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Mitgliederschwund in jüdischen Gemeinden
Konversion light als Ausweg?

Die jüdischen Gemeinden in Deutschland verlieren jedes Jahr rund 1.000 Mitglieder. Auch deswegen wird immer häufiger debattiert, ob der Zugang zur Gemeinde erleichtert werden soll. Das wünschen sich vor allem aus Russland stammende Juden, die keine jüdische Mutter vorweisen können.

Von Jens Rosbach | 24.01.2020
Infoveranstaltung in der Jüdischen Gemeinde in Rostock.
Für viele Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion ist die Anerkennung ihres Judentums in Deutschland problembehaftet (picture alliance / dpa / Bernd Wüstneck)
Alexej Heistver wollte in die Synagoge gehen. Als der jüdische Kontingentflüchtling vor 20 Jahren einwanderte, bat er im mecklenburgischen Wismar um Aufnahme in die jüdische Gemeinde. Doch der Moldawier wurde abgewiesen. Denn er konnte nicht nachweisen, dass er eine jüdische Mutter hat.
"Wenn du keine Papiere von deiner jüdischen Mutter hast, hast du keine Möglichkeit, in der jüdischen Gemeinde Mitglied zu werden. Danach hatte ich keinen Wunsch, keine Lust, zur jüdischen Gemeinde wiederzukommen. Es war sehr traurig."
Der 79-jährige Migrant erzählt, dass seine Mutter einst im KZ umgebracht wurde – ohne, dass es dafür Dokumente gab. Und in der Sowjetunion habe die mütterliche Linie keine Rolle gespielt. Die Ablehnung durch die jüdische Gemeinde in Deutschland sei deshalb schockierend gewesen.
"Es war für mich von Anfang an ein Problem, eine Kränkung. Aber was konnte ich ändern?"
Ausgrenzung auf Schritt und Tritt
Kein Einzelfall. Stella Shcherbatova leitet in der Synagogen-Gemeinde Köln eine Sorgen-Hotline für Zuwanderer: ein russischsprachiges "Vertrauenstelefon". Die Psychologin, die selbst aus den GUS-Staaten zugewandert ist, hört seit Jahren Klagen von jüdischen Migranten, die sich abgewiesen fühlen.
"Ich habe sehr oft gehört: Ich war in der Sowjetunion als Jude verfolgt. Ich konnte meine Karriere deswegen nicht machen - und ich war nie ein Russe da für die Menschen, die in der Sowjetunion gewohnt haben. Und ich komme nach Deutschland, komme in die jüdische Gemeinde, sage, ich bin ein Jude – und mir sagt die jüdische Gemeinde, und die deutsche Gesellschaft auch -, dass ich bin kein Jude, ich bin ein Russe. Und da verstehen Sie, welche Kränkung kommt dann."
"Wir können keine Ausnahmen machen"
Nun, da die Zahl der Juden in Deutschland wegen der Überalterung sinkt, wird eine religiöse Frage immer drängender: Sollten Zuwanderer, die keine jüdische Mutter, sondern "nur" einen jüdischen Vater haben, Mitglied einer jüdischen Gemeinde werden können – ohne dass sie dafür jahrelang konvertieren müssen? Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, fordert von den Rabbinern einen vereinfachten Übertritt für die russischsprachigen Zuwanderer.
"Der Vorschlag oder die Anregung, die ja nicht nur erst von mir kommt, auch meine Amtsvorgänger immer wieder ja fast eingefordert haben, findet– so habe ich das Gefühl – nicht so ganz den Widerhall bei der Orthodoxen Rabbinerkonferenz, wie ich es mir eigentlich wünschen würde."
Mehr als 90 Prozent der Juden in Deutschland besuchen eine orthodox geprägte Gemeinde - und die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland, kurz ORD, beharrt auf den traditionellen Regeln.
"Es ist eine komplexe Frage, warum es im orthodoxen Judentum keine "Konversion light" gibt oder ähnliches", verteidigt ORD-Vorstand Zsolt Balla den konservativen Kurs: "Das orthodoxe Judentum legt Wert auf die konsequente Einhaltung der Halacha, der religiösen Gesetze. Wir können keine Ausnahmen machen, auch nicht bei besonderen Umständen, die Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion erfahren haben."
30.01.2019, Sachsen, Dresden: Zsolt Balla, Landesrabbiner in Sachsen, steht am Rande einer Pressekonferenz in der Synagoge. Der gebürtige Ungar ist seit dem 01. Januar 2019 Landesrabbiner im Freistaat.
