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Mobbing aus politischen Gründen
Polnische Richter verklagen ihr eigenes Gericht

Die umstrittene Disziplinarkammer am Obersten Gericht in Polen musste auf Anordnung des EuGH ihre Tätigkeit einstellen. Sie konnte unliebsame Richter sanktionieren. Doch politischen Einfluss kann die Regierungspartei PiS auch subtiler nehmen. Strafrichter wie Marcin Swierk wehren sich dagegen.

Von Florian Kellermann | 27.04.2020
Strafrichter Marcin Swierk an seinem von Akten bedeckten Schreibtisch
Marcin Swierk ist Strafrichter am Gericht in Rzeszow im Südosten Polens (Deutschlandradio/ Florian Kellermann)
Das Gericht in Rzeszow ist seit über 100 Jahren in einem mächtigen Schloss untergebracht. Eine lange Geschichte, doch eines hat das Gebäude noch nicht erlebt: Richter verklagen derzeit ihr eigenes Gericht. Sie fühlen sich unfair behandelt, von Mobbing ist die Rede.
Einer von ihnen ist Marcin Swierk. Der großgewachsene Mann holt seine Besucher hinter dem Eingang ab und führt sie durch die langen Gänge zu seinem engen Büro. Ein Abzeichen am blauen Jackett, über dem orangen Einstecktuch, zeigt: Er gehört zum Richter-Verband "Iustitia".
Alles habe begonnen, nachdem ein neuer Gerichtspräsident sein Amt angetreten hatte, sagt der 48-Jährige:
"Der Präsident hat hinter meinem Rücken schlecht über mich geredet, bei Kollegen, im Vorbeigehen auf dem Flur. Mit mir selbst hat darüber nicht gesprochen. Da hat er mir nur einige merkwürdige, teilweise auch beleidigende Fragen gestellt. Später wurde ich dann als Vorsitzender der Strafkammer abberufen."
Demo vor dem Gericht in Rzeszow: In ganz Polen gibt es seit 2015 immer wieder Proteste gegen die umstrittene Justizreform der konservativen Regierung
Demo vor dem Gericht in Rzeszow: In ganz Polen gibt es seit 2015 immer wieder Proteste gegen die umstrittene Justizreform der konservativen Regierung (picture alliance/ NurPhoto/ Artur Widak)
Mehr Arbeit mit weniger Hilfe
Damit nicht genug. Der neue Gerichtspräsident teilte die Strafkammer auf. Nun gibt es eine Kammer für Verfahren in erster Instanz und eine Berufungskammer. Die unliebsamen Richter urteilen alle nur noch in erster Instanz, obwohl sie teilweise mehr Erfahrung haben – und ihre Urteile nun von den jüngeren Kollegen überprüft werden.
"Wir haben auch kritisiert, dass wir zu wenige Assistenten und andere Mitarbeiter bekommen haben. Das sieht alles schwer danach aus, dass wir gegängelt werden sollen. Dass wir mehr Arbeit mit weniger Hilfe bewältigen sollen, um so zu demonstrieren, dass wir mit unserer Arbeit kaum zurechtkommen."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Polen - Umstrittene Justizreformen.
Marcin Swierk streift sich durch den kurzen Bart um seinen Mund herum. Er lässt das Chaos von Akten auf seinem Schreibtisch für einen Moment liegen, steht auf und zeigt auf die polnische Verfassung, die prominent auf einem der Regale platziert ist. Bei dem Konflikt im Kreisgericht von Rzeszow gehe es letztendlich um Politik. Darum, wie die Justizreform der rechtskonservativen Regierung auch hierher, weit in die polnische Provinz hineinwirke.
Strafrichter sehen ihre Unabhängigkeit in Gefahr
Denn die Strafrichter von Rzeszow äußerten sich vor knapp zwei Jahren als erste kritisch zur Reform, im Rahmen ihrer Arbeit. Ein Gericht in Spanien hatte angefragt, ob es einen Verdächtigen nach Polen ausliefern könne, ob die Richter dort unabhängig seien. Die Antwort der Strafrichter lautete: Nein.
"Die Unabhängigkeit der Richter ist durch die neue Disziplinarkammer am Obersten Gerichtshof gefährdet. Das haben wir schon damals festgestellt. Weil das eine Art Sondergerichtshof ist, wie er höchstens in Kriegszeiten zulässig ist. Diese Antwort ging also nach Spanien. Aber ich glaube, der Spanier, um den es hier ging, wurde letztendlich trotzdem ausgeliefert."
Einfluss des Justizministers
Die Disziplinarkammer kann Richter aburteilen, wenn die gegen ihre Dienstpflichten verstoßen. Kritiker meinen: Das Justizministerium habe erheblichen Einfluss auf die neue Kammer und wolle über sie politischen Druck ausüben. Er persönlich fühle sich dennoch weiterhin unabhängig, sagt Marcin Swierk: "Bisher hat sich noch niemand aus der Regierung für meine Arbeit interessiert. Eigentlich ist das ja auch unvorstellbar. So etwas kenne ich nur aus kommunistischen Zeiten, aus Büchern."
Auch die EU-Kommission sieht die Disziplinarkammer kritisch. Sie hat vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt – und der EuGH hat die Kammer mit einer einstweiligen Verfügung vorübergehend lahmgelegt.
Politischer Einfluss – das geht für Marcin Swierk jedoch auch subtiler. Etwa, indem der Regierungspartei PiS genehme Richter eine Blitzkarriere hinlegen. Wie der neue Präsident des Rzeszower Kreisgerichts.
"Er war Richter an einem Regionalgericht in Jaroslaw, einer kleineren Stadt, und ist von dort aus sofort Vorsitzender des Kreisgerichts geworden. Hier urteilt er in Berufungsverfahren, also in Verfahren, die er bisher nicht einmal in erster Instanz betreut hat. Und jetzt hat er auch noch die Ausschreibung für einen Richterposten am Obersten Gerichtshof gewonnen, für die neue Disziplinarkammer. Er muss wohl einer der herausragendsten Juristen seiner Generation sein, ein Diamant."
Degradiert und beschimpft
Prestige und Macht sind das eine, das andere sind die Bezüge. Die Richter an der Disziplinarkammer sind die bestbezahlten im ganzen Land. Während also die einen ungeahnte Höhen erklimmen, werden die anderen, wie Marcin Swierk, degradiert und auch noch beschimpft.
"Mein erstes Urteil habe ich 1997 gesprochen, als Assessor. Seitdem höre ich, dass wir Richter böse, niederträchtig und korrupt sind. Aber was sich jetzt tut, sprengt alle Grenzen. Wir werden mit dem Vichy-Regime verglichen und als alte Kommunisten beschimpft. Und wenn wir, wie ich, zu jung dafür sind, heißt es, wir stammten aus der kommunistischen Nomenklatura. Meine Mutter ist aber Krankenschwester, und mein Vater war Musiklehrer."
Marcin Swierk selbst hätte fast eine Karriere als Berufsgeiger begonnen. Bis vor kurzem war er aber froh, dass er einen Beruf mit regelmäßigem Einkommen ergriffen hat, bis vor kurzem war er gerne Richter.
"Wen wir hier nicht alles haben in der Strafkammer, die eine hat Philologie studiert, der andere ist Ingenieur. Wir hatten ein tolles Team, alle sind gerne zur Arbeit gekommen. Aber das war einmal."