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Mit Stammzellen gegen Blutkrebs

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, hat den Nutzen der Stammzellentransplantation bei Leukämie in Zweifel gezogen. Fachmediziner widersprechen dieser Einschätzung. Sie sagen: Stammzellen können das Leben von Menschen mit Blutkrebs retten helfen.

Von Michael Lange | 07.11.2006
    Vor zwei Jahren erhielt die damals 18-jährige Schülerin Hanna Szibalski die Nachricht.

    " Bei mir wurde eine akute lymphatische Leukämie dignostiziert. "

    Ihre Ärzte stuften sie als Hochrisiko-Patientin ein und suchten über die Deutsche Knochenmarkspenderdatei nach einer geeigneten Spenderin für blutbildende Stammzellen.

    " Mir hat eine nette Frau, die 44 ist und drei Kinder hat, aus Flensburg, die hat mir was gespendet. "

    Die fremden Blutzellen lösten bei Hanna Szibalski starke Nebenwirkungen aus. Der Körper der jungen Frau wehrte sich gegen die transplantierten Stammzellen. Mit Kortison musste ihr Immunsystem gebremst werden.

    " Und das war wirklich extrem. Da habe ich in vier Monaten fast 25 Kilo zugenommen. Wirklich heftig. ... Also, man steht vor dem Kleiderschrank und nichts passt. Ich fand das sehr deprimierend. Ich habe zwar gesagt: Lieber 20 oder 25 Kilo mehr als in der Kiste liegen. Aber das ist trotzdem nicht schön. "

    Die Stammzellen haben Hanna Szibalski geholfen zu überleben. Davon ist sie überzeugt.

    Für die Krankenkassen ist das ein Einzelfall, der die Wirksamkeit der Methode nicht beweist. Immerhin kostet die Stammzellen-Behandlung etwa 100.000 Euro pro Patient bei über 1000 Patienten im Jahr in Deutschland.

    Der Auftrag zur Überprüfung ging an das IQWiG, das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen in Köln. Im September veröffentlichte das Institut einen Vorbericht mit dem Ergebnis: Es gibt keine Studien, die die Wirksamkeit der Stammzellentransplantation von Fremdspendern für erwachsene Patienten mit akuter lymphatischer Leukämie unanfechtbar belegen. Vergleichende Studien, die das beweisen würden, fehlen. Dazu der Leiter des IQWiG, der Medizinprofessor Peter Sawicki:

    " Wir müssen vergleichen, immer wieder vergleichen. Was passiert mit einem Patienten, der einen Fremdspender findet? Und was mit einem Patienten, der keinen Fremdspender findet? In der Vergangenheit gab es ja einen Großteil von Patienten, die haben keinen Fremdspender gefunden, und diese Patienten kann man beschreiben im Laufe von Jahren und schauen: Wie häufig sterben diese Menschen? Wie häufig haben sie Komplikationen? Wie geht es ihnen? Und das vergleicht man mit der Gruppe, die einen Fremdspender gefunden haben. "

    Dieser anscheinend einfache Daten-Abgleich wurde, so der Bericht des IQWiG, nie durchgeführt. Bei Patientenverbänden und auch bei den medizinischen Fachgesellschaften sorgte der Vorbericht des Instituts für Erstaunen und Entsetzen.

    Der Leukämie-Spezialist Mathias Freund, Professor an der Universitätsklinik Rostock, ist Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie.

    " Nun kann nicht jeder dieser Patienten durch eine Stammzellentransplantation geheilt werden. Aber wenn ihre Aussicht langfristig zu überleben dann zwischen 40 und 50 Prozent liegt, statt 10 Prozent. Dann ist das natürlich die Hoffnung für die Patienten in dieser Situation. Sie sind einfach bedroht in ihrem Leben. Das müssen Sie sich vorstellen. "

    Der Vorwurf der Fachgesellschaft lautet: Wichtige Daten wurden vom IQWiG nicht berücksichtigt.

    " Es gibt umfangreiche Publikationen über die Wirksamkeit der Stammzellentransplantation. Es gibt Register über die Ergebnisse, wie das deutsche Stammzellen-Transplantations-Register. Man kann da sehr verlässlich zeigen, dass Patienten, die eine Transplantation erhalten haben bei akuter lymphatische Leukämie, eben 40 bis 50 Prozent Langzeitüberleben haben. "

    Hanna Szibalski geht es heute, zwei Jahre nach der Diagnose, die ihr Leben veränderte, wieder besser. In ihrem Blut wurden keine Krebszellen mehr entdeckt.

    " Ich habe die Möglichkeit, dass ich die Krankheit überleben kann, und die nehme ich wahr. "

    Dass andere die Behandlung, die ihr anscheinend geholfen hat, in Zukunft nicht mehr erhalten könnten, hält die junge Frau für nicht akzeptabel.

    " Ich finde: Das ist Zweiklassenmedizin. So etwas finde ich nicht gut. ... Ich denke, das ist eine Bewertung, die eher im wirtschaftlichen Sinne ist."

    Entschieden ist noch nichts. Wenn die Fachleute sich nicht einigen können, wird auf politischer Ebene weiter diskutiert werden.