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Mit Zeitzeugen auf den Spuren der Stasi

Sie galt als eines der gefürchtetsten Gefängnisse der DDR, die Untersuchs-Haftanstalt Berlin-Hohenschönhausen. Heute ist hier eine Gedenkstätte, Zeitzeugen bieten Führungen an. Doch das Konzept stößt nicht überall auf positive Resonanz.

Von Terry Albrecht | 05.05.2011
    "Mein Name ist Jürgen Litfin. Mein Bruder war der erste, der an der Berliner Grenze erschossen wurde und zwar im Humboldthafen. Ich habe über unsere politische Verfolgung durch die Kommunisten ein Buch geschrieben, um deutlich zu machen, dass ich meinen Beitrag leisten will für die politische Bildung und für die Aufarbeitung."

    Bewegende Worte aus dem Mund des Bruders des ersten Maueropfers an der deutsch-deutschen Grenze 1961. Und doch nur eine sehr subjektive, ungenaue Sichtweise, die hinter den weiteren Worten Jürgen Litfins stehen könnte? Die Geschichte Günter Litfins, des ersten Mauertoten, ist auch im Mauerparkmuseum nachzulesen – hier in einer wissenschaftlich aufgearbeiteten Version. Die Zeitzeugen der Opfer der Verfolgung durch die Staatssicherheit in der DDR werden älter. Ihre Zahl nimmt ab.

    Da stellt sich zunehmend die Frage: Wie wichtig ist ihre Rolle in der Aufarbeitung der DDR-Geschichte? Seit der in der DDR als Oppositioneller in Hohenschönhausen inhaftierte Roland Jahn vor kurzem zum Stasi-Unterlagen-Beauftragten der Bundesregierung gewählt wurde, stellt sich diese Frage neu. Hohenschönhausen war in der DDR die zentrale Haftanstalt der Stasi. Insbesondere Oppositionelle wurden hier gefoltert. In den 90er-Jahren ist in das Gefängnis in eine Gedenkstätte umgewandelt worden. Das Besondere: ehemalige Häftlinge führen als Zeitzeugen durch die Räume. Sie erzählen den Besuchern ihre Haft-Geschichte. Das ist gut so, sagt Jahn, der die Geschichte der Verfolgung in der DDR für noch nicht aufgearbeitet hält:

    "Ich hab die Erfahrung gemacht, (…) immer dann, wenn ich anfange zu erzählen, wie es war, wenn ich die kleinen Geschichten erzähle, dann begreifen die Menschen, was Diktatur ist. Und in dem Sinne sind die Zeitzeugen unverzichtbar, weil sie wirklich ihr eigenes Erleben so schildern können, wo kein anderer dabei war und was sie empfunden haben."

    Hinzu kommt noch ein anderer wichtiger Faktor. Die Opfer können, indem sie von ihren Erlebnissen erzählen, ihre eigene Geschichte aufarbeiten, sich von ihr ein Stück weit entlasten.

    "Wenn ich an meine Erlebnisse zurückdenke, an Jena, wo ich verhaftet wurde, wo ich aus dem Land gebracht wurde mit Gewalt, das war für mich ein so schlimmes Erlebnis, dass ich das kaum wiedergeben kann, aber wenn ich das dann erzähle, was für mich das Schlimmste war, nämlich, dass meine Eltern dafür bestraft wurden, dass mein Vater, der den Fußballclub Carl-Zeiss-Jena mit aufgebaut hatte, rausgeschmissen wurde, sein Lebenswerk zerstört wurde."