Landesrabbiner Zsolt Balla beharrt auf der Tradition (Picture Alliance / ZB / dpa-Zentralbild / Sebastian Kahnert)
Das orthodoxe Judentum verlangt von Menschen, die keine jüdische Mutter haben, eine aufwendige Konversion. Sie dauert in der Regel zwei bis drei Jahre und erfordert nicht nur die umfassende Kenntnis, sondern auch das bewusste Leben jüdischer Gesetze. Die Kandidaten müssen etwa koscher essen und den Schabbat einhalten, den wöchentlichen Ruhetag. Außerdem ist eine Anbindung an eine orthodoxe Gemeinde erforderlich - wer weit weg von einer solchen Gemeinde wohnt, muss extra umziehen. Dies gilt selbst für alte Menschen.
Für Liberale ist die Praxis wichtiger
Flexibler zeigt sich das liberale Judentum: Ihre Vertretung, die Allgemeine Rabbinerkonferenz, erlaubt einen erleichterten Übertritt. Yuriy Kadnykov, liberaler Landesrabbiner von Mecklenburg-Vorpommern, möchte den russischsprachigen Zuwanderern helfen.
"Wir haben schon ein Programm in unserer Allgemeinen Rabbinerkonferenz, man nennt es Statusklärung. Und dann schauen wir, weil: wenn jemand schon sehr aktiv im jüdischen Leben teilnimmt, und nur sozusagen auf Papieren nicht koscher ist, dann korrigieren wir diese Sache, ja."
26.10.2018, Mecklenburg-Vorpommern, Rostock: Yuriy Kadnykov, Landesrabbiner in Mecklenburg-Vorpommern, spricht in der Synagoge der Jüdischen Gemeinde vor Beginn eines Gottesdienstes zu den Anwesenden.
Für Yuriy Kadnykov zählt vor allem die religiöse Praxis (Picture Alliance / dpa-Zentralbild / ZB / Bernd Wüstneck)
Und das heißt: Ein Kandidat, der keine jüdische Mutter hat, muss vor dem Beth Din - dem Gericht der Rabbinerkonferenz - seine jüdischen Bezüge darlegen: etwa ob er oder sie einen jüdischen Vater oder einen jüdischen Ehepartner hat - oder bereits jüdische Bräuche pflegt. Auch eine antisemitische Verfolgung in der ehemaligen Sowjetunion kann hierbei eine Rolle spielen. Männliche Anwärter sollten zudem beschnitten sein – oder dies nachholen. Yuriy Kadnykov:
"Am Ende, wenn der Status geklärt ist, jede Person, sei es eine Frau oder ein Mann, geht in ein Bad, das heißt Mikwe. Man sagt besondere Segenssprüche, man taucht rein. Für diejenigen, die aus der Kirche kommen, sie kennen das mit Johannes dem Täufer, der hat auch dieses gemacht. Das genau kommt von dem jüdischen Prozedere: dass man eintaucht. Diese Person wird als neugeboren betrachtet."
Konversion kann nie ganz "light" sein
In der Praxis hängt aber auch die "Konversion light" vom jeweiligen Rabbiner ab. Yuriy Kadnykov aus Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel legt Wert auf ein Minimum an Hebräisch-Kenntnissen sowie auf Wissen über das wöchentliche Schabbat-Gebet, bei dem jeweils ein Abschnitt aus der Thora vorgetragen wird – also aus den fünf Büchern Mose. Anderen liberalen Rabbinern reicht es hingegen, wenn ein Kandidat eher kulturell als religiös geprägt ist. Die Zielrichtung ist aber dieselbe. Yuriy Kadnykov:
"Wir schauen, ob es den Personen am Herzen liegt, jüdisch zu sein, ob sie sich bekennen zum jüdischen Volk oder nicht. Das ist das Maßgebende bei einem solchen Prozess."
19.07.2018, Bayern, München: Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, aufgenommen während der Vergabe des Simon-Snopkowski-Preis. Der Preis wird alle zwei Jahre von der Gesellschaft für jüdische Kultur und Tradition verliehen. Seit 2010 erhält eine Persönlichkeit bzw. eine Institution einen Ehrenpreis für besondere Verdienste um das Judentum und das Zusammenwirken von Juden und Christen.
Josef Schuster möchte den Konversionsprozess vereinfachen - ohne dass die inhaltliche Ernsthaftigkeit darunter leidet (dpa / picture alliance / Peter Kneffel)
Der Zentralrat der Juden ist froh, dass zumindest die liberalen Gemeinden einen vereinfachten Übertritt anbieten für russischsprachige Zuwanderer; so erhält die Religionsgemeinschaft wieder mehr Zuwachs. Aber auch Ratspräsident Josef Schuster legt Wert auf religiöse Ernsthaftigkeit - Beliebigkeit möchte er nicht in den Synagogen einführen.
"Der Wechsel einer Religion – oder der Übertritt von einer Religion zu einer anderen Religion, egal aus welchen Motiven -, kann nichts sein, was man mal by the way mit einem Wochenendkurs 'Das Judentum in aller Kürze' bewerkstelligt. So kann es sicher nicht funktionieren."