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Mit Pilz keine Kohle

Paläontologie. - Weißfäule-Pilze haben eine außergewöhnliche Fähigkeit. Sie gehören zu den wenigen Organismen in der Natur, die den extrem stabilen Holzbestandteil Lignin zersetzen können. US-Forscher haben jetzt mit Genstudien ermittelt, wie und wann die Pilze dieses Können im Zuge der Evolution entwickelten. Das Ergebnis ist nicht nur für Biologen, sondern auch für Geologen interessant.

Von Lucian Haas | 29.06.2012
    Manchmal gibt es Glücksfälle für Forscher: Da erkunden sie Grundlegendes und finden unverhofft etwas Besonderes. So ist es David Hibbett widerfahren.

    "Mein Hauptinteresse liegt darin, die Evolution des Lebens zu verstehen. Vor allem die Frage, wie Pilze ihre bedeutende ökologische Rolle entwickelt haben, und wie das über große Zeiträume hinweg die Ökosysteme verändert hat."

    Unter diesem Blickwinkel hat der Pilzforscher von der Clark University im US-Bundesstaat Massachusetts gemeinsam mit Fachkollegen das Erbgut von 31 Weißfäule- und Braunfäule-Pilzarten untersucht. Eigens für die Studie wurden sogar zwölf der Pilzgenome neu sequenziert. Es ging darum, aus dem Vergleich der DNA und der Struktur bestimmter Gene herauszulesen, wie die Pilze im Verlauf der Evolution ihre seltene Fähigkeit erlangten, mit Enzymen den extrem stabilen Holzstoff Lignin zu zersetzen.

    "Unsere wichtigste Erkenntnis war, dass sich die Fähigkeit zum Holzabbau nur einmal entwickelt hat, und zwar vor rund 300 Millionen Jahren."

    Dieses Datum lässt aufhorchen. Denn es fällt erdgeschichtlich zusammen mit dem Ende des Karbonzeitalters. 60 Millionen Jahre lang hatten riesige Sumpfwälder große Teile der Erde dominiert. Abgestorbene Bäume wurden im morastigen, sauerstoffarmen Untergrund nicht abgebaut. So bildeten sich mächtige Schichten organischen Materials, aus denen mit der Zeit die typischen Steinkohleflöze wurden. Nach der bisher gängigen Theorie legten deutliche Klimaveränderungen die Sümpfe trocken. Damit endete das Karbon. Möglicherweise haben aber auch die Pilze eine entscheidende Rolle gespielt. Hibbett:

    "Bis sich die Weißfäulepilze entwickelten, konnte holziges Pflanzenmaterial nicht völlig zersetzt werden. So wurde daraus Torf und später eben Kohle. Mit dem Auftreten der Weißfäule wurde Lignin dann abgebaut. Somit konnte sich nicht mehr so viel organischer Kohlenstoff anhäufen als Grundlage der riesigen Kohlevorkommen."

    Anders gesagt: Weil der Pilz das tote Holz zersetzte, verhinderte er fortan die Kohlebildung. Somit könnte es die Evolution der Weißfäule gewesen sein, die entscheidend zum Ende des Karbons beitrug. Wenn diese Theorie stimmt, müssten in Zukunft einige biologische und geologische Lehrbücher umgeschrieben werden. Vorerst sind die Forscher noch zurückhaltend mit der Interpretation ihrer Ergebnisse. Zu groß ist noch die Unsicherheit in der genbasierten Altersdatierung der Weißfäulepilze. Bald soll es aber viel genauere Daten geben.

    "Die 31 Pilzgenome sind nur die Spitze des Eisbergs. Die Genomsequenzierung wird immer einfacher, günstiger und schneller. Das Joint Genome Institut des US-Energieministeriums startet gerade das 1000 Pilz-Genom-Projekt. Wenn das in fünf Jahren erfolgreich abgeschlossen ist, wird es sehr spannend für uns."

    Dass sich das amerikanische Energieministerium für die Fäulnispilze interessiert, hat weniger mit dem Wunsch nach Aufklärung der Erdgeschichte, sondern mehr mit der Vorbereitung auf die Zukunft zu tun. Denn auch da könnten die Fähigkeiten der holzzersetzenden Pilze große Bedeutung erlangen.

    "Unsere Studie hat eine ganze Reihe neuer Enzyme geliefert, die unter Umständen für die Herstellung von Biokraftstoffen eingesetzt werden können."

    Bioalkohol lässt sich bisher nur durch die Vergärung einfacher Zuckerverbindungen gewinnen. Mit Hilfe der Enzyme aus den Fäulnispilzen könnte künftig möglicherweise auch Holz als Basis flüssiger Treibstoffe erschlossen werden. Dann wäre es nicht mehr nötig, jene Kohleflöze zu verheizen, die noch aus der Zeit vor der Pilzentstehung stammen.