Priestern wie Antonio de Carli geweiht - und werden folglich von den Anwohnern verehrt. Dass der Trick mit den geweihten Skulpturen funktioniert, erklärt Franco La Cecla, Kulturanthropologe an der Hochschule in Palermo, so:
    "Für Gläubige, und das sind auf Sizilien alle Menschen, sogar die Mafiabosse, ist es unmöglich, in einer Straße, in der es einen mehr oder wenigen direkten Blickkontakt mit einer geweihten Skulptur gibt, Müll illegal abzuladen. Das ist ein Mechanismus im Kopf. Den kann hier niemand ausschalten."
    Ein Mechanismus, der die Bürger Palermos erfreut – und auch die katholische Kirche: Denn sie sieht im Müllwunder von Palermo ein Zeichen dafür, dass die Menschen doch noch Ehrfurcht vor religiösen Symbolen haben.