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"Mit Terror kann man keine Demokratie aufbauen"

Die ehemalige spanische Europaabgeordnete Barbara Dührkop ist überzeugt, dass die ETA 50 Jahre nach ihrer Gründung keine moralische Unterstützung mehr in der baskischen Bevölkerung. Es zeichne sich eine Spaltung und das Ende der ETA ab. Die ETA habe den von der Regierung angebotenen Dialog verpasst.

Barbara Dührkop im Gespräch mit Christoph Heinemann | 31.07.2009
    Christoph Heinemann: Frau Dührkop, alle sprechen von einem Anschlag der ETA, bewiesen ist das bisher nicht. Gehen Sie davon aus, dass die ETA für die Morde auf Mallorca verantwortlich ist?

    Dührkop: Es ist ja absolut ohne Zweifel da, die einzige Terroristengruppe, die noch tötet, ist ETA. Leider Gottes sind wir davon betroffen. Da brauchen wir auch, glaube ich, keine schriftliche Erklärung nachher, zumal ETA normalerweise auch in ein paar Wochen sich ja auch zu den Attentaten bekennt.

    Heinemann: Die Organisation ist, wenn das stimmt, was Sie gesagt haben, immer noch in der Lage, Anschläge zu planen, Menschen zu ermorden. Wie stark ist die ETA heute?

    Dührkop: ETA ist stark in dem Sinne, denn man braucht nicht allzu viele Leute, um zu töten. Aber andererseits ist ETA schwächer als je, dass sie die moralische Unterstützung, die sie am Anfang genossen hat, nicht mehr hat. Und außerdem zeichnet sich deutlicher als je eine innere Spaltung ab, die dafür sind, dass man endlich aufhört, da sie einsehen, dass sie damit nichts erlangen können.

    Heinemann: Wozu, mit welcher Konsequenz?

    Dührkop: Mit der Konsequenz, dass ETA so einen Schluss wie ungefähr wie IRA auch hat. Es gibt also Leute, die sagen, Mensch, wir haben es verpasst, damals, als die Regierung gesagt hat, wir leiten einen Dialog ein, hat man gesagt, darauf hätte man sich auch einlassen sollen. Diese innere Spaltung und fehlende Unterstützung in der baskischen Bevölkerung wird die Schlussphase von ETA sein, zumal die beiden Attentate jetzt, vorgestern und gestern, sicher auch dem zuzuschreiben sind, dass heute sind es 50 Jahre her, dass ETA begründet wurde.

    Heinemann: Aber gerade dieser Dialog ist doch auch in der spanischen Politik umstritten. Sollte man mit einer solchen Organisation einen Dialog führen?

    Dührkop: Die Mehrheit der spanischen Bevölkerung – vom Dialog, ich möchte aber unterstreichen, nicht Verhandlungen, sondern Dialog – ist dafür gewesen. Also prozentual haben sich über 70 Prozent der spanischen Bevölkerung zu diesem Dialog damals bekannt. Leider Gottes ist dann, das Attentat auf Terminal 4 in Madrid hat dem ein Ende gesetzt.

    Heinemann: Frau Dührkop, wieso oder wie gelingt es der ETA immer noch offenbar, Nachwuchs zu rekrutieren und Geld einzutreiben?

    Dührkop: Es wird immer schlechter. Aber Sie wissen ganz genau, wie ich auch, dass der Fanatismus überall irgendwo seinen Nährboden hat, und das gilt auch bei ETA, obwohl die Rekrutierung bei jungen Leuten schlechter und schlechter wird. Es ist sehr weitläufig jetzt, da gibt es viele Untersuchungen, wo kommen diese Jugendlichen her, aber wir wissen ja, glaube ich, aus Erfahrung, Lebenserfahrung, dass Fanatismus in irgendeiner ... kann immer auftreten. Und das ist hier richtige Gehirnwäsche, die dann vorgenommen wird. Aber es wird immer schwieriger für ETA.

    Heinemann: Stichwort Fanatismus, die ETA und ihre Sympathisanten stehen für eine sogenannte abertzale Politik, eine Mischung aus Sozialismus und Nationalismus, wobei es hier nicht nur die ETA gibt, es gibt auch den konservativen Nationalismus. Wie links- oder rechtsnationalistisch sind die Basken heute?

    Dührkop: Also nach den letzten Wahlen haben die Sozialisten ja praktisch zusammen mit der rechten Partei, mit der PP, die Wahlen gewonnen und sitzen nach 30 Jahren in der baskischen Regierung. Ich glaube, das ist eine gute Antwort, zu sagen, wie es historisch jetzt ablaufen wird. Es gibt ja die moderaten Nationalisten, die auf jeden Fall natürlich auch genauso demokratisch wie die Sozialisten und wie die PP ist, aber es gibt noch diese kleinen Randgruppen, die tatsächlich noch ETA unterstützen. Also es wird immer weniger, und das hat sich bei den letzten Wahlen ganz deutlich ausgedrückt.

