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Mob bedrängt Flüchtlinge in Clausnitz
Innenministerium verspricht Aufklärung des Polizeieinsatzes

Ein fremdenfeindlicher Mob greift einen mit Flüchtlingen besetzten Bus an, das ist auf einem vielfach in sozialen Netzwerken geteilten Video zu sehen. Dort ist die Empörung groß - auch über ein anderes Video, dass ein hartes Vorgehen der Polizei gegen ein Flüchtlingskind dokumentiert. Das sächsische Innenministerium verspricht Aufklärung.

Von Chaled Nahar | 19.02.2016
    "Reisegenuss"? Flüchtlinge werden in Clausnitz von einem Mob bedrängt (18.02.2016)
    "Reisegenuss"? Flüchtlinge werden in Clausnitz von einem Mob bedrängt (18.02.2016) (Screenshot Youtube)
    "Reisegenuss" - der Schriftzug auf der Vorderseite des Busses, der Flüchtlinge in ihre Unterkunft in das sächsische Clausnitz bringt, wirkt beinahe zynisch ob der Atmosphäre bei der Ankunft. In einem Video, das von einer Facebook-Gruppe mit dem Namen "Döbeln wehrt sich - meine Stimme gegen Überfremdung" (bei Facebook inzwischen nicht mehr verfügbar) verbreitet und später auch bei Youtube verfügbar war, ist zu sehen, wie eine Menge die Flüchtlinge beim Verlassen des Busses bedrängt. Das Video wurde am Donnerstagabend aufgenommen.
    Weiteres Video zeigt Fehlverhalten der Polizei
    Später wurde ein weiteres Video veröffentlicht, dass die Geschehnisse etwa eine Minute vor Beginn der oben beschriebenen Sequenz zeigt. Ein Polizist greift sich darin auf rabiate Art ein Kind aus dem Bus, um es in die Unterkunft zu bringen.
    Sächsisches Innenministerium verspricht Aufklärung
    Alexander Bertram, Sprecher des sächsischen Innenministeriums, verspricht eine Aufklärung des Vorfalls. Das brauche jedoch etwas Zeit und würde auch noch den Samstag in Anspruch nehmen, sagte er dem Deutschlandfunk. "Für Sonntag ist nach jetzigem Stand eine Pressekonferenz geplant", sagte Bertram. Eine genaue Uhrzeit stehe noch nicht fest.
    In einer Pressemitteillung wird Sachsens Innenminister Markus Ulbig wie folgt zitiert: "Ich habe mir das Video angesehen. Die Bilder sprechen ihre Sprache. Das Innenministerium wird den Einsatz der Polizeidirektion Chemnitz mit allen Beteiligten umgehend auswerten. Erst dann können wir Konsequenzen ziehen." Weder von der Polizei Sachsen noch von der Polizei Chemnitz war am Freitagabend eine Stellungnahme zu bekommen, aus welchen Gründen diese Maßnahme erfolgte. Bei Facebook versprach die Polizei Sachsen eine Auswertung.
    Zu den Protesten gegen die Flüchtlinge hatte Innenminister Ulbig zuvor gesagt, es sei "zutiefst beschämend", wie mit den Menschen umgegangen worden sei. "Anstatt wenigstens den Versuch zu unternehmen, sich in die Situation der Flüchtlinge zu versetzen, blockieren einige Leute mit plumpen Parolen den Weg von schutzsuchenden Männern, Frauen und Kindern."
    Einer ruft: "Rückwärtsgang!"
    In dem zuerst öffentlich gewordenen Video ist zu hören, wie die Menge "Wir sind das Volk!" oder "Weg mit euch!" brüllt. Einer ruft dem Bus "Rückwärtsgang!" entgegen. In dem Fahrzeug halten sich zwei Frauen gegenseitig im Arm, eine andere schimpft in die Richtung der brüllenden Menge. Ein Junge steigt verängstigt aus dem Bus. Clausnitz ist ein Ortsteil von Rechenberg-Bienenmühle im Landkreis Mittelsachsen und liegt rund 60 Kilometer südlich von Dresden an der Grenze zu Tschechien.
    Die Polizei Chemnitz ermittelt nun laut eigener Mitteilung wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten. In einem Facebook-Post der Polizei heißt es: "Insgesamt wurden 13 Anzeigen wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz aufgenommen." Weitere Straftaten würden derzeit geprüft. "Gegen 19.20 Uhr sollte eine Asylbewerberunterkunft erstmalig belegt werden. Die Ankunft des Busses behinderten zirka 100 Personen", steht außerdem in der Pressemitteilung. Die Zufahrt zur Unterkunft sei mit drei Fahrzeugen blockiert worden. Erst um 22 Uhr konnten die Flüchtlinge die Unterkunft beziehen. Die Polizei sprach von 20 bis 30 Flüchtlingen, die am Donnerstagabend angekommen seien.
    Die "Freie Presse" hatte am 28. Januar berichtet, dass Bürgermeister Michael Funke bei der Bekanntgabe der Unterkunft Unmut geerntet habe. Der Kommune seien laut dem Verteilerschlüssel 36 Asylbewerber zugewiesen worden, die Unterkunft sei für 27 Menschen ausgelegt gewesen.
    "Wehret den Anfängen? Wehret dem Mittendrin!"
    In den sozialen Netzwerken ist die Empörung groß. Der Journalist Sascha Lobo schrieb bei Facebook: "Wehret den Anfängen, das käme schon zu spät - wehret dem Mittendrin. Lasst dieses Land nicht tiefer in eine vorprogromhafte Stimmung stürzen." Der Satiriker Jan Böhmermann schrieb bei Twitter: "Der deutsche Angstmob begrüßt die, die dem Tod von der Schippe gesprungen sind." Später wies auch er auf die steigende Gewalt gegen Flüchtlinge hin.
    In den vergangenen Jahren hatte es in Deutschland immer öfter Angriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte gegeben, darunter zahlreiche Brandanschläge. Zuletzt begann ein Prozess wegen eines Brandanschlags auf ein Flüchtlingsheim im niedersächsischen Salzhemmendorf, die Angeklagten gestanden. In Altena im Sauerland wurde gegen zwei Männer nach einem Brandanschlag Haftbefehl wegen versuchten Mordes erlassen.