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Mit Todesmut auf zur Terra incognita

Polarforschung. – Das Internationale Polarjahr ist eröffnet. Es ist das dritte dieser Art – und mit Sicherheit dasjenige mit dem umfassendsten Programm. Bereits im 19. Jahrhundert, 1882/83 gab es das erste, damals mit der Beteiligung von elf Ländern. 1932/33 nahmen schon 40 Länder am 2. Polarjahr teil. Das kommende Polarjahr, das bis 2009 dauern wird, ist dagegen eine weltweite Angelegenheit.

Von Volker Mrasek | 01.03.2007
    Jörn Thiede ist froh, dass er heute Polarforscher ist ...

    "Man hat ja damals kein E-Mail gehabt. Kein Telefon. Nix."

    ... und nicht im 19. Jahrhundert ...

    "Damals war das Befahren der Polargebiete dadurch geprägt, dass man Skorbut bekam ..."

    ... akuten Vitamin-C-Mangel bis hin zum Ausfall der Zähne ...

    "... dass man Skorbut bekam, und dass man erfror. Die meisten Leute haben eigentlich diese Überwinterung, die haben sie einfach nicht überlebt. Die sind daran zugrundegegangen.”"

    Mitleid, aber auch Bewunderung für die Pioniere spricht aus den Worten von Thiede, dem Direktor des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven ...

    ""Sie müssen sich mal vorstellen: Die gingen ja wirklich ins Unbekannte, hatten keine Ahnung, wie kalt es werden kann.”"

    Das waren die Bedingungen, unter denen erstmals ein Internationales Polarjahr gestartet wurde. Noch zu Bismarcks Zeiten, am 1. September 1882. Mehr als 700 furchtlose Männer machten sich in die lebensfeindliche Arktis und Antarktis auf. Der kanadische Historiker Charles Taylor schilderte das Unternehmen später in einem Fachartikel. Zitat:

    ""Elf Länder starteten insgesamt 14 Expeditionen: zwölf in die Arktis und zwei in die südliche Hemisphäre. Zehn Forschungsstationen wurden während des Internationalen Polarjahres errichtet, drei davon in Kanada - darunter eine deutsche Station auf Baffin Island.”"

    Das erste Polarjahr ist untrennbar mit dem Namen Carl Weyprecht verbunden. Der Geophysiker war Offizier in der österreichisch-ungarischen Marine und hatte bereits zwei Arktis-Expeditionen hinter sich. Auf Fachkonferenzen warb Weyprecht zu dieser Zeit für ein Netzwerk fester Messstationen im Nordpolargebiet. Ohne direkte Informationen aus der Arktis, davon war er überzeugt, könne man zum Beispiel die Schwankungen des Erdmagnetfeldes nicht verstehen - damals ein vieldiskutiertes Thema. Laut Jörn Thiede kamen entscheidende Impulse für das erste länderübergreifende Polarprojekt auch aus Deutschland:

    ""Ein Mensch, der hieß Georg von Neumeyer, war eigentlich so ein meteorologisch orientierter Physiker. Der war Direktor von der Hamburger Seewarte. Und die haben entdeckt, dass sie keine ordentlichen Wetterkarten zeichnen können, wenn sie nicht einmal eine gewisse regionale Verteilung von Messpunkten kriegen. Ist klar: Aus Hamburg heraus können Sie keine Karte zeichnen. Da brauchen Sie auf Jan Mayen eine Station, auf Grönland irgendwo eine Station. Und die haben entdeckt, dass sie auch keinen Jahresgang der Wetterdaten hatten.”"

    Thermometer, Hygrometer, Barometer, Regensammler, Windmesser - damit wurden die zehn Arktis-Stationen schließlich ausgestattet. Nach Charles Taylors Darstellung nahmen die Forscher stündlich Messwerte, und das zwölf Monate lang. Zitat:

    ""Die gesammelten Daten vermehrten das Wissen der Welt über die Meteorologie, den Erdmagnetismus und die boreale Klimazone.”"

    Das erste Polarjahr ist aber auch untrennbar mit einer Tragödie verbunden ...

    ""Das muss ganz schrecklich gewesen sein! Da sind nur ganz wenige zurückgekommen."

    Jörn Thiede hebt ab auf die US-amerikanische Expedition nach Ellesmere Island unter der Leitung des Armee-Offiziers Adolphus Greely. Das 25köpfige Team errichtete eine Blockhütte, nannte sie Fort Conger und verbrachte gute zwei Jahre dort. Doch dann verließ die Männer das Glück in der Eiswüste. Zitat:

    "Fort Conger hätte zweimal Proviant erhalten sollen, doch beide Male kam das Versorgungsschiff nicht durch. Die Gruppe verließ das Fort daraufhin und bewegte sich in kleinen Booten nach Süden. In 51 Tagen schaffte sie 800 Kilometer. Den Männern stand noch der ganze Winter bevor, doch sie hatten nur noch Rationen für 40 Tage. Bevor ihr Martyrium endete, aßen sie sogar ihre Lederkleidung. Nur Greely und fünf andere wurden gerettet."

    Es dauerte 50 Jahre, bis die Internationale Meteorologische Organisation erneut ein Polarjahr ausrief. Das war zwischen den Weltkriegen, 1932 und 33. Diesmal beteiligten sich schon Forscher aus 40 Ländern und ließen ihre Messsonden bis in Höhen des Jet Streams aufsteigen, um mehr über diese kräftige Luftströmung zu erfahren. Auch das Internationale Geophysikalische Jahr 1957 hatte eine polare Komponente. Damals wurden die Eismassen der Antarktis erstmals abgeschätzt.

    Wenn die Idee einer globalen Polarforschungs-Initiative jetzt wieder auflebt, dann gibt es also ein Doppel-Jubiläum zu feiern: Die Premiere ist 125 Jahre her, und die letzte Aufführung genau ein halbes Jahrhundert.