    Und die Folgen der Inhaftierung waren schrecklich. Vor allem in Hohenschönhausen stand die Folter auf der Tagesordnung. Und darüber sprechen durfte man nicht. Jeder der hier wieder raus kam, hatte ein Schweigegelübde gegenüber der Stasi abzulegen. Bis heute ist die Zahl der mehreren tausend Menschen, die Hohenschönhausen als Häftlinge durchlaufen haben, nicht genau bezifferbar. Viele sind für immer verstummt, wussten nicht, wie sie die Haftzeit verarbeiten sollten. Die Gründungsmitglieder der Gedenkstätte wollten dem entgegenwirken und den Alltag im Gefängnis transparent werden lassen. So entstand die Idee, die 44-jährige Geschichte der Haftanstalt von Zeitzeugen erzählen zu lassen, die die Führung durch das Haus übernehmen. 65 sind es, die das auf Honorarbasis tun, sagt Hubertus Knabe, der Leiter der Gedenkstätte.

    "Das ist etwas ganz besonderes, das gibt es so eigentlich nur noch in Südafrika, Robben Island, der Gefangeneninsel, auf der auch Nelson Mandela inhaftiert war. Das Konzept ist auf Anregung ehemaliger Häftlinge entstanden. Als ich hier vor zehn Jahren anfing, ist dieses Konzept auf großen Widerstand der Experten, die sich mit Gedenkstätten beschäftigen, gestoßen."

    Und diese Kritik hält bis heute an. Der Potsdamer DDR-Historiker Jürgen Angelow warnt vor ungefilterten Schilderungen von Zeitzeugen, es sei denn, die Betroffenen sind professionell geschult. Das Problem, die Zeitzeugen könnten nur aus ihren eigenen Erfahrungen berichten, aber kein wissenschaftlich fundiertes DDR-Bild abgeben, so Angelow. Damit ist ein Grundproblem der sogenannten Oral-History benannt: die Frage nach Dichtung und Wahrheit erzählter Geschichte.

    Allein auf die Erinnerung der Stasi-Opfer setzt auch die Gedenkstätte Hohenschönhausen nicht, gibt Hubertus Knabe zu verstehen. Eine ständige Ausstellung, über die Geschichte des Stasigefängnisses dient der wissenschaftlichen Unterfütterung der Führungen. Die von Jahr zu Jahr wachsende Zahl der Besucher zeige deutlich, dass das Konzept der Gedenkstätte, auf Zeitzeugen zu setzen, an Popularität im Sinne erlebter Geschichte das richtige sei. Auch Roland Jahn hält die Rolle der Zeitzeugen als Museumsführer für unerlässlich.

    "Aufarbeitung ist keine rationale Angelegenheit. Wer das so betrachtet, der wird den Menschen, wegen derer wir überhaupt die Aufarbeitung machen, nicht gerecht. Wir müssen immer das Empfinden der Opfer mit einbeziehen, selbst wenn wir denken, ach der, der überspitzt, der übertreibt, der überspannt. Ja, das ist das Problem, natürlich sind wir alle etwas überspannt, wenn wir aus dem Knast kommen. Natürlich haben wir Eifer, wenn wir darüber reden. Aber genau das muss ernst genommen werden, sonst können wir uns die ganze Aufarbeitung sparen."

    Erst diese subjektiven Erfahrungen, so Jahn, verleihen der Geschichte von Haft und Folter ein Gesicht. Ganz ähnlich verhalte es sich auch bei der seit einiger Zeit geführten Diskussion um die Überführung der Stasiakten in das Bundesarchiv. Auch hier bestehe die Gefahr, dass die Geschichte nur noch abgeheftet werde. Dann sei aber kein Austausch der Opfer und Täter, wie er in der Stasi-Unterlagenbehörde angeboten werde, mehr möglich. Zur Aufarbeitung der deutsch-deutschen Geschichte sei der Dialog das wichtigste, so Jahn, und der solle gerade möglichst viele der Opfer der Staatssicherheit zu Wort kommen lassen. Dazu zählen auch die Führungen der Zeitzeugen in Hohenschönhausen.

    "Die Aufarbeitung in Deutschland darf kein Ende haben und die wenigen, die es tun, es sind nicht so viele, die sollen zusammenarbeiten."