Mittwoch, 24. April 2024

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Mit unmäßigen Strafen gegen Dissidenten

Vor genau einem Jahr sind in Kuba 75 Schriftsteller, Autoren und Journalisten verhaftet und verurteilt worden, zu Haftstrafen zwischen 14 und 27 Jahren – für nichts, für den Willen zur freien Meinungsäußerung, für "Dissidenz", oder, wie es die Anklage ausdrückte, für "Akte gegen die Unabhängigkeit und territoriale Integrität des Staates". Für die Mitarbeit bei Reporter ohne Grenzen, oder für einen Satz wie den folgenden, den Raul Rivero geschrieben hat, einer der berühmtesten kubanischen Schriftsteller: "Wenn ein Familienvater in Kuba morgens aufwacht, muss er sich nur um zwei Probleme kümmern: das Mittagessen und die Verpflegung." Rivero wurde zu 20 Jahren verurteilt, und es muss kaum hinzugefügt werden, dass Amnesty International die Haftbedingungen in Kuba als "grausam, unmenschlich und erniedrigend" bezeichnet hat.

Peter B. Schumann im Gespräch | 05.04.2004
    Karin Fischer: Frage an Peter B. Schumann, weiß man, wie es den inhaftierten Intellektuellen, wie es Raul Rivero heute geht? Schützt ihn seine Bekanntheit und die weltweite Solidarität?

    Peter B. Schumann: Das hat sicher ein bisschen Einfluss gehabt auf seine Haftbedingungen, aber wenn jemand in einer kleinen Zelle eingesperrt ist und nur alle drei Monate mal von einem Angehörigen besucht werden kann, fast kaum Literatur lesen darf, zumal nicht die, die er eigentlich lesen möchte und die Haftbedingungen schlecht sind - es gibt keine Klimaanlage, es ist drückend heiß in diesen Käfigen, in denen die Leute sich befinden auf drei Quadratmeter Fläche -, da kann man sich vorstellen, selbst wenn es manchmal ein paar Vorzuge gibt für Leute, die der Prominenz angehören, dass sie unheimlich leiden. Er hat in dem ersten Jahr ungefähr 20 Kilo seines Lebendgewichtes verloren.

    Karin Fischer: Die Bundesregierung hatte damals ja die Teilnahme an der Buchmesse in Kuba im Februar abgesagt. Das war eine eher billige Solidaritätsadresse an die Inhaftierten, wenn man die Aktivitäten der Regierung in China betrachtet, und hat außerdem noch Pluspunkte beim amerikanischen Präsidenten verschafft. Dennoch: Gibt es denn irgendein Bemühen der kubanischen Seite, diese drakonischen Strafen nach außen hin zu rechtfertigen oder zu legitimieren?

    Peter B. Schumann: Sie haben ja schon zitiert, was offiziell behauptet wird, das hier also Spionage zu Grunde gelegt worden ist, die Zusammenarbeit mit dem Feind, also mit den USA, dass die Leute von der Interessenvertretung - es gibt ja keine Botschaft der USA, sondern nur eine Interessenvertretung - versorgt, sogar finanziert worden sein sollen. Das sind alles nach einem Gesetz, das 1999 erlassen worden ist, Dinge, die die territoriale Integrität dieses Landes in Gefahr bringen. Das heißt, es ist eigentlich Spionagevorwurf, es ist Verrat an der Nation, und das sind Dinge, die mit diesen drakonischen Strafen in Kuba inzwischen geahndet werden. Es hat ja vor fünf Jahren eine Gruppe von Intellektuellen gegeben, die ein Dokument verfasst haben, mit dem sie quasi die Ideologie und Politik dieses Staates in Frage gestellt haben. Diese fünf Intellektuellen wurden "nur" zu drei bis vier Jahren verurteilt. Diesmal gab es diese unglaublich maßlosen Strafen, und das zeigt, dass man hier Abschreckung üben wollte gegenüber der großen Menschenrechtsbewegung, die natürlich in den Jahren, seit sich Kuba auf eigene Füße gestellt hat, angewachsen ist. Es gibt ungefähr 300 Gruppen und Grüppchen dieser Menschenrechtsbewegung.

    Karin Fischer: Das heißt, der Eindruck ist richtig, dass sich das Klima in dieser Hinsicht in Kuba in den letzten Jahren verschärft hat wegen dieser Art von Oppositionsbewegung?

    Peter B. Schumann: Das Klima hatte sich zunächst einmal im Zuge des Zusammenbruchs des Staatssozialismus in Osteuropa etwas liberalisiert. Dann gab es auch die Bemühungen von Seiten der USA - Carter war zum Beispiel da. Der Papst war da. Es hat Diskussionen über Probleme gegeben, über Demokratie zum Beispiel, die niemals öffentlich und auch im Fernsehen nicht geführt worden sind. Da hofften viele, jetzt geht es auch mit Kuba etwas voran. Aber dann gab es nun diese merkwürdige Politik der USA, die innere Opposition auch noch organisieren zu wollen, und damit war offensichtlich die Toleranzschwelle dieses Regimes erreicht, und deswegen diese unglaublich harten, brutalen Zugriffe vor einem Jahr. 75 Leute, eine solche Repressionswelle hat es seit den siebziger Jahren in Kuba nicht gegeben, und diese maßlosen Urteile, auch das dient alles der Abschreckung von Leuten, die sich in irgendeiner Weise oppositionell gebärden.

    Karin Fischer: Was bedeutet das zum Beispiel für das Ausland? Sollte man sozusagen die Intellektuellen in Kuba einfach in Ruhe lassen oder gibt es überhaupt Möglichkeiten, aus dem Ausland aktiv zu werden?

    Peter B. Schumann: Es gibt natürlich viele Möglichkeiten. Auch das Goethe-Institut versucht seit Jahren, dort ein eigenes Institut zu eröffnen. Die Spanier haben darunter gelitten, dass sie reagiert haben gegen diese Verhaftungswelle. Deren Kulturinstitut wurde von den Kubanern daraufhin geschlossen. Das Goethe-Institut ist bisher nicht unterschriftsreif, der Vertrag, weil die Kubaner zum Beispiel nicht möchten, dass man dort unkontrolliert Zeitungen und Zeitschriften auslegt, so dass sich die Kubaner informieren können, die dieses Institut besuchen wollen. Also es gibt vielfältige Möglichkeiten auch der Besuche, der Kontakte, das existiert alles weiter, aber ich finde es durchaus richtig, dass die offizielle Seite sich zurückgezogen hat und hier erst einmal abwarten möchte, denn man kann es einfach nicht tolerieren, dass ein Regime wie dieses eine so unmäßig große Zahl überhaupt Intellektueller einsperrt, weil sie anderer Meinung sind.