    Heinemann: Wie kam es zu dem Schulterschluss der Sozialisten und der Konservativen im Baskenland, die sich in Madrid ja nach besten Kräften bekämpfen?

    Dührkop: Das ist natürlich ein bisschen, kann man sagen, konträr das Ganze. Aber andererseits, zusammen haben die die Regierungsstärke, weil die Sozialisten, nach dem, was mit der baskischen Partei bis jetzt abgelaufen ist, nicht mit denen zusammengehen konnten. Und deswegen war das der einzige Ausweg. Es wird nicht leicht sein, aber auf jeden Fall gibt es uns die Möglichkeit, als Sozialisten zu zeigen, dass wir regierungsfähig sind im Baskenland. Und darauf kommt es an. Jetzt müssen wir halt eine gute Arbeit leisten.

    [Kurzzeitige Unterbrechung der Telefonleitung.]

    Heinemann: Frau Dührkop, die ETA besteht seit 50 Jahren, heute ist sozusagen der Geburtstag. Wann wurde aus der Widerstandsorganisation gegen das Franco-Regime eine Terrororganisation?

    Dührkop: In dem Moment, wo in Spanien die allgemeinen Wahlen abgehalten werden konnten, als Franco starb, dann haben wir allgemeine Wahlen gehabt, und dann haben wir eine neue spanische Verfassung und eine baskische Verfassung. In dem Moment hat sich ja auch ETA gespalten. Eine Gruppe hat gesagt, gut, wir bürgern uns ein und bauen die Demokratie auf, und die andere Gruppe hat dann gesagt, nein, wir machen weiter mit dem Terror. Und das ist der Moment, wo ETA richtig geboren wird als Terrorgruppe.

    Heinemann: Als Terrorgruppe, die aber lange auch aus der Bevölkerung unterstützt wurde, zwar abnehmend, aber doch immerhin Unterstützung erfahren hat.

    Dührkop: Ja, aber nicht, ich glaube, diese Unterstützung, wenn wir sagen, dass sie ungefähr zwischen 15 und 20 Prozent der Wählerstimmen hatten als Unterstützung in den Parteien, die ETA, also ETA-freundlich angesehen haben, dann kann man wohl kaum von einer großen Mehrheit sprechen. Aber das nimmt ab, wie ich gesagt habe, weil mehr und mehr Menschen natürlich einsehen, dass mit Terror kann man keine Demokratie aufbauen.

    Heinemann: Frau Dührkop, heute regieren, Sie haben es eben gesagt, die Sozialisten im Baskenland, das war das, was Ihr Mann erreichen wollte. Er war Spitzenkandidat der Sozialisten im Baskenland. Sie sprechen längst offen über den Mord an Ihrem Mann – wie wurde Enrique Casas umgebracht?

    Dührkop: Er wurde zu Hause erschossen. Er hat die Tür aufgemacht, der Mörder hat geklingelt, er hat die Tür aufgemacht und ist also in unserer gemeinsamen Wohnung erschossen worden.

    Heinemann: Sie waren dabei?

    Dührkop: Nein, ich war gerade in die Schule gefahren, also Kindergarten, mit meinen beiden Ältesten, er war zu Hause mit einem Sohn, der auch zur Schule ging, aber lernte gerade, und mit dem Jüngsten, der acht Monate alt war.

    Heinemann: Sind die Täter inzwischen verurteilt?

    Dührkop: Einer der Täter ist verurteilt, der ist aber wieder auf freiem Fuß, der hat 53 Jahre Strafgefängnis bekommen und ist nach 16 Jahren frei gekommen, und der andere Täter ist von der Guardia Civil sechs Monate danach bei einem Attentat ertappt worden und ist erschossen worden.

    Heinemann: Frau Dührkop, Sie haben eben von der IRA gesprochen. Rechnen Sie damit, dass Sie und Ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger den Tag noch erleben werden, an dem die ETA ihre Auflösung bekannt geben wird?

    Dührkop: Ich möchte, ich möchte also von Herzen diesen Tag erleben. Ich möchte, das ist ein Traum, den ich habe, das ist ja populär zu sagen, dass meine Enkelkinder mal fragen: Wie war das eigentlich Oma, was war eigentlich ETA? Dass ich dann mit dem Geschichtsbuch meinen Enkeln erzählen kann, was für ein Kapitel, ein gräusliches Kapitel endlich abgeschlossen ist.