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Mit Salmonellen gegen Radioaktivität

Für Helfer, die in Japan eine extrem hohe Strahlendosis abbekommen haben, gibt es kaum Hoffnung. Sie sterben nach ein paar Wochen an der Strahlenkrankheit. Zugelassene Medikamente dagegen gibt es nicht. Immerhin: Mehrere potenzielle Wirkstoffe werden zurzeit klinisch geprüft.

Von Marieke Degen | 28.03.2011
    Seit zwei Wochen kreisen Manoj Maniars Gedanken immer nur um eines:

    "Ich wünschte, unser Medikament wäre schon zugelassen. Man fühlt sich so hilflos, in einer Situation wie dieser."

    Manoj Maniar arbeitet bei Onconova, einer Pharmafirma an der Westküste der USA. Seit Jahren forscht er an einem Medikament gegen die Strahlenkrankheit. Ex-RAD.

    "Wenn Zellen radioaktiv verstrahlt werden, dann wird die DNA geschädigt. Und gleichzeitig steigt die Konzentration von bestimmten Proteinen in der Zelle an – Proteine, die den Selbstmord der Zelle einleiten. Ex-RAD blockiert diese Proteine und verhindert, dass sich die Zelle umbringt. Dadurch hat die Zelle genug Zeit, um die DNA zu reparieren."

    Onconova soll für die US-Armee eine Spritze entwickeln, die die Soldaten immer bei sich tragen sollen. Im Notfall können sie sich dann vor einer schmutzigen, radioaktiven Bombe schützen. Die Firma arbeitet auch an Tabletten, für die ganz normale Bevölkerung. Im Moment steckt Ex-RAD aber noch mitten in der klinischen Prüfung.

    "Wir haben Mäuse einer radioaktiven Strahlung von sieben Gray ausgesetzt. Das ist eine Dosis, bei der Menschen und Mäuse sterben. Nach 30 Tagen hätten alle Mäuse tot sein müssen."

    Aber: Mäuse, die vor der Bestrahlung mit Ex-RAD behandelt worden sind, haben überlebt. Alle. Das Medikament hat aber auch dann noch gewirkt, wenn es erst später, also einen Tag nach der Bestrahlung, gespritzt wurde. In diesem Fall haben 80 Prozent der Mäuse überlebt.

    "Wir haben die Mäuse, die überlebt haben, dann noch drei Monate lang beobachtet. Es gab keine Nebenwirkungen. Die Tiere haben sich komplett von der hohen Strahlendosis erholt."

    Auch der Krebsforscher Andrej Gudkov von der Firma Cleveland Biolabs hat einen passenden Wirkstoff gefunden. Eigentlich möchte er ein Medikament entwickeln, dass Krebspatienten während der Bestrahlung schützt. CBLB502 könnte aber auch bei der Strahlenkrankheit helfen.

    "Bei CBLB502 handelt es sich um ein leicht abgewandeltes Protein von Bakterien, von Salmonellen. CBLB502 wirkt im Körper gleich dreifach. Erstens: Es verhindert den Selbstmord von strahlengeschädigten Zellen. Zweitens: Es regt die Selbstheilungskräfte der Zelle an. Und drittens: Es aktiviert die körpereigenen Abwehrkräfte. Der Körper kann dann besser die schweren Infektionen bekämpfen, die mit einer Strahlenkrankheit einher gehen."

    Andrej Gudkov und seine Kollegen haben das Mittel an Mäusen und Affen getestet, mit Erfolg. Beide Medikamente, CBLB502 und Ex-RAD, sind auch schon an gesunden Menschen getestet worden. Die Probanden haben das Mittel gut vertragen. Es waren aber reine Sicherheitsstudien. Viel mehr können die Forscher auch nicht machen, aus ethischen Gründen:

    "Wir können Menschen ja schlecht einer tödlichen Strahlendosis aussetzen, nur um zu zeigen, dass unser Medikament wirkt."

    Die Zulassungsbehörde der USA, die Food and Drug Administration, sagt deshalb: Die Forscher müssen zeigen, dass so ein Medikament bei Tieren, am besten bei Affen, funktioniert. Und die Forscher müssen nachweisen, dass gesunde Menschen das Mittel generell gut vertragen. Dann kann es zugelassen werden. Bei Ex-RAD und CBLB502 könnte das trotzdem noch ein paar Jahre dauern - zu spät für die Menschen in Fukushima. Eine Möglichkeit gäbe es aber noch, sagt Manoj Maniar:

    "Die FDA müsste das Medikament jetzt für den Notfall zulassen. Nur dann könnte es in Japan theoretisch eingesetzt werden. Andernfalls gibt es keine Möglichkeit, an das Medikament heranzukommen."

    Die Arbeiter in Fukushima sind extrem hohen Strahlendosen ausgesetzt, einige sind bereits lebensgefährlich verletzt. Für sie wäre so ein neues Strahlenmedikament vielleicht eine Chance.

    "Wir wissen, dass ihnen die Medikamente nicht schaden werden. Möglicherweise könnten wir sie sogar retten. Das wissen wir aber erst, wenn wir es wirklich ausprobiert haben."