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Mitten im Leben

"Beraten – schützen – weiterhelfen": So lautet das Credo der christlich orientierten Konfliktberatungsstelle für Schwangere am Kölner Heumarkt. Die Debatte um Donum Vitae ist innerhalb der katholischen Kirche nach wie vor nicht gelöst. Doch mittlerweile schätzten auch manche Kirchenvertreter die Arbeit des Vereins.

Von Catrin Stövesand | 01.09.2011
    Köln, Heumarkt - ein belebter Platz mitten in der Innenstadt. Vor den zahlreichen Restaurants und Kneipen reihen sich Tische und Stühle. Sonnenschirme flattern im Wind. Hier – mitten im Leben – arbeitet Claudia Kitte-Fall: bei Donum Vitae, der christlich orientierten, staatlich anerkannten Konfliktberatungsstelle für Schwangere. Claudia Kitte-Fall darf die – "Lizenz zum Töten" verteilen – so zumindest nannten die katholischen Kritiker den Beratungsschein der staatlichen Konfliktberatung damals vor zwölf Jahren, vor dem großen Beratungsschisma. An die vorhergehende Debatte erinnert sich Claudia Kitte-Fall noch sehr gut:

    "Ich habe praktisch diese ganze Geschichte und Entwicklung von Anfang an mitbekommen. Ich war damals beim SKF. Dann kam 1999 diese erste Aufforderung von Rom, diesen Beratungsschein nicht mehr auszustellen. Und dann sind wir, natürlich alle Beratungsstellen, dagegen Sturm gelaufen. Wir haben gesagt, das geht nicht, wir dürfen Frauen im Schwangerschaftskonflikt gerade als Christen nicht allein lassen."

    Tötungslizenz – dieses Wort taucht heute nicht mehr offiziell auf, aber ihre ablehnende Haltung zum Beratungsschein hat die katholische Kirche nicht aufgegeben. Es ist die Haltung von Papst Benedikt XVI., und diese steht im Widerspruch zur Arbeit von Claudia Kitte-Fall. Ihr persönlicher Glaube jedoch nicht:

    "Also, von einer Lizenz zum Töten zu sprechen, finde ich sehr problematisch. Ich glaube an einen liebenden und verzeihenden Gott, der weiß, wie viel die Frau leidet in ihrem Konflikt und wie schwer sie sich die Entscheidung macht. Wenn ich diesen Glauben selber nicht hätte, könnte ich auch diese Arbeit nicht machen."

    Die freundliche, offene Frau mit ihrem modischen Kurzhaarschnitt steht mitten im Leben und hat täglich mit dessen Unwegsamkeiten und Abgründen zu tun.

    "Die Frauen haben gute Gründe, warum sie Angst haben, ein Kind zu bekommen. Immer hat es auch mit einer fehlenden oder schlechten Partnerschaft zu tun. Und natürlich die materiellen Ressourcen, die wegbrechen. Und auch ganz oft kein Rückhalt in der Familie. Im Übrigen auch ganz oft katholische Familien, die ihre Kinder alleine lassen, ihre Frauen, ihre Töchter. Und das ist einfach so eine Vielfalt von Konflikten, die zu dem eigentlichen zentralen Konflikt führen. Und die Beratung dient dazu zu erhellen, worin besteht der eigentliche Konflikt und wo kann da Hilfe und Abhilfe geschaffen werden."

    Kirchenrecht und christliches Leben haben für die Beraterin wenig miteinander zu tun:

    "Wenn wir hier Beratung machen, sehen wir das nicht primär durch die kirchliche Brille. Wir sehen die Frau mit ihrem Anliegen, mit ihrer Not, mit ihrem Leid – ohne das zu bewerten und ohne das zu verurteilen. Und im Grunde bedeutet Kirche und Christ sein nichts anderes als Caritas – Nächstenliebe. Und wir arbeiten da ganz getreu des Zweiten Vatikanischen Konzils. Wir sind Kirche."

    An eine Rückkehr unter das Dach der katholischen Kirche glaubt die Bundesvorsitzende von Donum Vitae, Rita Waschbüsch, in naher Zukunft nicht. Denn der Konflikt um die Beratung ist nicht gelöst. Und der Begriff "Tötungslizenz"? Er steht nach wie vor im Raum.

    "Das war unsäglich, bleibt unsäglich, denn der viel umstrittene Schein ist ja nichts anderes, als dass der Gesetzgeber die Bestätigung erhält, dass sich die Menschen an die Vorschrift im Beratungsgesetz halten."

    Heute unterhält Donum Vitae rund 200 Beratungsstellen mit mehr als 300 Beraterinnen und 150 Bürokräften, fast wie mittelständisches Unternehmen, sagt Rita Waschbüsch. Und mittlerweile schätzten auch manche Kirchenvertreter die Arbeit des Vereins:

    "Ich bin auch sicher, dass die damalige Haltung des Vorsitzenden der Glaubenskongregation, Kardinal Ratzinger, des heutigen Papstes, vielleicht heute in Sachen Donum Vitae auch nicht mehr ganz so eine absolute wäre, weil in unserem Land viele auch kirchlich Verantwortliche gesehen haben, dass wir eine Arbeit machen, die dem Leben dient, dass es nicht darum ging oder geht, gegen irgendwelche Papstentscheidungen zu sein."

    Donum Vitae – Geschenk des Lebens – die Wertschätzung des Lebens gilt in der Beratung für alle Beteiligten, betont Claudia Kitte-Fall:

    "Der Schutz des Lebens umfasst nicht nur das Ermöglichen des neuen Lebens, sondern auch das Hüten und Bewahren des bestehenden Lebens."

    Wenn der Papst am 22. September nach Deutschland kommt, ist das nicht nur der Besuch des katholischen Kirchenoberhaupts, sondern es ist auch ein vatikanischer Staatsbesuch. Rita Waschbüsch wünscht sich von unseren Vertretern:

    "dass sie ihn höflich, freundlich – und die Katholiken sicher auch mit einem Schuss Begeisterung empfangen. Ich wünsche mir aber auch, dass die Realität in Deutschland, die kirchliche Realität meine ich, jetzt vor allen Dingen sehr klar zur Kenntnis nimmt und mehr Vertrauen darin hat, dass auch die Bischöfe mit den Laien auf einem Weg sind, der zeitgemäß ist."

    "Beraten – schützen – weiterhelfen" steht auf dem Eingangsschild der christlich orientierten Beratungsstelle am Kölner Heumarkt, Ecke Halbmondgässchen. Mitten im Leben, mitten unter Menschen, Christen wie Nichtchristen.